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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

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chenen Meistersänger zum großen Dichter-
genie ist umgestempelt worden; beweißt
nicht der alte Meister Schuster, der den
Nürnberger Witz zuerst in solche Aufnahme
gebracht hat, daß er dem Straßburger Ge-
schütz und Augspurger Geld ist gleich ge-
schätzt worden, und seiner poetischen Ver-
dienste halber, neuerdings Bewunderer,
Nachahmer, Beschützer, Verleger und
Subscribenten gefunden hat: daß ein Schu-
ster, ungeachtet seiner Mißgestalt, 'n Ge-
nie seyn könne? Die Genielinie ist ja nicht
die Schwunglinie der Schönheit, jene kann
krumm und höckerich seyn; aber das kann
diese nicht. Daher meyn' ich, der herzgute
Lavater habe die ehrsame Schustergewerk-
schaft in Zürch leichter zufrieden stellen, und
mit geringern Spesen abkommen können,
wenn er sie für die den Zunftgenossen attri-
buirte Mißgestalt, durch Genieblick entschä-
diget hätte, welches er mit gutem Gewissen

hätte

chenen Meiſterſaͤnger zum großen Dichter-
genie iſt umgeſtempelt worden; beweißt
nicht der alte Meiſter Schuſter, der den
Nuͤrnberger Witz zuerſt in ſolche Aufnahme
gebracht hat, daß er dem Straßburger Ge-
ſchuͤtz und Augſpurger Geld iſt gleich ge-
ſchaͤtzt worden, und ſeiner poetiſchen Ver-
dienſte halber, neuerdings Bewunderer,
Nachahmer, Beſchuͤtzer, Verleger und
Subſcribenten gefunden hat: daß ein Schu-
ſter, ungeachtet ſeiner Mißgeſtalt, ’n Ge-
nie ſeyn koͤnne? Die Genielinie iſt ja nicht
die Schwunglinie der Schoͤnheit, jene kann
krumm und hoͤckerich ſeyn; aber das kann
dieſe nicht. Daher meyn’ ich, der herzgute
Lavater habe die ehrſame Schuſtergewerk-
ſchaft in Zuͤrch leichter zufrieden ſtellen, und
mit geringern Speſen abkommen koͤnnen,
wenn er ſie fuͤr die den Zunftgenoſſen attri-
buirte Mißgeſtalt, durch Genieblick entſchaͤ-
diget haͤtte, welches er mit gutem Gewiſſen

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[46/0046] chenen Meiſterſaͤnger zum großen Dichter- genie iſt umgeſtempelt worden; beweißt nicht der alte Meiſter Schuſter, der den Nuͤrnberger Witz zuerſt in ſolche Aufnahme gebracht hat, daß er dem Straßburger Ge- ſchuͤtz und Augſpurger Geld iſt gleich ge- ſchaͤtzt worden, und ſeiner poetiſchen Ver- dienſte halber, neuerdings Bewunderer, Nachahmer, Beſchuͤtzer, Verleger und Subſcribenten gefunden hat: daß ein Schu- ſter, ungeachtet ſeiner Mißgeſtalt, ’n Ge- nie ſeyn koͤnne? Die Genielinie iſt ja nicht die Schwunglinie der Schoͤnheit, jene kann krumm und hoͤckerich ſeyn; aber das kann dieſe nicht. Daher meyn’ ich, der herzgute Lavater habe die ehrſame Schuſtergewerk- ſchaft in Zuͤrch leichter zufrieden ſtellen, und mit geringern Speſen abkommen koͤnnen, wenn er ſie fuͤr die den Zunftgenoſſen attri- buirte Mißgeſtalt, durch Genieblick entſchaͤ- diget haͤtte, welches er mit gutem Gewiſſen haͤtte

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/46>, abgerufen am 30.04.2024.