chen, setzt ich meinen Stab weiter zu den unzünftigen Gelehrten, den Freykünstlern, Genies, Dichtern und Schöndenkern. Ließ mich nicht verdrießen, manche hohe Treppe hinauf zu steigen, um in die ätherische Region ihrer leichtern Atmosphäre zu gelan- gen; denn das geistige Völklein nistet, wie bekannt, in Leipzig gern den Taubenschlä- gen parallel. War mir gar ein erfreuli- cher Anblick, daß ich gleich beym ersten, dem ich zusprach, einiger Abschattungen, mit einer in Kupfer gestochnen Einfassung an die Wand genagelt, ansichtig wurd', übrigens lag alles in lyrischer Unordnung durcheinander, daß ich nach der Physiogno- mie des Zimmers, wenn ich mich auch nur von ungefehr darein verirrt hätt', den Jn- haber desselben für einen großen Dichter würd' angesprochen haben. Pflegt die Stubenphysiognomik selten zu trügen; sind auch die Charaktere derselben viel schärfer
und
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chen, ſetzt ich meinen Stab weiter zu den unzuͤnftigen Gelehrten, den Freykuͤnſtlern, Genies, Dichtern und Schoͤndenkern. Ließ mich nicht verdrießen, manche hohe Treppe hinauf zu ſteigen, um in die aͤtheriſche Region ihrer leichtern Atmoſphaͤre zu gelan- gen; denn das geiſtige Voͤlklein niſtet, wie bekannt, in Leipzig gern den Taubenſchlaͤ- gen parallel. War mir gar ein erfreuli- cher Anblick, daß ich gleich beym erſten, dem ich zuſprach, einiger Abſchattungen, mit einer in Kupfer geſtochnen Einfaſſung an die Wand genagelt, anſichtig wurd’, uͤbrigens lag alles in lyriſcher Unordnung durcheinander, daß ich nach der Phyſiogno- mie des Zimmers, wenn ich mich auch nur von ungefehr darein verirrt haͤtt’, den Jn- haber deſſelben fuͤr einen großen Dichter wuͤrd’ angeſprochen haben. Pflegt die Stubenphyſiognomik ſelten zu truͤgen; ſind auch die Charaktere derſelben viel ſchaͤrfer
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chen, ſetzt ich meinen Stab weiter zu den
unzuͤnftigen Gelehrten, den Freykuͤnſtlern,
Genies, Dichtern und Schoͤndenkern. Ließ
mich nicht verdrießen, manche hohe Treppe
hinauf zu ſteigen, um in die aͤtheriſche
Region ihrer leichtern Atmoſphaͤre zu gelan-
gen; denn das geiſtige Voͤlklein niſtet, wie
bekannt, in Leipzig gern den Taubenſchlaͤ-
gen parallel. War mir gar ein erfreuli-
cher Anblick, daß ich gleich beym erſten,
dem ich zuſprach, einiger Abſchattungen,
mit einer in Kupfer geſtochnen Einfaſſung
an die Wand genagelt, anſichtig wurd’,
uͤbrigens lag alles in lyriſcher Unordnung
durcheinander, daß ich nach der Phyſiogno-
mie des Zimmers, wenn ich mich auch nur
von ungefehr darein verirrt haͤtt’, den Jn-
haber deſſelben fuͤr einen großen Dichter
wuͤrd’ angeſprochen haben. Pflegt die
Stubenphyſiognomik ſelten zu truͤgen; ſind
auch die Charaktere derſelben viel ſchaͤrfer
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/35>, abgerufen am 16.07.2024.
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