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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

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wer weis! allein bald nachher widerlegte
ein Ausdruck ihres Briefes, der mir zu un-
gelegner Zeit wieder beyfiel, wo die Sophie
von einer unwiderstehlichen Leidenschaft
spricht, dadurch sie unglücklich worden sey,
diesen ganzen schönen Traum.

Mit einer dritten Fiktion wollte mirs
gar nicht gelingen: sann hin und her, eine
Möglichkeit auszufinden, wie der mißlau-
tende Umstand, den die Dirn' zur Ursach
ihrer Flucht angegeben, der zarten Empfin-
dung für Ehr' und Tugend unbeschadet, von
ihr könn erdichtet seyn, um vielleicht meine
Liebe, zu der sie wegen Unterschied des
Standes kein recht Vertrauen hegt', dadurch
auf die Probe zu stellen, und wenn sie ver-
merken sollt', daß diese ungünstigen Adspek-
ten meine Zuneigung zu ihr nicht auszulö-
schen vermöchten, alsdenn den Geist der
Täuschung wieder verschwinden zu lassen.
Aber da zupft' mich die Vernunft derb beym

Ohr,

wer weis! allein bald nachher widerlegte
ein Ausdruck ihres Briefes, der mir zu un-
gelegner Zeit wieder beyfiel, wo die Sophie
von einer unwiderſtehlichen Leidenſchaft
ſpricht, dadurch ſie ungluͤcklich worden ſey,
dieſen ganzen ſchoͤnen Traum.

Mit einer dritten Fiktion wollte mirs
gar nicht gelingen: ſann hin und her, eine
Moͤglichkeit auszufinden, wie der mißlau-
tende Umſtand, den die Dirn’ zur Urſach
ihrer Flucht angegeben, der zarten Empfin-
dung fuͤr Ehr’ und Tugend unbeſchadet, von
ihr koͤnn erdichtet ſeyn, um vielleicht meine
Liebe, zu der ſie wegen Unterſchied des
Standes kein recht Vertrauen hegt’, dadurch
auf die Probe zu ſtellen, und wenn ſie ver-
merken ſollt’, daß dieſe unguͤnſtigen Adſpek-
ten meine Zuneigung zu ihr nicht auszuloͤ-
ſchen vermoͤchten, alsdenn den Geiſt der
Taͤuſchung wieder verſchwinden zu laſſen.
Aber da zupft’ mich die Vernunft derb beym

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[14/0014] wer weis! allein bald nachher widerlegte ein Ausdruck ihres Briefes, der mir zu un- gelegner Zeit wieder beyfiel, wo die Sophie von einer unwiderſtehlichen Leidenſchaft ſpricht, dadurch ſie ungluͤcklich worden ſey, dieſen ganzen ſchoͤnen Traum. Mit einer dritten Fiktion wollte mirs gar nicht gelingen: ſann hin und her, eine Moͤglichkeit auszufinden, wie der mißlau- tende Umſtand, den die Dirn’ zur Urſach ihrer Flucht angegeben, der zarten Empfin- dung fuͤr Ehr’ und Tugend unbeſchadet, von ihr koͤnn erdichtet ſeyn, um vielleicht meine Liebe, zu der ſie wegen Unterſchied des Standes kein recht Vertrauen hegt’, dadurch auf die Probe zu ſtellen, und wenn ſie ver- merken ſollt’, daß dieſe unguͤnſtigen Adſpek- ten meine Zuneigung zu ihr nicht auszuloͤ- ſchen vermoͤchten, alsdenn den Geiſt der Taͤuſchung wieder verſchwinden zu laſſen. Aber da zupft’ mich die Vernunft derb beym Ohr,

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/14>, abgerufen am 30.04.2024.