mer in dem Fall sind, grundfalsch, schief, vag, wenigstens einseitig, oder eintönig, nämlich nach dem Grundton, den ihr Herz, das heißt ihre Denkungsart angiebt, zu ur- theilen. Leute von gutem Charakter ent- decken den nämlichen Charakterzug immer zuerst in allen Gesichtern die ihnen vorkom- men. Leute von Gefühl, schwärmerische Köpfe finden immer was Sentimentalisches, was an Schwärmerey gränzendes an An- dern, tragen die Züge ihrer eignen Persön- lichkeit unvermerkt in die Gesichtszüge derer über, die sie physiognomisch beurtheilen. Sehen Sie hier Gang, Form und Melodie der Lavaterischen Composition! Er, der Schweber, Jdealisirer, verschwebt, ver- idealisirt jeden Zug, den ihm seine Phan- tasie hierzu als tauglich vorspiegelt; Er, der Mann von Talenten, voll Drang und Wirksamkeit, von reinem guten Herzen, voll warmen Gefühls der Menschenliebe
theilt
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mer in dem Fall ſind, grundfalſch, ſchief, vag, wenigſtens einſeitig, oder eintoͤnig, naͤmlich nach dem Grundton, den ihr Herz, das heißt ihre Denkungsart angiebt, zu ur- theilen. Leute von gutem Charakter ent- decken den naͤmlichen Charakterzug immer zuerſt in allen Geſichtern die ihnen vorkom- men. Leute von Gefuͤhl, ſchwaͤrmeriſche Koͤpfe finden immer was Sentimentaliſches, was an Schwaͤrmerey graͤnzendes an An- dern, tragen die Zuͤge ihrer eignen Perſoͤn- lichkeit unvermerkt in die Geſichtszuͤge derer uͤber, die ſie phyſiognomiſch beurtheilen. Sehen Sie hier Gang, Form und Melodie der Lavateriſchen Compoſition! Er, der Schweber, Jdealiſirer, verſchwebt, ver- idealiſirt jeden Zug, den ihm ſeine Phan- taſie hierzu als tauglich vorſpiegelt; Er, der Mann von Talenten, voll Drang und Wirkſamkeit, von reinem guten Herzen, voll warmen Gefuͤhls der Menſchenliebe
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mer in dem Fall ſind, grundfalſch, ſchief,
vag, wenigſtens einſeitig, oder eintoͤnig,
naͤmlich nach dem Grundton, den ihr Herz,
das heißt ihre Denkungsart angiebt, zu ur-
theilen. Leute von gutem Charakter ent-
decken den naͤmlichen Charakterzug immer
zuerſt in allen Geſichtern die ihnen vorkom-
men. Leute von Gefuͤhl, ſchwaͤrmeriſche
Koͤpfe finden immer was Sentimentaliſches,
was an Schwaͤrmerey graͤnzendes an An-
dern, tragen die Zuͤge ihrer eignen Perſoͤn-
lichkeit unvermerkt in die Geſichtszuͤge derer
uͤber, die ſie phyſiognomiſch beurtheilen.
Sehen Sie hier Gang, Form und Melodie
der Lavateriſchen Compoſition! Er, der
Schweber, Jdealiſirer, verſchwebt, ver-
idealiſirt jeden Zug, den ihm ſeine Phan-
taſie hierzu als tauglich vorſpiegelt; Er,
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/209>, abgerufen am 16.02.2025.
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