ein freudiger und kein gezwungener, wobei sie sich selten unglücklich fühlt. Eine japanische Frau findet die Mahnung des Apostels Paulus für selbstverständlich: "Die Weiber seien unterthan ihren Männern, als dem Herrn; denn der Mann ist des Weibes Haupt". Daß sie in der Stille ihres Herzens hinzufügen mag: "Doch was darüber ist, das ist vom Übel"; daß sie nämlich nur mit Seufzen des konfuzianischen Zusatzes gedenkt: "Die Weiber seien unterthan ihrem Schwiegervater und besonders ihrer Schwiegermutter!" wird ihnen niemand verdenken. Die junge Frau folgt immer ihrem Manne in dessen elterliches Haus, und das Zusammenleben mit den Schwiegereltern wird in unzähligen Fällen zur Veranlassung der Ehescheidung. Denn zwischen Mann und Frau soll niemand treten, und die beiden sollen ein Fleisch und ein Herz sein.
Es bedarf keiner besonderen sittlichen Empfindungen, um einzusehen, daß mit Bezug auf die Stellung des weiblichen Geschlechts in Japan dem Christentum eine ebenso zarte, als dankbare Aufgabe gestellt ist. Bis jetzt müssen vorzugsweise die Amerikaner als diejenigen bezeichnet werden, welche in das japanische Familien- leben reformierend einzugreifen versuchen. Wenn aber in diesem von den Gedanken der Frauenemanzipation tief durchdrungenen Volke Millionen das oben erwähnte Wort des Apostels geradezu auf den Kopf stellen, so ist es doch noch, zumal unter den eigentümlichen Ver- hältnissen Japans, sehr zweifelhaft, wer mehr auf dem Holzwege ist, sie oder die Japaner. Eine Umfrage unter den Fremden in Japan würde überraschende Antworten zu Tage bringen. Den meisten erscheint die sich bescheidende Zurückhaltung der Japanerin als etwas ungemein Anziehendes, und dieses gewiß nicht lediglich
ein freudiger und kein gezwungener, wobei ſie ſich ſelten unglücklich fühlt. Eine japaniſche Frau findet die Mahnung des Apoſtels Paulus für ſelbſtverſtändlich: „Die Weiber ſeien unterthan ihren Männern, als dem Herrn; denn der Mann iſt des Weibes Haupt“. Daß ſie in der Stille ihres Herzens hinzufügen mag: „Doch was darüber iſt, das iſt vom Übel“; daß ſie nämlich nur mit Seufzen des konfuzianiſchen Zuſatzes gedenkt: „Die Weiber ſeien unterthan ihrem Schwiegervater und beſonders ihrer Schwiegermutter!“ wird ihnen niemand verdenken. Die junge Frau folgt immer ihrem Manne in deſſen elterliches Haus, und das Zuſammenleben mit den Schwiegereltern wird in unzähligen Fällen zur Veranlaſſung der Eheſcheidung. Denn zwiſchen Mann und Frau ſoll niemand treten, und die beiden ſollen ein Fleiſch und ein Herz ſein.
Es bedarf keiner beſonderen ſittlichen Empfindungen, um einzuſehen, daß mit Bezug auf die Stellung des weiblichen Geſchlechts in Japan dem Chriſtentum eine ebenſo zarte, als dankbare Aufgabe geſtellt iſt. Bis jetzt müſſen vorzugsweiſe die Amerikaner als diejenigen bezeichnet werden, welche in das japaniſche Familien- leben reformierend einzugreifen verſuchen. Wenn aber in dieſem von den Gedanken der Frauenemanzipation tief durchdrungenen Volke Millionen das oben erwähnte Wort des Apoſtels geradezu auf den Kopf ſtellen, ſo iſt es doch noch, zumal unter den eigentümlichen Ver- hältniſſen Japans, ſehr zweifelhaft, wer mehr auf dem Holzwege iſt, ſie oder die Japaner. Eine Umfrage unter den Fremden in Japan würde überraſchende Antworten zu Tage bringen. Den meiſten erſcheint die ſich beſcheidende Zurückhaltung der Japanerin als etwas ungemein Anziehendes, und dieſes gewiß nicht lediglich
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ein freudiger und kein gezwungener, wobei ſie ſich
ſelten unglücklich fühlt. Eine japaniſche Frau findet
die Mahnung des Apoſtels Paulus für ſelbſtverſtändlich:
„Die Weiber ſeien unterthan ihren Männern, als dem
Herrn; denn der Mann iſt des Weibes Haupt“. Daß
ſie in der Stille ihres Herzens hinzufügen mag: „Doch
was darüber iſt, das iſt vom Übel“; daß ſie nämlich
nur mit Seufzen des konfuzianiſchen Zuſatzes gedenkt:
„Die Weiber ſeien unterthan ihrem Schwiegervater und
beſonders ihrer Schwiegermutter!“ wird ihnen niemand
verdenken. Die junge Frau folgt immer ihrem Manne
in deſſen elterliches Haus, und das Zuſammenleben mit
den Schwiegereltern wird in unzähligen Fällen zur
Veranlaſſung der Eheſcheidung. Denn zwiſchen Mann
und Frau ſoll niemand treten, und die beiden ſollen
ein Fleiſch und ein Herz ſein.
Es bedarf keiner beſonderen ſittlichen Empfindungen,
um einzuſehen, daß mit Bezug auf die Stellung des
weiblichen Geſchlechts in Japan dem Chriſtentum eine
ebenſo zarte, als dankbare Aufgabe geſtellt iſt. Bis
jetzt müſſen vorzugsweiſe die Amerikaner als diejenigen
bezeichnet werden, welche in das japaniſche Familien-
leben reformierend einzugreifen verſuchen. Wenn aber
in dieſem von den Gedanken der Frauenemanzipation
tief durchdrungenen Volke Millionen das oben erwähnte
Wort des Apoſtels geradezu auf den Kopf ſtellen, ſo
iſt es doch noch, zumal unter den eigentümlichen Ver-
hältniſſen Japans, ſehr zweifelhaft, wer mehr auf dem
Holzwege iſt, ſie oder die Japaner. Eine Umfrage
unter den Fremden in Japan würde überraſchende
Antworten zu Tage bringen. Den meiſten erſcheint die
ſich beſcheidende Zurückhaltung der Japanerin als etwas
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/152>, abgerufen am 21.11.2024.
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