Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

gleichen möchte, besonders auf einen Geist sanf-
ter Menschlichkeit, womit sie den spröden, feind-
seligen, hochmüthigen Geist der Israeliten däm-
pfen wollen. Weder hier die Gesetzgeber, noch
dort die Propheten dringen durch: äußerlich wur-
den beide Rom unterthan, wenn sie es auch
beide überlebten.

Wenn aber Rom länger als irgend eine andre
welterobernde Macht siegreich bestanden hat, so
liegt der Hauptgrund hiervon darin, daß es eigent-
lich nie der Welt neue Formen, oder seine Sprache,
seine Gesetze, seine Götter aufdringen wollte,
sondern daß es zufrieden blieb mit seiner eig-
nen, concentrirten Verfassung, und sich damit
begnügte, alle Schätze der Welt im Laufe der
Zeit mehr und mehr nach Rom zu leiten, und
die unterworfenen Länder mit halb militärischen,
halb diplomatischen Ketten an Rom zu binden.
Ob bestochen und gefangen durch List, oder ob
sie wirklich überwunden wären, darüber blieben
die unterjochten Völker meistens in Ungewißheit;
denn die äußeren Formen der Herrschaft und des
Gesetzes, die Sitten, das Kunst- und Philoso-
phie-Spiel blieb, im Ganzen, wie es war; Rom
ging wohl gar bei den eignen Sklaven in die
Schule, und gestand auch die geistige Ueberlegen-
heit derselben, vor allem der Griechen, gern ein.

Müllers Elemente. II. [4]

gleichen moͤchte, beſonders auf einen Geiſt ſanf-
ter Menſchlichkeit, womit ſie den ſproͤden, feind-
ſeligen, hochmuͤthigen Geiſt der Iſraeliten daͤm-
pfen wollen. Weder hier die Geſetzgeber, noch
dort die Propheten dringen durch: aͤußerlich wur-
den beide Rom unterthan, wenn ſie es auch
beide uͤberlebten.

Wenn aber Rom laͤnger als irgend eine andre
welterobernde Macht ſiegreich beſtanden hat, ſo
liegt der Hauptgrund hiervon darin, daß es eigent-
lich nie der Welt neue Formen, oder ſeine Sprache,
ſeine Geſetze, ſeine Goͤtter aufdringen wollte,
ſondern daß es zufrieden blieb mit ſeiner eig-
nen, concentrirten Verfaſſung, und ſich damit
begnuͤgte, alle Schaͤtze der Welt im Laufe der
Zeit mehr und mehr nach Rom zu leiten, und
die unterworfenen Laͤnder mit halb militaͤriſchen,
halb diplomatiſchen Ketten an Rom zu binden.
Ob beſtochen und gefangen durch Liſt, oder ob
ſie wirklich uͤberwunden waͤren, daruͤber blieben
die unterjochten Voͤlker meiſtens in Ungewißheit;
denn die aͤußeren Formen der Herrſchaft und des
Geſetzes, die Sitten, das Kunſt- und Philoſo-
phie-Spiel blieb, im Ganzen, wie es war; Rom
ging wohl gar bei den eignen Sklaven in die
Schule, und geſtand auch die geiſtige Ueberlegen-
heit derſelben, vor allem der Griechen, gern ein.

Müllers Elemente. II. [4]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0057" n="49"/>
gleichen mo&#x0364;chte, be&#x017F;onders auf einen Gei&#x017F;t &#x017F;anf-<lb/>
ter Men&#x017F;chlichkeit, womit &#x017F;ie den &#x017F;pro&#x0364;den, feind-<lb/>
&#x017F;eligen, hochmu&#x0364;thigen Gei&#x017F;t der I&#x017F;raeliten da&#x0364;m-<lb/>
pfen wollen. Weder hier die Ge&#x017F;etzgeber, noch<lb/>
dort die Propheten dringen durch: a&#x0364;ußerlich wur-<lb/>
den beide Rom unterthan, wenn &#x017F;ie es auch<lb/>
beide u&#x0364;berlebten.</p><lb/>
            <p>Wenn aber Rom la&#x0364;nger als irgend eine andre<lb/>
welterobernde Macht &#x017F;iegreich be&#x017F;tanden hat, &#x017F;o<lb/>
liegt der Hauptgrund hiervon darin, daß es eigent-<lb/>
lich nie der Welt neue Formen, oder &#x017F;eine Sprache,<lb/>
&#x017F;eine Ge&#x017F;etze, &#x017F;eine Go&#x0364;tter aufdringen wollte,<lb/>
&#x017F;ondern daß es zufrieden blieb mit &#x017F;einer eig-<lb/>
nen, concentrirten Verfa&#x017F;&#x017F;ung, und &#x017F;ich damit<lb/>
begnu&#x0364;gte, alle Scha&#x0364;tze der Welt im Laufe der<lb/>
Zeit mehr und mehr nach Rom zu leiten, und<lb/>
die unterworfenen La&#x0364;nder mit halb milita&#x0364;ri&#x017F;chen,<lb/>
halb diplomati&#x017F;chen Ketten an Rom zu binden.<lb/>
Ob be&#x017F;tochen und gefangen durch Li&#x017F;t, oder ob<lb/>
&#x017F;ie wirklich u&#x0364;berwunden wa&#x0364;ren, daru&#x0364;ber blieben<lb/>
die unterjochten Vo&#x0364;lker mei&#x017F;tens in Ungewißheit;<lb/>
denn die a&#x0364;ußeren Formen der Herr&#x017F;chaft und des<lb/>
Ge&#x017F;etzes, die Sitten, das Kun&#x017F;t- und Philo&#x017F;o-<lb/>
phie-Spiel blieb, im Ganzen, wie es war; Rom<lb/>
ging wohl gar bei den eignen Sklaven in die<lb/>
Schule, und ge&#x017F;tand auch die gei&#x017F;tige Ueberlegen-<lb/>
heit der&#x017F;elben, vor allem der Griechen, gern ein.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Müllers Elemente. <hi rendition="#aq">II.</hi> [4]</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0057] gleichen moͤchte, beſonders auf einen Geiſt ſanf- ter Menſchlichkeit, womit ſie den ſproͤden, feind- ſeligen, hochmuͤthigen Geiſt der Iſraeliten daͤm- pfen wollen. Weder hier die Geſetzgeber, noch dort die Propheten dringen durch: aͤußerlich wur- den beide Rom unterthan, wenn ſie es auch beide uͤberlebten. Wenn aber Rom laͤnger als irgend eine andre welterobernde Macht ſiegreich beſtanden hat, ſo liegt der Hauptgrund hiervon darin, daß es eigent- lich nie der Welt neue Formen, oder ſeine Sprache, ſeine Geſetze, ſeine Goͤtter aufdringen wollte, ſondern daß es zufrieden blieb mit ſeiner eig- nen, concentrirten Verfaſſung, und ſich damit begnuͤgte, alle Schaͤtze der Welt im Laufe der Zeit mehr und mehr nach Rom zu leiten, und die unterworfenen Laͤnder mit halb militaͤriſchen, halb diplomatiſchen Ketten an Rom zu binden. Ob beſtochen und gefangen durch Liſt, oder ob ſie wirklich uͤberwunden waͤren, daruͤber blieben die unterjochten Voͤlker meiſtens in Ungewißheit; denn die aͤußeren Formen der Herrſchaft und des Geſetzes, die Sitten, das Kunſt- und Philoſo- phie-Spiel blieb, im Ganzen, wie es war; Rom ging wohl gar bei den eignen Sklaven in die Schule, und geſtand auch die geiſtige Ueberlegen- heit derſelben, vor allem der Griechen, gern ein. Müllers Elemente. II. [4]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/57
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/57>, abgerufen am 27.11.2024.