blicke der Noth, nicht nach Willkühr verfü- gen. --
Freilich sind die Gedanken zollfrei; freilich will es etwas anderes sagen, die Herzen der Menschen zu regieren, als ihre Hände und Beine; freilich gehören, wenn man den Menschen ein- mal zerstückeln will, ganz andre Mächte dazu, die Geister als die Leiber in ein kräftiges Ganze zu verbinden: aber wie kann denn die Theorie behaupten, die Leiber könnten, ohne die Gei- ster, für die Ewigkeit verbunden seyn! Wie kann sie einen Haufen von Händen und Beinen "einen Staat" nennen! Wo der Kern des menschlichen Wesens liege; wo man den Punkt im Menschen suchen müsse, in welchem alles leibliche und geistige Interesse zusammen tritt, damit, wer diese Festung erobert habe, nun Herr des Ganzen sey: das ist die Frage; dort müßt ihr eure Hebel, eure Bänder anlegen, wenn ein Staat werden soll. -- Der Staat hat es eben sowohl mit der Sitte, als mit dem Rechte zu thun; der Suverän muß die große Vereini- gung eben sowohl zusammen reitzen, als zu- sammen zwingen. Was heißt Gesetz, wenn das Heiligste, die innersten Angelegenheiten des Menschen, hors de la loi stehen?
Seit den Zeiten der Kirchen-Reformation
blicke der Noth, nicht nach Willkuͤhr verfuͤ- gen. —
Freilich ſind die Gedanken zollfrei; freilich will es etwas anderes ſagen, die Herzen der Menſchen zu regieren, als ihre Haͤnde und Beine; freilich gehoͤren, wenn man den Menſchen ein- mal zerſtuͤckeln will, ganz andre Maͤchte dazu, die Geiſter als die Leiber in ein kraͤftiges Ganze zu verbinden: aber wie kann denn die Theorie behaupten, die Leiber koͤnnten, ohne die Gei- ſter, fuͤr die Ewigkeit verbunden ſeyn! Wie kann ſie einen Haufen von Haͤnden und Beinen „einen Staat” nennen! Wo der Kern des menſchlichen Weſens liege; wo man den Punkt im Menſchen ſuchen muͤſſe, in welchem alles leibliche und geiſtige Intereſſe zuſammen tritt, damit, wer dieſe Feſtung erobert habe, nun Herr des Ganzen ſey: das iſt die Frage; dort muͤßt ihr eure Hebel, eure Baͤnder anlegen, wenn ein Staat werden ſoll. — Der Staat hat es eben ſowohl mit der Sitte, als mit dem Rechte zu thun; der Suveraͤn muß die große Vereini- gung eben ſowohl zuſammen reitzen, als zu- ſammen zwingen. Was heißt Geſetz, wenn das Heiligſte, die innerſten Angelegenheiten des Menſchen, hors de la loi ſtehen?
Seit den Zeiten der Kirchen-Reformation
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0080"n="46"/>
blicke der Noth, nicht nach Willkuͤhr verfuͤ-<lb/>
gen. —</p><lb/><p>Freilich ſind die <hirendition="#g">Gedanken</hi> zollfrei; freilich<lb/>
will es etwas anderes ſagen, die <hirendition="#g">Herzen</hi> der<lb/>
Menſchen zu regieren, als ihre Haͤnde und Beine;<lb/>
freilich gehoͤren, wenn man den Menſchen ein-<lb/>
mal zerſtuͤckeln will, ganz andre Maͤchte dazu,<lb/>
die Geiſter als die Leiber in ein kraͤftiges Ganze<lb/>
zu verbinden: aber wie kann denn die Theorie<lb/>
behaupten, die Leiber koͤnnten, ohne die Gei-<lb/>ſter, fuͤr die Ewigkeit verbunden ſeyn! Wie<lb/>
kann ſie einen Haufen von Haͤnden und Beinen<lb/>„<hirendition="#g">einen Staat</hi>” nennen! Wo der <hirendition="#g">Kern</hi> des<lb/>
menſchlichen Weſens liege; wo man den Punkt<lb/>
im Menſchen ſuchen muͤſſe, in welchem alles<lb/>
leibliche und geiſtige Intereſſe zuſammen tritt,<lb/>
damit, wer dieſe Feſtung erobert habe, nun Herr<lb/>
des Ganzen ſey: das iſt die Frage; dort muͤßt<lb/>
ihr eure Hebel, eure Baͤnder anlegen, wenn ein<lb/>
Staat werden ſoll. — Der Staat hat es eben<lb/>ſowohl mit der <hirendition="#g">Sitte</hi>, als mit dem <hirendition="#g">Rechte</hi><lb/>
zu thun; der Suveraͤn muß die große Vereini-<lb/>
gung eben ſowohl zuſammen <hirendition="#g">reitzen</hi>, als zu-<lb/>ſammen <hirendition="#g">zwingen</hi>. Was heißt Geſetz, wenn<lb/>
das Heiligſte, die innerſten Angelegenheiten des<lb/>
Menſchen, <hirendition="#aq">hors de la loi</hi>ſtehen?</p><lb/><p>Seit den Zeiten der Kirchen-Reformation<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[46/0080]
blicke der Noth, nicht nach Willkuͤhr verfuͤ-
gen. —
Freilich ſind die Gedanken zollfrei; freilich
will es etwas anderes ſagen, die Herzen der
Menſchen zu regieren, als ihre Haͤnde und Beine;
freilich gehoͤren, wenn man den Menſchen ein-
mal zerſtuͤckeln will, ganz andre Maͤchte dazu,
die Geiſter als die Leiber in ein kraͤftiges Ganze
zu verbinden: aber wie kann denn die Theorie
behaupten, die Leiber koͤnnten, ohne die Gei-
ſter, fuͤr die Ewigkeit verbunden ſeyn! Wie
kann ſie einen Haufen von Haͤnden und Beinen
„einen Staat” nennen! Wo der Kern des
menſchlichen Weſens liege; wo man den Punkt
im Menſchen ſuchen muͤſſe, in welchem alles
leibliche und geiſtige Intereſſe zuſammen tritt,
damit, wer dieſe Feſtung erobert habe, nun Herr
des Ganzen ſey: das iſt die Frage; dort muͤßt
ihr eure Hebel, eure Baͤnder anlegen, wenn ein
Staat werden ſoll. — Der Staat hat es eben
ſowohl mit der Sitte, als mit dem Rechte
zu thun; der Suveraͤn muß die große Vereini-
gung eben ſowohl zuſammen reitzen, als zu-
ſammen zwingen. Was heißt Geſetz, wenn
das Heiligſte, die innerſten Angelegenheiten des
Menſchen, hors de la loi ſtehen?
Seit den Zeiten der Kirchen-Reformation
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/80>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.