mir nicht den Einwurf, es wären augenblickliche, unerhörte und zufällige Calamitäten, welche die gegenwärtige Verwirrung und Unsicherheit in das Eigenthum und in den Handel gebracht hät- ten! Es sind ewige, unumgängliche, auch sicht- bare Gesetze, nach denen alle einseitige Sicher- heit des äußeren Besitzes innerliche Unsicherheit des Gemüths, nach denen die geordnetste Abhän- gigkeit des Menschen von Sachen und vom Be- sitz auch seine persönliche Abhängigkeit nothwen- dig nach sich ziehen muß. Alle die schönen und consequenten Verordnungen über das Privat- Eigenthum dauern fort; aber wo ist die oberste suveräne Garantie geblieben, welche die condi- tio sine qua non alles Besitzstandes ist? wo das Gefühl gemeinschaftlicher Unabhängigkeit, wel- ches allem Eigenthum erst Reitz und Leben giebt? wo die unendliche Aussicht auf die Zukunft und auf Erweiterung, die mehr werth ist, als das dermalige Innehaben, Festhalten und Einschlie- ßen? --
Darum durfte ich, als ich über den Staat öffentlich zu reden unternahm, es nicht dabei be- wenden lassen, zu zeigen, wie Dieses und Jenes nach gewissen natürlichen Gesetzen des Neben- einander-Lebens der Menschen Rechtens sey, und Derjenige ein Verräther und Frevler, wel-
mir nicht den Einwurf, es waͤren augenblickliche, unerhoͤrte und zufaͤllige Calamitaͤten, welche die gegenwaͤrtige Verwirrung und Unſicherheit in das Eigenthum und in den Handel gebracht haͤt- ten! Es ſind ewige, unumgaͤngliche, auch ſicht- bare Geſetze, nach denen alle einſeitige Sicher- heit des aͤußeren Beſitzes innerliche Unſicherheit des Gemuͤths, nach denen die geordnetſte Abhaͤn- gigkeit des Menſchen von Sachen und vom Be- ſitz auch ſeine perſoͤnliche Abhaͤngigkeit nothwen- dig nach ſich ziehen muß. Alle die ſchoͤnen und conſequenten Verordnungen uͤber das Privat- Eigenthum dauern fort; aber wo iſt die oberſte ſuveraͤne Garantie geblieben, welche die condi- tio sine qua non alles Beſitzſtandes iſt? wo das Gefuͤhl gemeinſchaftlicher Unabhaͤngigkeit, wel- ches allem Eigenthum erſt Reitz und Leben giebt? wo die unendliche Ausſicht auf die Zukunft und auf Erweiterung, die mehr werth iſt, als das dermalige Innehaben, Feſthalten und Einſchlie- ßen? —
Darum durfte ich, als ich uͤber den Staat oͤffentlich zu reden unternahm, es nicht dabei be- wenden laſſen, zu zeigen, wie Dieſes und Jenes nach gewiſſen natuͤrlichen Geſetzen des Neben- einander-Lebens der Menſchen Rechtens ſey, und Derjenige ein Verraͤther und Frevler, wel-
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mir nicht den Einwurf, es waͤren augenblickliche,
unerhoͤrte und zufaͤllige Calamitaͤten, welche die
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das Eigenthum und in den Handel gebracht haͤt-
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heit des aͤußeren Beſitzes innerliche Unſicherheit
des Gemuͤths, nach denen die geordnetſte Abhaͤn-
gigkeit des Menſchen von Sachen und vom Be-
ſitz auch ſeine perſoͤnliche Abhaͤngigkeit nothwen-
dig nach ſich ziehen muß. Alle die ſchoͤnen und
conſequenten Verordnungen uͤber das Privat-
Eigenthum dauern fort; aber wo iſt die oberſte
ſuveraͤne Garantie geblieben, welche die condi-
tio sine qua non alles Beſitzſtandes iſt? wo das
Gefuͤhl gemeinſchaftlicher Unabhaͤngigkeit, wel-
ches allem Eigenthum erſt Reitz und Leben giebt?
wo die unendliche Ausſicht auf die Zukunft und
auf Erweiterung, die mehr werth iſt, als das
dermalige Innehaben, Feſthalten und Einſchlie-
ßen? —
Darum durfte ich, als ich uͤber den Staat
oͤffentlich zu reden unternahm, es nicht dabei be-
wenden laſſen, zu zeigen, wie Dieſes und Jenes
nach gewiſſen natuͤrlichen Geſetzen des Neben-
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und Derjenige ein Verraͤther und Frevler, wel-
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/92>, abgerufen am 23.11.2024.
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