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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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tagsschule am Nachmittag und mit den religiösen Vor-
trägen am Abend ist die Sache noch nicht erschöpft.
Da heißt es, auch in der Woche Bibelstunden veran-
stalten; da gilt es, Gemeindeversammlungen abzuhalten,
gesellige Zusammenkünfte anzuberaumen, Gemeindefeste
zu arrangieren. Man betet und singt nicht nur ge-
meinsam, man ißt und trinkt und spielt auch gemein-
sam. Ich sehe heute in den Liebesmahlen der aposto-
lischen Gemeinde nicht mehr nur den freien Erweis
gegenseitiger brüderlicher und schwesterlicher Liebe; viel-
mehr glaube ich, daß man sie damals ebenso wie auf
dem heutigen Missionsfelde zur Pflege des Gemeinschafts-
lebens und damit zur Erhaltung der Gemeinde als för-
derlich, wenn nicht als notwendig erkannt hatte. Das
Gemeinschaftsbedürfnis führt auch über die engere Ge-
meinde hinaus. In dem wohlorganisierten "Seinen-
kwai"
(Jünglingsverein), der in Japan im Jahre 1897
durch John R. Mott zu einem aus achtundzwanzig
Vereinigungen bestehenden Studentenbund ("Student
Young Mens Christian Association Union of Japan"
)
spezialisiert wurde, schließen sich unter der Oberleitung
eigens dafür angestellter Missionare junge Männer,
d. h. hier Studenten, aus allen Kirchen, auch aus der
unseren, zusammen, und der Verein "Seisho no Tomo"
(Bibelfreund), welcher seine zwölftausend Mitglieder
zum täglichen Lesen eines bestimmten Schriftabschnitts
verpflichtet, führt seine ebenfalls allen Denominationen
angehörigen Glieder jährlich auch wenigstens einmal,
kleinere Kreise aber öfter, zusammen. Es ist ein großer
Apparat, der zur Erhaltung des Gemeindelebens in
Bewegung gesetzt werden muß. Die Pastoration einer
heidenchristlichen Gemeinde erfordert eine volle Mannes-
kraft; und wenn ich heute an jene Zeit zurückdenke, da

tagsſchule am Nachmittag und mit den religiöſen Vor-
trägen am Abend iſt die Sache noch nicht erſchöpft.
Da heißt es, auch in der Woche Bibelſtunden veran-
ſtalten; da gilt es, Gemeindeverſammlungen abzuhalten,
geſellige Zuſammenkünfte anzuberaumen, Gemeindefeſte
zu arrangieren. Man betet und ſingt nicht nur ge-
meinſam, man ißt und trinkt und ſpielt auch gemein-
ſam. Ich ſehe heute in den Liebesmahlen der apoſto-
liſchen Gemeinde nicht mehr nur den freien Erweis
gegenſeitiger brüderlicher und ſchweſterlicher Liebe; viel-
mehr glaube ich, daß man ſie damals ebenſo wie auf
dem heutigen Miſſionsfelde zur Pflege des Gemeinſchafts-
lebens und damit zur Erhaltung der Gemeinde als för-
derlich, wenn nicht als notwendig erkannt hatte. Das
Gemeinſchaftsbedürfnis führt auch über die engere Ge-
meinde hinaus. In dem wohlorganiſierten „Seinen-
kwai“
(Jünglingsverein), der in Japan im Jahre 1897
durch John R. Mott zu einem aus achtundzwanzig
Vereinigungen beſtehenden Studentenbund („Student
Young Mens Christian Association Union of Japan“
)
ſpezialiſiert wurde, ſchließen ſich unter der Oberleitung
eigens dafür angeſtellter Miſſionare junge Männer,
d. h. hier Studenten, aus allen Kirchen, auch aus der
unſeren, zuſammen, und der Verein „Seisho no Tomo“
(Bibelfreund), welcher ſeine zwölftauſend Mitglieder
zum täglichen Leſen eines beſtimmten Schriftabſchnitts
verpflichtet, führt ſeine ebenfalls allen Denominationen
angehörigen Glieder jährlich auch wenigſtens einmal,
kleinere Kreiſe aber öfter, zuſammen. Es iſt ein großer
Apparat, der zur Erhaltung des Gemeindelebens in
Bewegung geſetzt werden muß. Die Paſtoration einer
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[365/0379] tagsſchule am Nachmittag und mit den religiöſen Vor- trägen am Abend iſt die Sache noch nicht erſchöpft. Da heißt es, auch in der Woche Bibelſtunden veran- ſtalten; da gilt es, Gemeindeverſammlungen abzuhalten, geſellige Zuſammenkünfte anzuberaumen, Gemeindefeſte zu arrangieren. Man betet und ſingt nicht nur ge- meinſam, man ißt und trinkt und ſpielt auch gemein- ſam. Ich ſehe heute in den Liebesmahlen der apoſto- liſchen Gemeinde nicht mehr nur den freien Erweis gegenſeitiger brüderlicher und ſchweſterlicher Liebe; viel- mehr glaube ich, daß man ſie damals ebenſo wie auf dem heutigen Miſſionsfelde zur Pflege des Gemeinſchafts- lebens und damit zur Erhaltung der Gemeinde als för- derlich, wenn nicht als notwendig erkannt hatte. Das Gemeinſchaftsbedürfnis führt auch über die engere Ge- meinde hinaus. In dem wohlorganiſierten „Seinen- kwai“ (Jünglingsverein), der in Japan im Jahre 1897 durch John R. Mott zu einem aus achtundzwanzig Vereinigungen beſtehenden Studentenbund („Student Young Mens Christian Association Union of Japan“) ſpezialiſiert wurde, ſchließen ſich unter der Oberleitung eigens dafür angeſtellter Miſſionare junge Männer, d. h. hier Studenten, aus allen Kirchen, auch aus der unſeren, zuſammen, und der Verein „Seisho no Tomo“ (Bibelfreund), welcher ſeine zwölftauſend Mitglieder zum täglichen Leſen eines beſtimmten Schriftabſchnitts verpflichtet, führt ſeine ebenfalls allen Denominationen angehörigen Glieder jährlich auch wenigſtens einmal, kleinere Kreiſe aber öfter, zuſammen. Es iſt ein großer Apparat, der zur Erhaltung des Gemeindelebens in Bewegung geſetzt werden muß. Die Paſtoration einer heidenchriſtlichen Gemeinde erfordert eine volle Mannes- kraft; und wenn ich heute an jene Zeit zurückdenke, da

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/379>, abgerufen am 17.06.2024.