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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Susano aber, welcher meinte, bei der Teilung zu
kurz gekommen zu sein, grollte seiner bevorzugten Schwester
Amaterasu. Unter dem Vorwande, sie besuchen zu wollen,
stieg er einst auf und stürmte hinauf nach dem Himmel.
Wütend durchbrach er das Dach der heiligen Webehalle,
darinnen die Göttin die Kleider der Götter weben ließ,
daß Amaterasu, empört ob solcher Gewaltthat, mit den
ihrigen entfloh. Sie schloß sich in eine Höhle ein und
wälzte einen großen Stein davor. Nun aber war große
Not. Das Licht war gegangen und auf Himmel und
Erde lag tiefe Finsternis. Da hielten ihre Gefährtinnen
einen Rat, wie sie sie mit List wieder herausbekämen.
Sie machten eine Schnur von kostbaren Edelsteinen
und fertigten einen glänzenden Spiegel. Eine Gottheit
fing an zu tanzen, und die andern lachten und jauchzten.
Als nun Amaterasu drinnen in der Höhle den Reigen
hörte, wurde sie neugierig und lüftete ein klein wenig
den Stein. Da brachten die Götter, um sie zu locken,
die Edelsteinschnur an die Spalte und hielten ihr den
Spiegel vor ihre Augen. Da sah sie ein wunderschönes
Angesicht und voll Begierde, die holde Unbekannte noch
deutlicher zu sehen, rückte sie den Stein noch weiter
weg. Da aber griffen die ihrigen zu, schoben den
Stein ganz beiseite und zogen ihre Herrin im Triumph
aus der Höhle heraus. Susano wurde überwältigt und
aus dem Palast des Himmels hinausgeworfen.

Zur Erde zurückgekehrt, kam Susano nach der Pro-
vinz Izumo. Da sah er einen alten Mann und eine
Frau mit einem jungen Mädchen, die saßen zusammen
und weinten. Er fragte sie, warum sie so traurig seien?
Der alte Mann aber sprach: "Einst hatten wir acht
Töchter. Aber in jedem Jahr kam eine achtköpfige
Schlange und verschlang eine von ihnen. So haben

Suſano aber, welcher meinte, bei der Teilung zu
kurz gekommen zu ſein, grollte ſeiner bevorzugten Schweſter
Amateraſu. Unter dem Vorwande, ſie beſuchen zu wollen,
ſtieg er einſt auf und ſtürmte hinauf nach dem Himmel.
Wütend durchbrach er das Dach der heiligen Webehalle,
darinnen die Göttin die Kleider der Götter weben ließ,
daß Amateraſu, empört ob ſolcher Gewaltthat, mit den
ihrigen entfloh. Sie ſchloß ſich in eine Höhle ein und
wälzte einen großen Stein davor. Nun aber war große
Not. Das Licht war gegangen und auf Himmel und
Erde lag tiefe Finſternis. Da hielten ihre Gefährtinnen
einen Rat, wie ſie ſie mit Liſt wieder herausbekämen.
Sie machten eine Schnur von koſtbaren Edelſteinen
und fertigten einen glänzenden Spiegel. Eine Gottheit
fing an zu tanzen, und die andern lachten und jauchzten.
Als nun Amateraſu drinnen in der Höhle den Reigen
hörte, wurde ſie neugierig und lüftete ein klein wenig
den Stein. Da brachten die Götter, um ſie zu locken,
die Edelſteinſchnur an die Spalte und hielten ihr den
Spiegel vor ihre Augen. Da ſah ſie ein wunderſchönes
Angeſicht und voll Begierde, die holde Unbekannte noch
deutlicher zu ſehen, rückte ſie den Stein noch weiter
weg. Da aber griffen die ihrigen zu, ſchoben den
Stein ganz beiſeite und zogen ihre Herrin im Triumph
aus der Höhle heraus. Suſano wurde überwältigt und
aus dem Palaſt des Himmels hinausgeworfen.

Zur Erde zurückgekehrt, kam Suſano nach der Pro-
vinz Izumo. Da ſah er einen alten Mann und eine
Frau mit einem jungen Mädchen, die ſaßen zuſammen
und weinten. Er fragte ſie, warum ſie ſo traurig ſeien?
Der alte Mann aber ſprach: „Einſt hatten wir acht
Töchter. Aber in jedem Jahr kam eine achtköpfige
Schlange und verſchlang eine von ihnen. So haben

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[194/0208] Suſano aber, welcher meinte, bei der Teilung zu kurz gekommen zu ſein, grollte ſeiner bevorzugten Schweſter Amateraſu. Unter dem Vorwande, ſie beſuchen zu wollen, ſtieg er einſt auf und ſtürmte hinauf nach dem Himmel. Wütend durchbrach er das Dach der heiligen Webehalle, darinnen die Göttin die Kleider der Götter weben ließ, daß Amateraſu, empört ob ſolcher Gewaltthat, mit den ihrigen entfloh. Sie ſchloß ſich in eine Höhle ein und wälzte einen großen Stein davor. Nun aber war große Not. Das Licht war gegangen und auf Himmel und Erde lag tiefe Finſternis. Da hielten ihre Gefährtinnen einen Rat, wie ſie ſie mit Liſt wieder herausbekämen. Sie machten eine Schnur von koſtbaren Edelſteinen und fertigten einen glänzenden Spiegel. Eine Gottheit fing an zu tanzen, und die andern lachten und jauchzten. Als nun Amateraſu drinnen in der Höhle den Reigen hörte, wurde ſie neugierig und lüftete ein klein wenig den Stein. Da brachten die Götter, um ſie zu locken, die Edelſteinſchnur an die Spalte und hielten ihr den Spiegel vor ihre Augen. Da ſah ſie ein wunderſchönes Angeſicht und voll Begierde, die holde Unbekannte noch deutlicher zu ſehen, rückte ſie den Stein noch weiter weg. Da aber griffen die ihrigen zu, ſchoben den Stein ganz beiſeite und zogen ihre Herrin im Triumph aus der Höhle heraus. Suſano wurde überwältigt und aus dem Palaſt des Himmels hinausgeworfen. Zur Erde zurückgekehrt, kam Suſano nach der Pro- vinz Izumo. Da ſah er einen alten Mann und eine Frau mit einem jungen Mädchen, die ſaßen zuſammen und weinten. Er fragte ſie, warum ſie ſo traurig ſeien? Der alte Mann aber ſprach: „Einſt hatten wir acht Töchter. Aber in jedem Jahr kam eine achtköpfige Schlange und verſchlang eine von ihnen. So haben

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/208>, abgerufen am 21.11.2024.