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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Inhalt der Predigt der Lehrer ist, ist er mit Bezug
auf die Form derselben ein Lerner, und eine große
Ausnahme ist es, daß er hier ein Meister wird. Ich
bezweifle es, ob die Hälfte der christlichen Sendboten
imstande ist, in der Landessprache zu predigen, und
wenn auch die Hälfte es vermöchte, so sind sich doch
die meisten bewußt, daß es europäisches Japanisch ist,
das sie sprechen. Die ersten Missionare hatten freilich
Zeit genug, um des Japanischen Herr zu werden.
Darnach aber kam eine Zeit, wo man sich vielfach mit
Dolmetschern behalf. Auch mir blieb anfangs nichts
anderes übrig, und es dauerte etwa zwei Jahre, bis
ich in japanischer Sprache predigen konnte. Es ist
manchmal vorgekommen, daß ich morgens in der deutschen
Gemeinde in Tokyo in deutscher Sprache predigte,
nachmittags vor einer teilweise englisch verstehenden
japanischen Versammlung in Yokohama auf ihren
Wunsch in englischer und abends auf dem Lande noch
einmal in japanischer Sprache. Heute ist der Missionar
in seiner Predigtarbeit stark entlastet. Die meisten
Missionare haben es aufgegeben, regelmäßig zu predigen,
so daß die Predigt zum weitaus größten Teil an die
Japaner übergegangen ist. Gleichwohl bleibt es für
die Missionare nach wie vor Erfordernis, die japanische
Sprache zu erlernen, da ohne dieselbe jede missionarische
Thätigkeit schwer gehemmt ist.

Da es zur Predigt und Seelsorge einer so voll-
kommenen Beherrschung von Sprache, Sitte und Volks-
charakter bedarf, wie es einem Fremden kaum möglich
ist, und da sich das Vertrauensverhältnis zwischen
Fremden und Japanern immer mehr als eine große
Schwierigkeit erweist, so muß es als weise betrachtet
werden, daß von Anfang an alle größeren Missionsge-
sellschaften die Heranbildung japanischer Geistlichen als

Inhalt der Predigt der Lehrer iſt, iſt er mit Bezug
auf die Form derſelben ein Lerner, und eine große
Ausnahme iſt es, daß er hier ein Meiſter wird. Ich
bezweifle es, ob die Hälfte der chriſtlichen Sendboten
imſtande iſt, in der Landesſprache zu predigen, und
wenn auch die Hälfte es vermöchte, ſo ſind ſich doch
die meiſten bewußt, daß es europäiſches Japaniſch iſt,
das ſie ſprechen. Die erſten Miſſionare hatten freilich
Zeit genug, um des Japaniſchen Herr zu werden.
Darnach aber kam eine Zeit, wo man ſich vielfach mit
Dolmetſchern behalf. Auch mir blieb anfangs nichts
anderes übrig, und es dauerte etwa zwei Jahre, bis
ich in japaniſcher Sprache predigen konnte. Es iſt
manchmal vorgekommen, daß ich morgens in der deutſchen
Gemeinde in Tokyo in deutſcher Sprache predigte,
nachmittags vor einer teilweiſe engliſch verſtehenden
japaniſchen Verſammlung in Yokohama auf ihren
Wunſch in engliſcher und abends auf dem Lande noch
einmal in japaniſcher Sprache. Heute iſt der Miſſionar
in ſeiner Predigtarbeit ſtark entlaſtet. Die meiſten
Miſſionare haben es aufgegeben, regelmäßig zu predigen,
ſo daß die Predigt zum weitaus größten Teil an die
Japaner übergegangen iſt. Gleichwohl bleibt es für
die Miſſionare nach wie vor Erfordernis, die japaniſche
Sprache zu erlernen, da ohne dieſelbe jede miſſionariſche
Thätigkeit ſchwer gehemmt iſt.

Da es zur Predigt und Seelſorge einer ſo voll-
kommenen Beherrſchung von Sprache, Sitte und Volks-
charakter bedarf, wie es einem Fremden kaum möglich
iſt, und da ſich das Vertrauensverhältnis zwiſchen
Fremden und Japanern immer mehr als eine große
Schwierigkeit erweiſt, ſo muß es als weiſe betrachtet
werden, daß von Anfang an alle größeren Miſſionsge-
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[373/0387] Inhalt der Predigt der Lehrer iſt, iſt er mit Bezug auf die Form derſelben ein Lerner, und eine große Ausnahme iſt es, daß er hier ein Meiſter wird. Ich bezweifle es, ob die Hälfte der chriſtlichen Sendboten imſtande iſt, in der Landesſprache zu predigen, und wenn auch die Hälfte es vermöchte, ſo ſind ſich doch die meiſten bewußt, daß es europäiſches Japaniſch iſt, das ſie ſprechen. Die erſten Miſſionare hatten freilich Zeit genug, um des Japaniſchen Herr zu werden. Darnach aber kam eine Zeit, wo man ſich vielfach mit Dolmetſchern behalf. Auch mir blieb anfangs nichts anderes übrig, und es dauerte etwa zwei Jahre, bis ich in japaniſcher Sprache predigen konnte. Es iſt manchmal vorgekommen, daß ich morgens in der deutſchen Gemeinde in Tokyo in deutſcher Sprache predigte, nachmittags vor einer teilweiſe engliſch verſtehenden japaniſchen Verſammlung in Yokohama auf ihren Wunſch in engliſcher und abends auf dem Lande noch einmal in japaniſcher Sprache. Heute iſt der Miſſionar in ſeiner Predigtarbeit ſtark entlaſtet. Die meiſten Miſſionare haben es aufgegeben, regelmäßig zu predigen, ſo daß die Predigt zum weitaus größten Teil an die Japaner übergegangen iſt. Gleichwohl bleibt es für die Miſſionare nach wie vor Erfordernis, die japaniſche Sprache zu erlernen, da ohne dieſelbe jede miſſionariſche Thätigkeit ſchwer gehemmt iſt. Da es zur Predigt und Seelſorge einer ſo voll- kommenen Beherrſchung von Sprache, Sitte und Volks- charakter bedarf, wie es einem Fremden kaum möglich iſt, und da ſich das Vertrauensverhältnis zwiſchen Fremden und Japanern immer mehr als eine große Schwierigkeit erweiſt, ſo muß es als weiſe betrachtet werden, daß von Anfang an alle größeren Miſſionsge- ſellſchaften die Heranbildung japaniſcher Geiſtlichen als

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/387>, abgerufen am 17.06.2024.