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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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und aus Bösem Böses; der Bettler, der gute Thaten
gethan, kann als Fürst wiederum das Licht der Welt
erblicken, während der grausame Machthaber über Mil-
lionen in einem neuen Dasein als ein gehetztes Wild
des Feldes die Schuld seiner früheren Sünden bezahlt.

Daß auch ein Christ für diese Lehren Sympathie
haben kann, ist begreiflich; denn das warme Herz und
der sittliche Ernst in ihnen sind unverkennbar. Daß
man sich aber auch für den modernen Buddhismus
erwärmen kann, oder daß gar Christen zu ihm über-
treten, wie es in einigen wenigen Fällen vorgekommen
ist, ist unverständlich; denn es ist ein System des Hum-
bugs, dem sie sich gesellen.

In Japan ganz und gar so. In dem modernen
japanischen Buddhismus ist die soeben geschilderte Lehre
nur noch dunkel erkennbar. Der Japaner hätte auch
nach seiner ganzen Veranlagung schwerlich etwas damit
anzufangen gewußt. An Stelle des ursprünglichen
Atheismus trat ein ganzes Heer von Göttern und
Götzen; der anfängliche Pessimismus ist einem dem
alltäglichen Leben angepaßten vulgären Optimismus
gewichen; die Sittenlehre ist zwar nicht ohne veredelnde
Wirkung auf das Volk geblieben, ist aber gegenüber
der konfuzianischen Moral nie recht zur Geltung ge-
kommen; die Lehre von der Seelenwanderung wurde
zwar theoretisch beibehalten, ist aber praktisch nicht von
sehr großer Bedeutung; das nebelhafte, verschwommene
Nirwana wurde durch einen greifbaren Himmel mit
Amida Buddha als König ersetzt, während in der neu
geschaffenen Hölle der gefürchtete Emma-sama (der
Brahmagott Yama) als strenger Richter die Bösen
quält. Doch sind auch durch Himmel und Hölle die
Gedanken an das eigene zukünftige Leben bei den

und aus Böſem Böſes; der Bettler, der gute Thaten
gethan, kann als Fürſt wiederum das Licht der Welt
erblicken, während der grauſame Machthaber über Mil-
lionen in einem neuen Daſein als ein gehetztes Wild
des Feldes die Schuld ſeiner früheren Sünden bezahlt.

Daß auch ein Chriſt für dieſe Lehren Sympathie
haben kann, iſt begreiflich; denn das warme Herz und
der ſittliche Ernſt in ihnen ſind unverkennbar. Daß
man ſich aber auch für den modernen Buddhismus
erwärmen kann, oder daß gar Chriſten zu ihm über-
treten, wie es in einigen wenigen Fällen vorgekommen
iſt, iſt unverſtändlich; denn es iſt ein Syſtem des Hum-
bugs, dem ſie ſich geſellen.

In Japan ganz und gar ſo. In dem modernen
japaniſchen Buddhismus iſt die ſoeben geſchilderte Lehre
nur noch dunkel erkennbar. Der Japaner hätte auch
nach ſeiner ganzen Veranlagung ſchwerlich etwas damit
anzufangen gewußt. An Stelle des urſprünglichen
Atheismus trat ein ganzes Heer von Göttern und
Götzen; der anfängliche Peſſimismus iſt einem dem
alltäglichen Leben angepaßten vulgären Optimismus
gewichen; die Sittenlehre iſt zwar nicht ohne veredelnde
Wirkung auf das Volk geblieben, iſt aber gegenüber
der konfuzianiſchen Moral nie recht zur Geltung ge-
kommen; die Lehre von der Seelenwanderung wurde
zwar theoretiſch beibehalten, iſt aber praktiſch nicht von
ſehr großer Bedeutung; das nebelhafte, verſchwommene
Nirwana wurde durch einen greifbaren Himmel mit
Amida Buddha als König erſetzt, während in der neu
geſchaffenen Hölle der gefürchtete Emma-sama (der
Brahmagott Yama) als ſtrenger Richter die Böſen
quält. Doch ſind auch durch Himmel und Hölle die
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[222/0236] und aus Böſem Böſes; der Bettler, der gute Thaten gethan, kann als Fürſt wiederum das Licht der Welt erblicken, während der grauſame Machthaber über Mil- lionen in einem neuen Daſein als ein gehetztes Wild des Feldes die Schuld ſeiner früheren Sünden bezahlt. Daß auch ein Chriſt für dieſe Lehren Sympathie haben kann, iſt begreiflich; denn das warme Herz und der ſittliche Ernſt in ihnen ſind unverkennbar. Daß man ſich aber auch für den modernen Buddhismus erwärmen kann, oder daß gar Chriſten zu ihm über- treten, wie es in einigen wenigen Fällen vorgekommen iſt, iſt unverſtändlich; denn es iſt ein Syſtem des Hum- bugs, dem ſie ſich geſellen. In Japan ganz und gar ſo. In dem modernen japaniſchen Buddhismus iſt die ſoeben geſchilderte Lehre nur noch dunkel erkennbar. Der Japaner hätte auch nach ſeiner ganzen Veranlagung ſchwerlich etwas damit anzufangen gewußt. An Stelle des urſprünglichen Atheismus trat ein ganzes Heer von Göttern und Götzen; der anfängliche Peſſimismus iſt einem dem alltäglichen Leben angepaßten vulgären Optimismus gewichen; die Sittenlehre iſt zwar nicht ohne veredelnde Wirkung auf das Volk geblieben, iſt aber gegenüber der konfuzianiſchen Moral nie recht zur Geltung ge- kommen; die Lehre von der Seelenwanderung wurde zwar theoretiſch beibehalten, iſt aber praktiſch nicht von ſehr großer Bedeutung; das nebelhafte, verſchwommene Nirwana wurde durch einen greifbaren Himmel mit Amida Buddha als König erſetzt, während in der neu geſchaffenen Hölle der gefürchtete Emma-sama (der Brahmagott Yama) als ſtrenger Richter die Böſen quält. Doch ſind auch durch Himmel und Hölle die Gedanken an das eigene zukünftige Leben bei den

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/236>, abgerufen am 27.05.2024.