geistliche Ministerium in Wegfall gekommen ist und nur noch wenige Tempel aus Staatsmitteln unterhalten werden. Aber die eigentliche Volksreligion blieb der im Volk gewurzelte Buddhismus, neben welchem man dem Shintoismus insoweit huldigt, wie das bei der Darstellung des volkstümlichen Shintoismus beschrieben wurde.
Neuerdings ist dem Shintoismus noch einmal eine Chance geworden und zwar nicht von staatlicher, sondern von ethischer Seite. Der Kampf wider das Christentum nötigt die alten Mächte zum Zusammengehen, und selbst alte aufgeklärte Konfuzianisten sehen keine andere Mög- lichkeit des Sieges, als daß sie sich mit dem früher verachteten shintoistischen Aberglauben verbinden. In einem sogen. "Neushintoismus" soll die Verehrung der alten Götter wieder aufleben, und damit die neue Religion auch inneren Halt und Gehalt besitzt, so wird ihr die altjapanische Tugendlehre auf dem Grunde der Pietät und Loyalität eingefügt. Die Idee hat großen Anklang gefunden. Bei einem Feste, welches vor Jahresfrist unter dieser Parole bei den Isetempeln stattfand, sollen eine Viertelmillion Menschen aus allen Teilen des Landes zugegen gewesen sein. Gleichwohl ist es ein Verzweif- lungsakt, und die ihn in Scene gesetzt haben, glauben selbst nicht an die Shintogötter. Die altjapanische Bewegung mag dadurch für eine Weile gestärkt werden, der Shintoismus wird dabei nicht wieder lebendig gemacht; er wird sterben, ob er auch in einzelnen Äuße- rungen seines Aberglaubens noch die Jahrhunderte überdauern wird.
geiſtliche Miniſterium in Wegfall gekommen iſt und nur noch wenige Tempel aus Staatsmitteln unterhalten werden. Aber die eigentliche Volksreligion blieb der im Volk gewurzelte Buddhismus, neben welchem man dem Shintoismus inſoweit huldigt, wie das bei der Darſtellung des volkstümlichen Shintoismus beſchrieben wurde.
Neuerdings iſt dem Shintoismus noch einmal eine Chance geworden und zwar nicht von ſtaatlicher, ſondern von ethiſcher Seite. Der Kampf wider das Chriſtentum nötigt die alten Mächte zum Zuſammengehen, und ſelbſt alte aufgeklärte Konfuzianiſten ſehen keine andere Mög- lichkeit des Sieges, als daß ſie ſich mit dem früher verachteten ſhintoiſtiſchen Aberglauben verbinden. In einem ſogen. „Neuſhintoismus“ ſoll die Verehrung der alten Götter wieder aufleben, und damit die neue Religion auch inneren Halt und Gehalt beſitzt, ſo wird ihr die altjapaniſche Tugendlehre auf dem Grunde der Pietät und Loyalität eingefügt. Die Idee hat großen Anklang gefunden. Bei einem Feſte, welches vor Jahresfriſt unter dieſer Parole bei den Iſetempeln ſtattfand, ſollen eine Viertelmillion Menſchen aus allen Teilen des Landes zugegen geweſen ſein. Gleichwohl iſt es ein Verzweif- lungsakt, und die ihn in Scene geſetzt haben, glauben ſelbſt nicht an die Shintogötter. Die altjapaniſche Bewegung mag dadurch für eine Weile geſtärkt werden, der Shintoismus wird dabei nicht wieder lebendig gemacht; er wird ſterben, ob er auch in einzelnen Äuße- rungen ſeines Aberglaubens noch die Jahrhunderte überdauern wird.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0230"n="216"/>
geiſtliche Miniſterium in Wegfall gekommen iſt und nur<lb/>
noch wenige Tempel aus Staatsmitteln unterhalten<lb/>
werden. Aber die eigentliche Volksreligion blieb der<lb/>
im Volk gewurzelte Buddhismus, neben welchem man<lb/>
dem Shintoismus inſoweit huldigt, wie das bei der<lb/>
Darſtellung des volkstümlichen Shintoismus beſchrieben<lb/>
wurde.</p><lb/><p>Neuerdings iſt dem Shintoismus noch einmal eine<lb/>
Chance geworden und zwar nicht von ſtaatlicher, ſondern<lb/>
von ethiſcher Seite. Der Kampf wider das Chriſtentum<lb/>
nötigt die alten Mächte zum Zuſammengehen, und ſelbſt<lb/>
alte aufgeklärte Konfuzianiſten ſehen keine andere Mög-<lb/>
lichkeit des Sieges, als daß ſie ſich mit dem früher<lb/>
verachteten ſhintoiſtiſchen Aberglauben verbinden. In<lb/>
einem ſogen. „Neuſhintoismus“ſoll die Verehrung der<lb/>
alten Götter wieder aufleben, und damit die neue Religion<lb/>
auch inneren Halt und Gehalt beſitzt, ſo wird ihr die<lb/>
altjapaniſche Tugendlehre auf dem Grunde der Pietät<lb/>
und Loyalität eingefügt. Die Idee hat großen Anklang<lb/>
gefunden. Bei einem Feſte, welches vor Jahresfriſt unter<lb/>
dieſer Parole bei den Iſetempeln ſtattfand, ſollen eine<lb/>
Viertelmillion Menſchen aus allen Teilen des Landes<lb/>
zugegen geweſen ſein. Gleichwohl iſt es ein Verzweif-<lb/>
lungsakt, und die ihn in Scene geſetzt haben, glauben<lb/>ſelbſt nicht an die Shintogötter. Die altjapaniſche<lb/>
Bewegung mag dadurch für eine Weile geſtärkt werden,<lb/>
der Shintoismus wird dabei nicht wieder lebendig<lb/>
gemacht; er wird ſterben, ob er auch in einzelnen Äuße-<lb/>
rungen ſeines Aberglaubens noch die Jahrhunderte<lb/>
überdauern wird.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></body></text></TEI>
[216/0230]
geiſtliche Miniſterium in Wegfall gekommen iſt und nur
noch wenige Tempel aus Staatsmitteln unterhalten
werden. Aber die eigentliche Volksreligion blieb der
im Volk gewurzelte Buddhismus, neben welchem man
dem Shintoismus inſoweit huldigt, wie das bei der
Darſtellung des volkstümlichen Shintoismus beſchrieben
wurde.
Neuerdings iſt dem Shintoismus noch einmal eine
Chance geworden und zwar nicht von ſtaatlicher, ſondern
von ethiſcher Seite. Der Kampf wider das Chriſtentum
nötigt die alten Mächte zum Zuſammengehen, und ſelbſt
alte aufgeklärte Konfuzianiſten ſehen keine andere Mög-
lichkeit des Sieges, als daß ſie ſich mit dem früher
verachteten ſhintoiſtiſchen Aberglauben verbinden. In
einem ſogen. „Neuſhintoismus“ ſoll die Verehrung der
alten Götter wieder aufleben, und damit die neue Religion
auch inneren Halt und Gehalt beſitzt, ſo wird ihr die
altjapaniſche Tugendlehre auf dem Grunde der Pietät
und Loyalität eingefügt. Die Idee hat großen Anklang
gefunden. Bei einem Feſte, welches vor Jahresfriſt unter
dieſer Parole bei den Iſetempeln ſtattfand, ſollen eine
Viertelmillion Menſchen aus allen Teilen des Landes
zugegen geweſen ſein. Gleichwohl iſt es ein Verzweif-
lungsakt, und die ihn in Scene geſetzt haben, glauben
ſelbſt nicht an die Shintogötter. Die altjapaniſche
Bewegung mag dadurch für eine Weile geſtärkt werden,
der Shintoismus wird dabei nicht wieder lebendig
gemacht; er wird ſterben, ob er auch in einzelnen Äuße-
rungen ſeines Aberglaubens noch die Jahrhunderte
überdauern wird.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/230>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.