ein besondres, individuelles Interesse; 2) ein allgemeines, ein Interesse am Ganzen. Um das besondre Interesse wird gestritten; denn die- ses ist bei jeder Parthei ein anderes, verschiede- nes. Ueber das allgemeine Interesse beider Par- theien können Mißverständnisse obwalten; im Wesentlichen aber ist es auf beiden Seiten das- selbe. So doppelgestaltig treten sie vor den Richter. Auch dieser hat eine doppelte Bestim- mung: das besondere Recht aufrecht zu erhal- ten, und Wachsthum und Blüthe des allgemei- nen Rechtes und Interesse nicht verderben zu lassen, sondern zu fördern.
Dies nun auf irgend einen vorliegenden Streit angewendet, giebt folgende, durchaus ge- nügende, Instruction für den Richter, welche zu- gleich alle einzelnen Fälle umfaßt: 1) Du sollst das beiden Partheien gemeinschaftliche Interesse am Ganzen durch Verständi- gung vermitteln; und 2) du sollst zwi- schen dem besonderen Interesse beider streitenden Partheien entscheiden. -- Jeder Richterspruch soll nicht bloß Decision, sondern auch Vergleich seyn; das Ganze, oder die allgemeine Rechts-Idee, und das Einzelne, oder das besondre Recht, sollen in dem Urtheile mit einander versöhnt werden. Verläugneten
ein beſondres, individuelles Intereſſe; 2) ein allgemeines, ein Intereſſe am Ganzen. Um das beſondre Intereſſe wird geſtritten; denn die- ſes iſt bei jeder Parthei ein anderes, verſchiede- nes. Ueber das allgemeine Intereſſe beider Par- theien koͤnnen Mißverſtaͤndniſſe obwalten; im Weſentlichen aber iſt es auf beiden Seiten daſ- ſelbe. So doppelgeſtaltig treten ſie vor den Richter. Auch dieſer hat eine doppelte Beſtim- mung: das beſondere Recht aufrecht zu erhal- ten, und Wachsthum und Bluͤthe des allgemei- nen Rechtes und Intereſſe nicht verderben zu laſſen, ſondern zu foͤrdern.
Dies nun auf irgend einen vorliegenden Streit angewendet, giebt folgende, durchaus ge- nuͤgende, Inſtruction fuͤr den Richter, welche zu- gleich alle einzelnen Faͤlle umfaßt: 1) Du ſollſt das beiden Partheien gemeinſchaftliche Intereſſe am Ganzen durch Verſtaͤndi- gung vermitteln; und 2) du ſollſt zwi- ſchen dem beſonderen Intereſſe beider ſtreitenden Partheien entſcheiden. — Jeder Richterſpruch ſoll nicht bloß Deciſion, ſondern auch Vergleich ſeyn; das Ganze, oder die allgemeine Rechts-Idee, und das Einzelne, oder das beſondre Recht, ſollen in dem Urtheile mit einander verſoͤhnt werden. Verlaͤugneten
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ein beſondres, individuelles Intereſſe; 2) ein
allgemeines, ein Intereſſe am Ganzen. Um
das beſondre Intereſſe wird geſtritten; denn die-
ſes iſt bei jeder Parthei ein anderes, verſchiede-
nes. Ueber das allgemeine Intereſſe beider Par-
theien koͤnnen Mißverſtaͤndniſſe obwalten; im
Weſentlichen aber iſt es auf beiden Seiten daſ-
ſelbe. So doppelgeſtaltig treten ſie vor den
Richter. Auch dieſer hat eine doppelte Beſtim-
mung: das beſondere Recht aufrecht zu erhal-
ten, und Wachsthum und Bluͤthe des allgemei-
nen Rechtes und Intereſſe nicht verderben zu
laſſen, ſondern zu foͤrdern.
Dies nun auf irgend einen vorliegenden
Streit angewendet, giebt folgende, durchaus ge-
nuͤgende, Inſtruction fuͤr den Richter, welche zu-
gleich alle einzelnen Faͤlle umfaßt: 1) Du ſollſt
das beiden Partheien gemeinſchaftliche
Intereſſe am Ganzen durch Verſtaͤndi-
gung vermitteln; und 2) du ſollſt zwi-
ſchen dem beſonderen Intereſſe beider
ſtreitenden Partheien entſcheiden. —
Jeder Richterſpruch ſoll nicht bloß Deciſion,
ſondern auch Vergleich ſeyn; das Ganze, oder
die allgemeine Rechts-Idee, und das Einzelne,
oder das beſondre Recht, ſollen in dem Urtheile
mit einander verſoͤhnt werden. Verlaͤugneten
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/205>, abgerufen am 22.11.2024.
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