Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_071.001 Jch stelle nun daneben ein Gedicht von durchaus mittelbarem Charakter. pmu_071.004 Komm in den totgesagten park und schau! pmu_071.007 pmu_071.010Der schimmer ferner lächelnder gestade, pmu_071.008 Der reinen wolken unverhofftes blau pmu_071.009 Erhellt die weiher und die bunten pfade. Dort nimm das tiefe gelb, das weiche grau pmu_071.011 pmu_071.014Von birken und von buchs. der wind ist lau, pmu_071.012 Die späten rosen welkten noch nicht ganz. pmu_071.013 Erlese, küsse sie und flicht den kranz. Vergiß auch diese letzten astern nicht! pmu_071.015 pmu_071.018Den purpur um die ranken wilder reben pmu_071.016 Und auch was übrig blieb von grünem leben pmu_071.017 Verwinde leicht im herbstlichen gesicht. Man wird durch einen Vergleich mit dem Goetheschen Gedichte sofort pmu_071.019 [Beginn Spaltensatz] Liegt eine Stadt im Tale, pmu_071.033 [Spaltenumbruch] pmu_071.101ein blauer Tag vergeht; pmu_071.034 es wird nicht lange dauern mehr pmu_071.035 bis weder Mond noch Sterne, pmu_071.036 nur Nacht am Himmel steht. Von allen Bergen drücken pmu_071.102 [Ende Spaltensatz] pmu_071.106Nebel auf die Stadt; pmu_071.103 es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus, pmu_071.104 kein Laut aus ihrem Rauch heraus, pmu_071.105 kaum Türme noch und Brücken. Doch als den Wandrer graute, pmu_071.107
da ging ein Lichtlein auf im Grund, pmu_071.108 und durch den Rauch und Nebel pmu_071.109 begann ein leiser Lobgesang pmu_071.110 aus Kindermund. pmu_071.001 Jch stelle nun daneben ein Gedicht von durchaus mittelbarem Charakter. pmu_071.004 Komm in den totgesagten park und schau! pmu_071.007 pmu_071.010Der schimmer ferner lächelnder gestade, pmu_071.008 Der reinen wolken unverhofftes blau pmu_071.009 Erhellt die weiher und die bunten pfade. Dort nimm das tiefe gelb, das weiche grau pmu_071.011 pmu_071.014Von birken und von buchs. der wind ist lau, pmu_071.012 Die späten rosen welkten noch nicht ganz. pmu_071.013 Erlese, küsse sie und flicht den kranz. Vergiß auch diese letzten astern nicht! pmu_071.015 pmu_071.018Den purpur um die ranken wilder reben pmu_071.016 Und auch was übrig blieb von grünem leben pmu_071.017 Verwinde leicht im herbstlichen gesicht. Man wird durch einen Vergleich mit dem Goetheschen Gedichte sofort pmu_071.019 [Beginn Spaltensatz] Liegt eine Stadt im Tale, pmu_071.033 [Spaltenumbruch] pmu_071.101ein blauer Tag vergeht; pmu_071.034 es wird nicht lange dauern mehr pmu_071.035 bis weder Mond noch Sterne, pmu_071.036 nur Nacht am Himmel steht. Von allen Bergen drücken pmu_071.102 [Ende Spaltensatz] pmu_071.106Nebel auf die Stadt; pmu_071.103 es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus, pmu_071.104 kein Laut aus ihrem Rauch heraus, pmu_071.105 kaum Türme noch und Brücken. Doch als den Wandrer graute, pmu_071.107
da ging ein Lichtlein auf im Grund, pmu_071.108 und durch den Rauch und Nebel pmu_071.109 begann ein leiser Lobgesang pmu_071.110 aus Kindermund. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0081" n="71"/><lb n="pmu_071.001"/> und dienen nur als Mittel des Ausdrucks, als Verkörperungen des <lb n="pmu_071.002"/> an sich gestaltlosen Jnnenlebens.</p> <lb n="pmu_071.003"/> <p> Jch stelle nun daneben ein Gedicht von durchaus <hi rendition="#g">mittelbarem</hi> Charakter. <lb n="pmu_071.004"/> Es stammt von Stefan George und ist — unter Beibehaltung der <lb n="pmu_071.005"/> Schreibweise — seinem Buche „Das Jahr der Seele“ entnommen.</p> <lb n="pmu_071.006"/> <lg> <l>Komm in den totgesagten park und schau!</l> <lb n="pmu_071.007"/> <l>Der schimmer ferner lächelnder gestade,</l> <lb n="pmu_071.008"/> <l>Der reinen wolken unverhofftes blau</l> <lb n="pmu_071.009"/> <l>Erhellt die weiher und die bunten pfade.</l> </lg> <lb n="pmu_071.010"/> <lg> <l>Dort nimm das tiefe gelb, das weiche grau</l> <lb n="pmu_071.011"/> <l>Von birken und von buchs. der wind ist lau,</l> <lb n="pmu_071.012"/> <l>Die späten rosen welkten noch nicht ganz.</l> <lb n="pmu_071.013"/> <l>Erlese, küsse sie und flicht den kranz.</l> </lg> <lb n="pmu_071.014"/> <lg> <l>Vergiß auch diese letzten astern nicht!</l> <lb n="pmu_071.015"/> <l>Den purpur um die ranken wilder reben</l> <lb n="pmu_071.016"/> <l>Und auch was übrig blieb von grünem leben</l> <lb n="pmu_071.017"/> <l>Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.</l> </lg> <lb n="pmu_071.018"/> <p>Man wird durch einen Vergleich mit dem Goetheschen Gedichte sofort <lb n="pmu_071.019"/> den Unterschied erkennen. Der objektive gegenständliche Jnhalt tritt in <lb n="pmu_071.020"/> ganz andrer Weise vor, es ist hier kein überquellendes inneres Gefühl, das <lb n="pmu_071.021"/> sich der äußeren Dinge nur als Echo bedient; hier ist die äußere Welt primär <lb n="pmu_071.022"/> und das Gefühl ist sekundär. Der direkte Gefühlsausdruck fehlt vollständig. <lb n="pmu_071.023"/> Nur indirekt durch die Schilderung wird auch in uns die Herbststimmung <lb n="pmu_071.024"/> geweckt, die den Dichter erfüllt. Wie in einem Gemälde wirken die Gegenstände <lb n="pmu_071.025"/> an sich. Es wäre dieses Gedicht dem <hi rendition="#g">beschreibenden</hi> Typus der <lb n="pmu_071.026"/> mittelbaren Lyrik zuzurechnen, obwohl doch eine leise Handlung die einzelnen <lb n="pmu_071.027"/> Bildelemente zusammenreiht. Gewinnen diese Handlungselemente die <lb n="pmu_071.028"/> Oberhand, so erhalten wir den <hi rendition="#g">erzählenden</hi> Typus, der nahe an die Ballade <lb n="pmu_071.029"/> heranreicht, obwohl wir solche Gedichte genug besitzen, in denen die Handlung <lb n="pmu_071.030"/> durchaus nur Symbol für eine Stimmung ist und nur als solche einen <lb n="pmu_071.031"/> Wert besitzt. Man nehme Dehmels bekanntes Gedicht „<hi rendition="#g">Die stille Stadt</hi>“:</p> <lb n="pmu_071.032"/> <cb type="start"/> <lg> <l>Liegt eine Stadt im Tale,</l> <lb n="pmu_071.033"/> <l>ein blauer Tag vergeht;</l> <lb n="pmu_071.034"/> <l>es wird nicht lange dauern mehr</l> <lb n="pmu_071.035"/> <l>bis weder Mond noch Sterne,</l> <lb n="pmu_071.036"/> <l>nur Nacht am Himmel steht.</l> </lg> <cb/> <lb n="pmu_071.101"/> <lg> <l>Von allen Bergen drücken</l> <lb n="pmu_071.102"/> <l>Nebel auf die Stadt;</l> <lb n="pmu_071.103"/> <l>es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus,</l> <lb n="pmu_071.104"/> <l>kein Laut aus ihrem Rauch heraus,</l> <lb n="pmu_071.105"/> <l>kaum Türme noch und Brücken.</l> </lg> <cb type="end"/> <lb n="pmu_071.106"/> <lg> <l>Doch als den Wandrer graute,</l> <lb n="pmu_071.107"/> <l>da ging ein Lichtlein auf im Grund,</l> <lb n="pmu_071.108"/> <l>und durch den Rauch und Nebel</l> <lb n="pmu_071.109"/> <l>begann ein leiser Lobgesang</l> <lb n="pmu_071.110"/> <l>aus Kindermund.</l> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [71/0081]
pmu_071.001
und dienen nur als Mittel des Ausdrucks, als Verkörperungen des pmu_071.002
an sich gestaltlosen Jnnenlebens.
pmu_071.003
Jch stelle nun daneben ein Gedicht von durchaus mittelbarem Charakter. pmu_071.004
Es stammt von Stefan George und ist — unter Beibehaltung der pmu_071.005
Schreibweise — seinem Buche „Das Jahr der Seele“ entnommen.
pmu_071.006
Komm in den totgesagten park und schau! pmu_071.007
Der schimmer ferner lächelnder gestade, pmu_071.008
Der reinen wolken unverhofftes blau pmu_071.009
Erhellt die weiher und die bunten pfade.
pmu_071.010
Dort nimm das tiefe gelb, das weiche grau pmu_071.011
Von birken und von buchs. der wind ist lau, pmu_071.012
Die späten rosen welkten noch nicht ganz. pmu_071.013
Erlese, küsse sie und flicht den kranz.
pmu_071.014
Vergiß auch diese letzten astern nicht! pmu_071.015
Den purpur um die ranken wilder reben pmu_071.016
Und auch was übrig blieb von grünem leben pmu_071.017
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.
pmu_071.018
Man wird durch einen Vergleich mit dem Goetheschen Gedichte sofort pmu_071.019
den Unterschied erkennen. Der objektive gegenständliche Jnhalt tritt in pmu_071.020
ganz andrer Weise vor, es ist hier kein überquellendes inneres Gefühl, das pmu_071.021
sich der äußeren Dinge nur als Echo bedient; hier ist die äußere Welt primär pmu_071.022
und das Gefühl ist sekundär. Der direkte Gefühlsausdruck fehlt vollständig. pmu_071.023
Nur indirekt durch die Schilderung wird auch in uns die Herbststimmung pmu_071.024
geweckt, die den Dichter erfüllt. Wie in einem Gemälde wirken die Gegenstände pmu_071.025
an sich. Es wäre dieses Gedicht dem beschreibenden Typus der pmu_071.026
mittelbaren Lyrik zuzurechnen, obwohl doch eine leise Handlung die einzelnen pmu_071.027
Bildelemente zusammenreiht. Gewinnen diese Handlungselemente die pmu_071.028
Oberhand, so erhalten wir den erzählenden Typus, der nahe an die Ballade pmu_071.029
heranreicht, obwohl wir solche Gedichte genug besitzen, in denen die Handlung pmu_071.030
durchaus nur Symbol für eine Stimmung ist und nur als solche einen pmu_071.031
Wert besitzt. Man nehme Dehmels bekanntes Gedicht „Die stille Stadt“:
pmu_071.032
Liegt eine Stadt im Tale, pmu_071.033
ein blauer Tag vergeht; pmu_071.034
es wird nicht lange dauern mehr pmu_071.035
bis weder Mond noch Sterne, pmu_071.036
nur Nacht am Himmel steht.
pmu_071.101
Von allen Bergen drücken pmu_071.102
Nebel auf die Stadt; pmu_071.103
es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus, pmu_071.104
kein Laut aus ihrem Rauch heraus, pmu_071.105
kaum Türme noch und Brücken.
pmu_071.106
Doch als den Wandrer graute, pmu_071.107
da ging ein Lichtlein auf im Grund, pmu_071.108
und durch den Rauch und Nebel pmu_071.109
begann ein leiser Lobgesang pmu_071.110
aus Kindermund.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |