Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

selb' irgendwo in den Fragmenten: "es be-
gegnet mir wenigstens alle Jahr dreymal,
daß ich mich von gewissen Gesichtern weg-
wenden, und wenn ich in einem Zimmer
mit ihnen bin, hinausgehen und frische Luft
schöpfen muß. -- Warum meinen Augen
denn unerträglich? Ganz einfältig, wegen
der erweisbaren Heterogenität der Gesichter."
Jch vermein' diese Antwort sey so gut als
keine. Sollten unter so viel hundert oder
tausend Menschengesichtern, die Herrn L.
das Jahr lang vorkommen, nur drey oder
vier Heterogene auf ihn treffen, neben wel-
chen das Seinige nicht freywillig coexistiren
kann; so müßt die Heterogenität gar eine
seltene Waar' seyn, die man nicht auf allen
Straßen und Märkten fänd, und wenn sie's
wär, wie könnt' ohne vorgängige Analyse
der bedeutsamen Züg', ein Menschengesicht
aufs andre die Wirkung thun, als der Bi-
bergeil auf eine empfindsame Nase, und
herzgespann, Schwindel und Uebelseyn
verursachen? Jch erklär dieß also nicht die
Heterogenität der Gesichter, sondern Herrn
L. Spleen ist Ursach, wenn er sich von ge-
wissen Gesichtern plötzlich hinwegwenden
und beyseits gehen muß. 'S mag den gu-

ten

ſelb’ irgendwo in den Fragmenten: „es be-
gegnet mir wenigſtens alle Jahr dreymal,
daß ich mich von gewiſſen Geſichtern weg-
wenden, und wenn ich in einem Zimmer
mit ihnen bin, hinausgehen und friſche Luft
ſchoͤpfen muß. — Warum meinen Augen
denn unertraͤglich? Ganz einfaͤltig, wegen
der erweisbaren Heterogenitaͤt der Geſichter.“
Jch vermein’ dieſe Antwort ſey ſo gut als
keine. Sollten unter ſo viel hundert oder
tauſend Menſchengeſichtern, die Herrn L.
das Jahr lang vorkommen, nur drey oder
vier Heterogene auf ihn treffen, neben wel-
chen das Seinige nicht freywillig coexiſtiren
kann; ſo muͤßt die Heterogenitaͤt gar eine
ſeltene Waar’ ſeyn, die man nicht auf allen
Straßen und Maͤrkten faͤnd, und wenn ſie’s
waͤr, wie koͤnnt’ ohne vorgaͤngige Analyſe
der bedeutſamen Zuͤg’, ein Menſchengeſicht
aufs andre die Wirkung thun, als der Bi-
bergeil auf eine empfindſame Naſe, und
herzgeſpann, Schwindel und Uebelſeyn
verurſachen? Jch erklaͤr dieß alſo nicht die
Heterogenitaͤt der Geſichter, ſondern Herrn
L. Spleen iſt Urſach, wenn er ſich von ge-
wiſſen Geſichtern ploͤtzlich hinwegwenden
und beyſeits gehen muß. ’S mag den gu-

ten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0128" n="122"/>
&#x017F;elb&#x2019; irgendwo in den Fragmenten: &#x201E;es be-<lb/>
gegnet mir wenig&#x017F;tens alle Jahr dreymal,<lb/>
daß ich mich von gewi&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;ichtern weg-<lb/>
wenden, und wenn ich in einem Zimmer<lb/>
mit ihnen bin, hinausgehen und fri&#x017F;che Luft<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfen muß. &#x2014; Warum meinen Augen<lb/>
denn unertra&#x0364;glich? Ganz einfa&#x0364;ltig, wegen<lb/>
der erweisbaren Heterogenita&#x0364;t der Ge&#x017F;ichter.&#x201C;<lb/>
Jch vermein&#x2019; die&#x017F;e Antwort &#x017F;ey &#x017F;o gut als<lb/>
keine. Sollten unter &#x017F;o viel hundert oder<lb/>
tau&#x017F;end Men&#x017F;chenge&#x017F;ichtern, die Herrn L.<lb/>
das Jahr lang vorkommen, nur drey oder<lb/>
vier Heterogene auf ihn treffen, neben wel-<lb/>
chen das Seinige nicht freywillig coexi&#x017F;tiren<lb/>
kann; &#x017F;o mu&#x0364;ßt die Heterogenita&#x0364;t gar eine<lb/>
&#x017F;eltene Waar&#x2019; &#x017F;eyn, die man nicht auf allen<lb/>
Straßen und Ma&#x0364;rkten fa&#x0364;nd, und wenn &#x017F;ie&#x2019;s<lb/>
wa&#x0364;r, wie ko&#x0364;nnt&#x2019; ohne vorga&#x0364;ngige Analy&#x017F;e<lb/>
der bedeut&#x017F;amen Zu&#x0364;g&#x2019;, ein Men&#x017F;chenge&#x017F;icht<lb/>
aufs andre die Wirkung thun, als der Bi-<lb/>
bergeil auf eine empfind&#x017F;ame Na&#x017F;e, und<lb/>
herzge&#x017F;pann, Schwindel und Uebel&#x017F;eyn<lb/>
verur&#x017F;achen? Jch erkla&#x0364;r dieß al&#x017F;o nicht die<lb/>
Heterogenita&#x0364;t der Ge&#x017F;ichter, &#x017F;ondern Herrn<lb/>
L. Spleen i&#x017F;t Ur&#x017F;ach, wenn er &#x017F;ich von ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;ichtern plo&#x0364;tzlich hinwegwenden<lb/>
und bey&#x017F;eits gehen muß. &#x2019;S mag den gu-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0128] ſelb’ irgendwo in den Fragmenten: „es be- gegnet mir wenigſtens alle Jahr dreymal, daß ich mich von gewiſſen Geſichtern weg- wenden, und wenn ich in einem Zimmer mit ihnen bin, hinausgehen und friſche Luft ſchoͤpfen muß. — Warum meinen Augen denn unertraͤglich? Ganz einfaͤltig, wegen der erweisbaren Heterogenitaͤt der Geſichter.“ Jch vermein’ dieſe Antwort ſey ſo gut als keine. Sollten unter ſo viel hundert oder tauſend Menſchengeſichtern, die Herrn L. das Jahr lang vorkommen, nur drey oder vier Heterogene auf ihn treffen, neben wel- chen das Seinige nicht freywillig coexiſtiren kann; ſo muͤßt die Heterogenitaͤt gar eine ſeltene Waar’ ſeyn, die man nicht auf allen Straßen und Maͤrkten faͤnd, und wenn ſie’s waͤr, wie koͤnnt’ ohne vorgaͤngige Analyſe der bedeutſamen Zuͤg’, ein Menſchengeſicht aufs andre die Wirkung thun, als der Bi- bergeil auf eine empfindſame Naſe, und herzgeſpann, Schwindel und Uebelſeyn verurſachen? Jch erklaͤr dieß alſo nicht die Heterogenitaͤt der Geſichter, ſondern Herrn L. Spleen iſt Urſach, wenn er ſich von ge- wiſſen Geſichtern ploͤtzlich hinwegwenden und beyſeits gehen muß. ’S mag den gu- ten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/128
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/128>, abgerufen am 09.11.2024.