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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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"Der Buchstabe tötet". Ich gestehe es offen, daß ich
mich an den freien Gebeten auf dem Missionsfelde im
allgemeinen mehr erbaut habe als an den Agenden-
gebeten unserer deutschen Kirchen. Natürlich muß auch
das Beten gelehrt werden. Ohne Anleitung geht es
nicht. Hat doch auch Jesus seine Jünger beten gelehrt!
Läßt man aber auf Grund dieser Anleitung das Gebet
ein persönliches und freies werden, so ist der Ausdruck
und der Eindruck desselben ein ganz anderer als bei
dem mechanisch angelernten. Nicht bloß in Fragen der
Verwaltung, sondern auch in rein geistlichen Dingen
wie beim Gebet, muß auf dem Missionsfelde der Grund-
satz zur Anwendung kommen: Nicht alles allein machen,
sondern möglichst viele möglichst oft in Anspruch nehmen,
um sie so persönlich zu interessieren. Selbstthätigkeit
hält wach und lebendig, Passivität aber schläfert ein.
Das allgemeine Priestertum ist auf dem evangelischen
Missionsgebiete Japans trotz der teilweisen Unmündig-
keit der Christen im Prinzip weit mehr anerkannt und
gehandhabt als in dem Lande seiner Geburt.

Im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht die Pre-
digt. Bei derselben gilt es zu beachten, daß sie nicht
sowohl auf die Gewinnung neuer Christen als vielmehr
auf die Erbauung der schon vorhandenen berechnet ist.
Sie ist also nicht eigentlich halieutisch im engeren
Sinne des Wortes. Ich habe mir in allen möglichen
Kirchen Predigten angehört, und immer habe ich den
gleichen Eindrnck gewonnen. Den Gottesdienst am
Sonntag betrachtet nun einmal die Gemeinde als ihr
gehörig. Infolgedessen ist es nicht so, wie viele glauben,
als sei nämlich die Predigt mehr belehrend und über-
zeugend als erbaulich. Das Belehrende und Über-
zeugende tritt nur da in den Vordergrund, wo der
Missionar unmittelbar an Heiden sich wendet, d. h.

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„Der Buchſtabe tötet“. Ich geſtehe es offen, daß ich
mich an den freien Gebeten auf dem Miſſionsfelde im
allgemeinen mehr erbaut habe als an den Agenden-
gebeten unſerer deutſchen Kirchen. Natürlich muß auch
das Beten gelehrt werden. Ohne Anleitung geht es
nicht. Hat doch auch Jeſus ſeine Jünger beten gelehrt!
Läßt man aber auf Grund dieſer Anleitung das Gebet
ein perſönliches und freies werden, ſo iſt der Ausdruck
und der Eindruck desſelben ein ganz anderer als bei
dem mechaniſch angelernten. Nicht bloß in Fragen der
Verwaltung, ſondern auch in rein geiſtlichen Dingen
wie beim Gebet, muß auf dem Miſſionsfelde der Grund-
ſatz zur Anwendung kommen: Nicht alles allein machen,
ſondern möglichſt viele möglichſt oft in Anſpruch nehmen,
um ſie ſo perſönlich zu intereſſieren. Selbſtthätigkeit
hält wach und lebendig, Paſſivität aber ſchläfert ein.
Das allgemeine Prieſtertum iſt auf dem evangeliſchen
Miſſionsgebiete Japans trotz der teilweiſen Unmündig-
keit der Chriſten im Prinzip weit mehr anerkannt und
gehandhabt als in dem Lande ſeiner Geburt.

Im Mittelpunkt des Gottesdienſtes ſteht die Pre-
digt. Bei derſelben gilt es zu beachten, daß ſie nicht
ſowohl auf die Gewinnung neuer Chriſten als vielmehr
auf die Erbauung der ſchon vorhandenen berechnet iſt.
Sie iſt alſo nicht eigentlich halieutiſch im engeren
Sinne des Wortes. Ich habe mir in allen möglichen
Kirchen Predigten angehört, und immer habe ich den
gleichen Eindrnck gewonnen. Den Gottesdienſt am
Sonntag betrachtet nun einmal die Gemeinde als ihr
gehörig. Infolgedeſſen iſt es nicht ſo, wie viele glauben,
als ſei nämlich die Predigt mehr belehrend und über-
zeugend als erbaulich. Das Belehrende und Über-
zeugende tritt nur da in den Vordergrund, wo der
Miſſionar unmittelbar an Heiden ſich wendet, d. h.

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[371/0385] „Der Buchſtabe tötet“. Ich geſtehe es offen, daß ich mich an den freien Gebeten auf dem Miſſionsfelde im allgemeinen mehr erbaut habe als an den Agenden- gebeten unſerer deutſchen Kirchen. Natürlich muß auch das Beten gelehrt werden. Ohne Anleitung geht es nicht. Hat doch auch Jeſus ſeine Jünger beten gelehrt! Läßt man aber auf Grund dieſer Anleitung das Gebet ein perſönliches und freies werden, ſo iſt der Ausdruck und der Eindruck desſelben ein ganz anderer als bei dem mechaniſch angelernten. Nicht bloß in Fragen der Verwaltung, ſondern auch in rein geiſtlichen Dingen wie beim Gebet, muß auf dem Miſſionsfelde der Grund- ſatz zur Anwendung kommen: Nicht alles allein machen, ſondern möglichſt viele möglichſt oft in Anſpruch nehmen, um ſie ſo perſönlich zu intereſſieren. Selbſtthätigkeit hält wach und lebendig, Paſſivität aber ſchläfert ein. Das allgemeine Prieſtertum iſt auf dem evangeliſchen Miſſionsgebiete Japans trotz der teilweiſen Unmündig- keit der Chriſten im Prinzip weit mehr anerkannt und gehandhabt als in dem Lande ſeiner Geburt. Im Mittelpunkt des Gottesdienſtes ſteht die Pre- digt. Bei derſelben gilt es zu beachten, daß ſie nicht ſowohl auf die Gewinnung neuer Chriſten als vielmehr auf die Erbauung der ſchon vorhandenen berechnet iſt. Sie iſt alſo nicht eigentlich halieutiſch im engeren Sinne des Wortes. Ich habe mir in allen möglichen Kirchen Predigten angehört, und immer habe ich den gleichen Eindrnck gewonnen. Den Gottesdienſt am Sonntag betrachtet nun einmal die Gemeinde als ihr gehörig. Infolgedeſſen iſt es nicht ſo, wie viele glauben, als ſei nämlich die Predigt mehr belehrend und über- zeugend als erbaulich. Das Belehrende und Über- zeugende tritt nur da in den Vordergrund, wo der Miſſionar unmittelbar an Heiden ſich wendet, d. h. 24*

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/385>, abgerufen am 22.11.2024.