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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

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"Sie lesen es auf gut Lavaterisch, da
kann's nicht fehlen, daß sie immer falsch
lesen."

Wie das?

"Aus ganz natürlichen Ursachen. Sie
bauen auf falsche Grundsätze, glauben dem
Erzwindbeutel dem Gefühlsblick, machen
ihn zum Richter Jhrer physiognomischen Ur-
theile, als wenn der nicht immer das Echo
der Stimmung des Herzens wäre. L. hat
dadurch schon dem Embrio seiner Kunstge-
burt, Gebrechlichkeit, Hinfälligkeit und ver-
weßliche Gestalt mitgetheilt, daß er diesen
edlen gesunden Keim, einer so kränklichen
Mutter, als seine Empfindung, oder sein
innres Gefühl ist, anvertrauet hat. Er
war einem feurigen Liebhaber zu vergleichen,
der seine Geliehte nach seiner Neigung wählt,
ohne zu bedenken, ob sie geschickt sey ihm
eine gesunde Nachkommenschaft, oder nur
Sterblinge zu gebähren. Anstatt durch

das

„Sie leſen es auf gut Lavateriſch, da
kann’s nicht fehlen, daß ſie immer falſch
leſen.„

Wie das?

„Aus ganz natuͤrlichen Urſachen. Sie
bauen auf falſche Grundſaͤtze, glauben dem
Erzwindbeutel dem Gefuͤhlsblick, machen
ihn zum Richter Jhrer phyſiognomiſchen Ur-
theile, als wenn der nicht immer das Echo
der Stimmung des Herzens waͤre. L. hat
dadurch ſchon dem Embrio ſeiner Kunſtge-
burt, Gebrechlichkeit, Hinfaͤlligkeit und ver-
weßliche Geſtalt mitgetheilt, daß er dieſen
edlen geſunden Keim, einer ſo kraͤnklichen
Mutter, als ſeine Empfindung, oder ſein
innres Gefuͤhl iſt, anvertrauet hat. Er
war einem feurigen Liebhaber zu vergleichen,
der ſeine Geliehte nach ſeiner Neigung waͤhlt,
ohne zu bedenken, ob ſie geſchickt ſey ihm
eine geſunde Nachkommenſchaft, oder nur
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[202/0202] „Sie leſen es auf gut Lavateriſch, da kann’s nicht fehlen, daß ſie immer falſch leſen.„ Wie das? „Aus ganz natuͤrlichen Urſachen. Sie bauen auf falſche Grundſaͤtze, glauben dem Erzwindbeutel dem Gefuͤhlsblick, machen ihn zum Richter Jhrer phyſiognomiſchen Ur- theile, als wenn der nicht immer das Echo der Stimmung des Herzens waͤre. L. hat dadurch ſchon dem Embrio ſeiner Kunſtge- burt, Gebrechlichkeit, Hinfaͤlligkeit und ver- weßliche Geſtalt mitgetheilt, daß er dieſen edlen geſunden Keim, einer ſo kraͤnklichen Mutter, als ſeine Empfindung, oder ſein innres Gefuͤhl iſt, anvertrauet hat. Er war einem feurigen Liebhaber zu vergleichen, der ſeine Geliehte nach ſeiner Neigung waͤhlt, ohne zu bedenken, ob ſie geſchickt ſey ihm eine geſunde Nachkommenſchaft, oder nur Sterblinge zu gebaͤhren. Anſtatt durch das

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/202>, abgerufen am 21.05.2024.