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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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holen die Priester den großen Drachenkopf, die Maske
der Gottheit, hervor, um in festlichem Umzug ein
feierliches "Amagoi" nach dem Wasserfall zu unter-
nehmen, wo man durch Untertauchen des Drachenkopfes
den Gott fühlbar an das nasse Element erinnert.
Dieser ebenso nachdrücklichen als ehrenden Prozedur,
so glaubt man, kann der Kami gewiß nicht widerstehen.

Wie Schmiedel berichtet, sind aber "die Priester
nicht allein Wettermacher für den einzelnen Fall, sondern
auch Propheten der im Jahr zu erwartenden Frucht-
barkeit. Im Frühjahr findet nämlich folgende Ceremonie
statt. Ein Priester nimmt im Beisein anderer den
Schenkelknochen eines Hochwilds, legt ihn auf ein Stück
Papier und zeichnet ihn darauf ab, teilt dann das
Nachbild auf dem Papier in so viel gleiche Teile ein,
als Getreidearten auf dem Gebiet wachsen, das zum
Mitaketempel gehört, und merkt die Reihenfolge der-
selben an. Nun wird der Knochen ins Feuer gehalten,
bis er eine Anzahl Risse bekommt. Man legt ihn
darauf wieder auf das Papier und liest an der Anzahl
der Risse ab, wie vielfältig die einzelnen Getreidearten
in diesem Jahre tragen werden".

So rufen die Priester Kabbalismus und Zauberei
zu ihrer Hilfe, und um ihrer Stellung willen thun sie
gut daran; denn es ist sonst nichts, was ihrer Stellung
Halt verleiht. Gottesdienste halten sie nicht. Seelsorge
ist ihnen gänzlich unbekannt. Selbst bei Beerdigungen
werden sie selten, die Mitakepriester nie, in Anspruch
genommen, da man die Toten in der Regel buddhistisch
beerdigen läßt. Jugendunterricht kümmert sie nicht.
In den weltlichen Fächern sind die wenigsten unter
ihnen, die Landpriester vollends nicht genugsam be-
schlagen, und Religionsunterricht können sie schon darum

holen die Prieſter den großen Drachenkopf, die Maske
der Gottheit, hervor, um in feſtlichem Umzug ein
feierliches „Amagoi“ nach dem Waſſerfall zu unter-
nehmen, wo man durch Untertauchen des Drachenkopfes
den Gott fühlbar an das naſſe Element erinnert.
Dieſer ebenſo nachdrücklichen als ehrenden Prozedur,
ſo glaubt man, kann der Kami gewiß nicht widerſtehen.

Wie Schmiedel berichtet, ſind aber „die Prieſter
nicht allein Wettermacher für den einzelnen Fall, ſondern
auch Propheten der im Jahr zu erwartenden Frucht-
barkeit. Im Frühjahr findet nämlich folgende Ceremonie
ſtatt. Ein Prieſter nimmt im Beiſein anderer den
Schenkelknochen eines Hochwilds, legt ihn auf ein Stück
Papier und zeichnet ihn darauf ab, teilt dann das
Nachbild auf dem Papier in ſo viel gleiche Teile ein,
als Getreidearten auf dem Gebiet wachſen, das zum
Mitaketempel gehört, und merkt die Reihenfolge der-
ſelben an. Nun wird der Knochen ins Feuer gehalten,
bis er eine Anzahl Riſſe bekommt. Man legt ihn
darauf wieder auf das Papier und lieſt an der Anzahl
der Riſſe ab, wie vielfältig die einzelnen Getreidearten
in dieſem Jahre tragen werden“.

So rufen die Prieſter Kabbalismus und Zauberei
zu ihrer Hilfe, und um ihrer Stellung willen thun ſie
gut daran; denn es iſt ſonſt nichts, was ihrer Stellung
Halt verleiht. Gottesdienſte halten ſie nicht. Seelſorge
iſt ihnen gänzlich unbekannt. Selbſt bei Beerdigungen
werden ſie ſelten, die Mitakeprieſter nie, in Anſpruch
genommen, da man die Toten in der Regel buddhiſtiſch
beerdigen läßt. Jugendunterricht kümmert ſie nicht.
In den weltlichen Fächern ſind die wenigſten unter
ihnen, die Landprieſter vollends nicht genugſam be-
ſchlagen, und Religionsunterricht können ſie ſchon darum

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[207/0221] holen die Prieſter den großen Drachenkopf, die Maske der Gottheit, hervor, um in feſtlichem Umzug ein feierliches „Amagoi“ nach dem Waſſerfall zu unter- nehmen, wo man durch Untertauchen des Drachenkopfes den Gott fühlbar an das naſſe Element erinnert. Dieſer ebenſo nachdrücklichen als ehrenden Prozedur, ſo glaubt man, kann der Kami gewiß nicht widerſtehen. Wie Schmiedel berichtet, ſind aber „die Prieſter nicht allein Wettermacher für den einzelnen Fall, ſondern auch Propheten der im Jahr zu erwartenden Frucht- barkeit. Im Frühjahr findet nämlich folgende Ceremonie ſtatt. Ein Prieſter nimmt im Beiſein anderer den Schenkelknochen eines Hochwilds, legt ihn auf ein Stück Papier und zeichnet ihn darauf ab, teilt dann das Nachbild auf dem Papier in ſo viel gleiche Teile ein, als Getreidearten auf dem Gebiet wachſen, das zum Mitaketempel gehört, und merkt die Reihenfolge der- ſelben an. Nun wird der Knochen ins Feuer gehalten, bis er eine Anzahl Riſſe bekommt. Man legt ihn darauf wieder auf das Papier und lieſt an der Anzahl der Riſſe ab, wie vielfältig die einzelnen Getreidearten in dieſem Jahre tragen werden“. So rufen die Prieſter Kabbalismus und Zauberei zu ihrer Hilfe, und um ihrer Stellung willen thun ſie gut daran; denn es iſt ſonſt nichts, was ihrer Stellung Halt verleiht. Gottesdienſte halten ſie nicht. Seelſorge iſt ihnen gänzlich unbekannt. Selbſt bei Beerdigungen werden ſie ſelten, die Mitakeprieſter nie, in Anſpruch genommen, da man die Toten in der Regel buddhiſtiſch beerdigen läßt. Jugendunterricht kümmert ſie nicht. In den weltlichen Fächern ſind die wenigſten unter ihnen, die Landprieſter vollends nicht genugſam be- ſchlagen, und Religionsunterricht können ſie ſchon darum

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/221>, abgerufen am 21.11.2024.