Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_056.001 9. Auch über die Wirkung des Komischen in seinen verschiedenen pmu_056.027 pmu_056.001 9. Auch über die Wirkung des Komischen in seinen verschiedenen pmu_056.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0066" n="56"/><lb n="pmu_056.001"/> als ethisch unlustlösendes Moment das Gefühl ein, daß das Schreckliche <lb n="pmu_056.002"/> des Geschehens die Strafe einer Schuld sei, daß eine immanente Gerechtigkeit <lb n="pmu_056.003"/> in der Welt herrsche, und daß darum alles Übel verdient sei, während <lb n="pmu_056.004"/> die Tugend ihren Lohn finde. Diese Art der Tragik, die in ihrer banalen <lb n="pmu_056.005"/> Form ästhetisch ebenso minderwertig ist wie ethisch, ist großen Dichtern <lb n="pmu_056.006"/> nie genügend gewesen. Auch Schiller, obwohl ihn der Begriff der tragischen <lb n="pmu_056.007"/> Schuld immer wieder beschäftigt hat, ist praktisch in seinen bedeutendsten <lb n="pmu_056.008"/> Werken doch weit entfernt, nur so die Tragik zu fassen. — Die zweite <lb n="pmu_056.009"/> Form der Tragik möchte ich die <hi rendition="#g">Resignationstragik</hi> nennen. Hier <lb n="pmu_056.010"/> unterwirft sich der Mensch einer übergewaltigen Macht, dem Schicksal <lb n="pmu_056.011"/> oder den Göttern, und durch diese Unterwerfung findet er religiösen Trost, <lb n="pmu_056.012"/> inneren Frieden, auch wo er äußerlich zerbricht. Dies ist die religiöse Tragik <lb n="pmu_056.013"/> des „König Ödipus“ und aller Schicksalsstücke großen Stils. Diese <lb n="pmu_056.014"/> Furcht, die Selbstdemütigung vor der höheren Macht, wird hier Moment <lb n="pmu_056.015"/> religiöser Erhebung und Läuterung. Die dritte Form der Tragik nenne <lb n="pmu_056.016"/> ich die <hi rendition="#g">heroische Tragik.</hi> Sie schöpft ihr erhebendes Moment aus dem <lb n="pmu_056.017"/> heldenhaften Kampf, dem todüberwindenden Heldentrotz des kämpfenden <lb n="pmu_056.018"/> Menschen, für den Tod und Untergang ihre Schrecknisse verlieren, <lb n="pmu_056.019"/> und der darum auch dort, wo er äußerlich unterliegt, innerlich Sieger <lb n="pmu_056.020"/> bleibt. Ein solcher Kampf, der bis zur Vernichtung geführt wird, löst <lb n="pmu_056.021"/> eben im Menschen die gewaltigsten Gefühle aus, deren er fähig ist, und <lb n="pmu_056.022"/> so scheint uns der tragische Held, der über Tod und Untergang hinweg <lb n="pmu_056.023"/> seinem Willen folgt, die edelste Verkörperung des Menschen, und mit einem <lb n="pmu_056.024"/> gewissen Rechte hat darum die Tragödie in den meisten Zeiten als <lb n="pmu_056.025"/> höchste und vornehmste Kunstform gegolten.</p> <lb n="pmu_056.026"/> </div> <div n="3"> <p> 9. Auch über die Wirkung des <hi rendition="#g">Komischen</hi> in seinen verschiedenen <lb n="pmu_056.027"/> Formen ist viel gestritten worden, ohne daß eine Einigung erzielt worden <lb n="pmu_056.028"/> wäre. Mir scheint, daß der Hauptfehler der früheren Theorien darin <lb n="pmu_056.029"/> liegt, daß man nach einer <hi rendition="#g">psychischen</hi> Einheit gesucht hat, während die <lb n="pmu_056.030"/> Einheit nur auf physiologischem Gebiete liegt, im <hi rendition="#g">Lachen,</hi> bzw. im <lb n="pmu_056.031"/> <hi rendition="#g">Lächeln.</hi> Wir schließen uns dabei jener berühmten Lehre über das Wesen <lb n="pmu_056.032"/> der Gefühle an, wie sie von Lange und James formuliert worden ist. <lb n="pmu_056.033"/> Sie lautet, daß die Gefühle nur die psychische Begleiterscheinung gewisser <lb n="pmu_056.034"/> körperlicher, vasomotorischer oder mimischer, Vorgänge seien. Für kein Gebiet <lb n="pmu_056.035"/> scheint mir das besser zu passen als für das des Komischen. Jch formuliere <lb n="pmu_056.036"/> diese Tatsache so: wir lachen nicht, weil in unserm Bewußtsein <lb n="pmu_056.037"/> komische Gefühle erregt sind, sondern, weil wir lachen, treten jene Gefühle <lb n="pmu_056.038"/> ein. Der Beweis ist leicht zu erbringen. Werden wir infolge der Nachahmungssuggestion </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0066]
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als ethisch unlustlösendes Moment das Gefühl ein, daß das Schreckliche pmu_056.002
des Geschehens die Strafe einer Schuld sei, daß eine immanente Gerechtigkeit pmu_056.003
in der Welt herrsche, und daß darum alles Übel verdient sei, während pmu_056.004
die Tugend ihren Lohn finde. Diese Art der Tragik, die in ihrer banalen pmu_056.005
Form ästhetisch ebenso minderwertig ist wie ethisch, ist großen Dichtern pmu_056.006
nie genügend gewesen. Auch Schiller, obwohl ihn der Begriff der tragischen pmu_056.007
Schuld immer wieder beschäftigt hat, ist praktisch in seinen bedeutendsten pmu_056.008
Werken doch weit entfernt, nur so die Tragik zu fassen. — Die zweite pmu_056.009
Form der Tragik möchte ich die Resignationstragik nennen. Hier pmu_056.010
unterwirft sich der Mensch einer übergewaltigen Macht, dem Schicksal pmu_056.011
oder den Göttern, und durch diese Unterwerfung findet er religiösen Trost, pmu_056.012
inneren Frieden, auch wo er äußerlich zerbricht. Dies ist die religiöse Tragik pmu_056.013
des „König Ödipus“ und aller Schicksalsstücke großen Stils. Diese pmu_056.014
Furcht, die Selbstdemütigung vor der höheren Macht, wird hier Moment pmu_056.015
religiöser Erhebung und Läuterung. Die dritte Form der Tragik nenne pmu_056.016
ich die heroische Tragik. Sie schöpft ihr erhebendes Moment aus dem pmu_056.017
heldenhaften Kampf, dem todüberwindenden Heldentrotz des kämpfenden pmu_056.018
Menschen, für den Tod und Untergang ihre Schrecknisse verlieren, pmu_056.019
und der darum auch dort, wo er äußerlich unterliegt, innerlich Sieger pmu_056.020
bleibt. Ein solcher Kampf, der bis zur Vernichtung geführt wird, löst pmu_056.021
eben im Menschen die gewaltigsten Gefühle aus, deren er fähig ist, und pmu_056.022
so scheint uns der tragische Held, der über Tod und Untergang hinweg pmu_056.023
seinem Willen folgt, die edelste Verkörperung des Menschen, und mit einem pmu_056.024
gewissen Rechte hat darum die Tragödie in den meisten Zeiten als pmu_056.025
höchste und vornehmste Kunstform gegolten.
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9. Auch über die Wirkung des Komischen in seinen verschiedenen pmu_056.027
Formen ist viel gestritten worden, ohne daß eine Einigung erzielt worden pmu_056.028
wäre. Mir scheint, daß der Hauptfehler der früheren Theorien darin pmu_056.029
liegt, daß man nach einer psychischen Einheit gesucht hat, während die pmu_056.030
Einheit nur auf physiologischem Gebiete liegt, im Lachen, bzw. im pmu_056.031
Lächeln. Wir schließen uns dabei jener berühmten Lehre über das Wesen pmu_056.032
der Gefühle an, wie sie von Lange und James formuliert worden ist. pmu_056.033
Sie lautet, daß die Gefühle nur die psychische Begleiterscheinung gewisser pmu_056.034
körperlicher, vasomotorischer oder mimischer, Vorgänge seien. Für kein Gebiet pmu_056.035
scheint mir das besser zu passen als für das des Komischen. Jch formuliere pmu_056.036
diese Tatsache so: wir lachen nicht, weil in unserm Bewußtsein pmu_056.037
komische Gefühle erregt sind, sondern, weil wir lachen, treten jene Gefühle pmu_056.038
ein. Der Beweis ist leicht zu erbringen. Werden wir infolge der Nachahmungssuggestion
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