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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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ein besondres, individuelles Interesse; 2) ein
allgemeines, ein Interesse am Ganzen. Um
das besondre Interesse wird gestritten; denn die-
ses ist bei jeder Parthei ein anderes, verschiede-
nes. Ueber das allgemeine Interesse beider Par-
theien können Mißverständnisse obwalten; im
Wesentlichen aber ist es auf beiden Seiten das-
selbe. So doppelgestaltig treten sie vor den
Richter. Auch dieser hat eine doppelte Bestim-
mung: das besondere Recht aufrecht zu erhal-
ten, und Wachsthum und Blüthe des allgemei-
nen Rechtes und Interesse nicht verderben zu
lassen, sondern zu fördern.

Dies nun auf irgend einen vorliegenden
Streit angewendet, giebt folgende, durchaus ge-
nügende, Instruction für den Richter, welche zu-
gleich alle einzelnen Fälle umfaßt: 1) Du sollst
das beiden Partheien gemeinschaftliche
Interesse am Ganzen durch Verständi-
gung vermitteln
; und 2) du sollst zwi-
schen dem besonderen Interesse beider
streitenden Partheien entscheiden
. --
Jeder Richterspruch soll nicht bloß Decision,
sondern auch Vergleich seyn; das Ganze, oder
die allgemeine Rechts-Idee, und das Einzelne,
oder das besondre Recht, sollen in dem Urtheile
mit einander versöhnt werden. Verläugneten

ein beſondres, individuelles Intereſſe; 2) ein
allgemeines, ein Intereſſe am Ganzen. Um
das beſondre Intereſſe wird geſtritten; denn die-
ſes iſt bei jeder Parthei ein anderes, verſchiede-
nes. Ueber das allgemeine Intereſſe beider Par-
theien koͤnnen Mißverſtaͤndniſſe obwalten; im
Weſentlichen aber iſt es auf beiden Seiten daſ-
ſelbe. So doppelgeſtaltig treten ſie vor den
Richter. Auch dieſer hat eine doppelte Beſtim-
mung: das beſondere Recht aufrecht zu erhal-
ten, und Wachsthum und Bluͤthe des allgemei-
nen Rechtes und Intereſſe nicht verderben zu
laſſen, ſondern zu foͤrdern.

Dies nun auf irgend einen vorliegenden
Streit angewendet, giebt folgende, durchaus ge-
nuͤgende, Inſtruction fuͤr den Richter, welche zu-
gleich alle einzelnen Faͤlle umfaßt: 1) Du ſollſt
das beiden Partheien gemeinſchaftliche
Intereſſe am Ganzen durch Verſtaͤndi-
gung vermitteln
; und 2) du ſollſt zwi-
ſchen dem beſonderen Intereſſe beider
ſtreitenden Partheien entſcheiden
. —
Jeder Richterſpruch ſoll nicht bloß Deciſion,
ſondern auch Vergleich ſeyn; das Ganze, oder
die allgemeine Rechts-Idee, und das Einzelne,
oder das beſondre Recht, ſollen in dem Urtheile
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[171/0205] ein beſondres, individuelles Intereſſe; 2) ein allgemeines, ein Intereſſe am Ganzen. Um das beſondre Intereſſe wird geſtritten; denn die- ſes iſt bei jeder Parthei ein anderes, verſchiede- nes. Ueber das allgemeine Intereſſe beider Par- theien koͤnnen Mißverſtaͤndniſſe obwalten; im Weſentlichen aber iſt es auf beiden Seiten daſ- ſelbe. So doppelgeſtaltig treten ſie vor den Richter. Auch dieſer hat eine doppelte Beſtim- mung: das beſondere Recht aufrecht zu erhal- ten, und Wachsthum und Bluͤthe des allgemei- nen Rechtes und Intereſſe nicht verderben zu laſſen, ſondern zu foͤrdern. Dies nun auf irgend einen vorliegenden Streit angewendet, giebt folgende, durchaus ge- nuͤgende, Inſtruction fuͤr den Richter, welche zu- gleich alle einzelnen Faͤlle umfaßt: 1) Du ſollſt das beiden Partheien gemeinſchaftliche Intereſſe am Ganzen durch Verſtaͤndi- gung vermitteln; und 2) du ſollſt zwi- ſchen dem beſonderen Intereſſe beider ſtreitenden Partheien entſcheiden. — Jeder Richterſpruch ſoll nicht bloß Deciſion, ſondern auch Vergleich ſeyn; das Ganze, oder die allgemeine Rechts-Idee, und das Einzelne, oder das beſondre Recht, ſollen in dem Urtheile mit einander verſoͤhnt werden. Verlaͤugneten

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/205>, abgerufen am 26.05.2024.