zu erwecken. 'S dauert' nicht lang so öff- nete sich die Thür, trat herein die Spört- lerische Grazie, mit sanftem unschuldigen Gütevollen Gesicht; ihre Wangen waren höher geröthet als gewöhnlich, und ihr Herz schien etwas beklommen zu seyn. Daraus urtheilt' ich, daß sie gleichfalls bey dem Gedräng der Freyerinsulten um sie her, zu einer weisen Retirade sich entschlos- sen habe; dacht: ha! das ist vielleicht die günstige Stunde wo ich lang nach getrach- tet hab, mich meines Auftrags zu entschüt- ten. Both augenblicklich alle Lauersamkeit und Spähkraft in mir auf, und versuchts kecklich ein Leimrüthlein aus dem physiogno- mischen Köcher hervorzulangen, und es ihr unvermerkt in den Weg zu legen, ob ich da- durch ihr Liebesgeheimniß erhaschen könnte; oder wenigstens einige Federlein darauf möch- ten bekleben bleiben, daraus ich abnähm, was für ein Vogel in ihr zartes Herz genistet habe.
Jch
zu erwecken. ’S dauert’ nicht lang ſo oͤff- nete ſich die Thuͤr, trat herein die Spoͤrt- leriſche Grazie, mit ſanftem unſchuldigen Guͤtevollen Geſicht; ihre Wangen waren hoͤher geroͤthet als gewoͤhnlich, und ihr Herz ſchien etwas beklommen zu ſeyn. Daraus urtheilt’ ich, daß ſie gleichfalls bey dem Gedraͤng der Freyerinſulten um ſie her, zu einer weiſen Retirade ſich entſchloſ- ſen habe; dacht: ha! das iſt vielleicht die guͤnſtige Stunde wo ich lang nach getrach- tet hab, mich meines Auftrags zu entſchuͤt- ten. Both augenblicklich alle Lauerſamkeit und Spaͤhkraft in mir auf, und verſuchts kecklich ein Leimruͤthlein aus dem phyſiogno- miſchen Koͤcher hervorzulangen, und es ihr unvermerkt in den Weg zu legen, ob ich da- durch ihr Liebesgeheimniß erhaſchen koͤnnte; oder wenigſtens einige Federlein darauf moͤch- ten bekleben bleiben, daraus ich abnaͤhm, was fuͤr ein Vogel in ihr zartes Herz geniſtet habe.
Jch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0204"n="196"/>
zu erwecken. ’S dauert’ nicht lang ſo oͤff-<lb/>
nete ſich die Thuͤr, trat herein die Spoͤrt-<lb/>
leriſche Grazie, mit ſanftem unſchuldigen<lb/>
Guͤtevollen Geſicht; ihre Wangen waren<lb/>
hoͤher geroͤthet als gewoͤhnlich, und ihr<lb/>
Herz ſchien etwas beklommen zu ſeyn.<lb/>
Daraus urtheilt’ ich, daß ſie gleichfalls<lb/>
bey dem Gedraͤng der Freyerinſulten um ſie<lb/><hirendition="#fr">her, zu einer weiſen Retirade ſich entſchloſ-</hi><lb/>ſen habe; dacht: ha! das iſt vielleicht die<lb/>
guͤnſtige Stunde wo ich lang nach getrach-<lb/>
tet hab, mich meines Auftrags zu entſchuͤt-<lb/>
ten. Both augenblicklich alle Lauerſamkeit<lb/>
und Spaͤhkraft in mir auf, und verſuchts<lb/>
kecklich ein Leimruͤthlein aus dem phyſiogno-<lb/>
miſchen Koͤcher hervorzulangen, und es ihr<lb/>
unvermerkt in den Weg zu legen, ob ich da-<lb/>
durch ihr Liebesgeheimniß erhaſchen koͤnnte;<lb/>
oder wenigſtens einige Federlein darauf moͤch-<lb/>
ten bekleben bleiben, daraus ich abnaͤhm, was<lb/>
fuͤr ein Vogel in ihr zartes Herz geniſtet habe.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Jch</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[196/0204]
zu erwecken. ’S dauert’ nicht lang ſo oͤff-
nete ſich die Thuͤr, trat herein die Spoͤrt-
leriſche Grazie, mit ſanftem unſchuldigen
Guͤtevollen Geſicht; ihre Wangen waren
hoͤher geroͤthet als gewoͤhnlich, und ihr
Herz ſchien etwas beklommen zu ſeyn.
Daraus urtheilt’ ich, daß ſie gleichfalls
bey dem Gedraͤng der Freyerinſulten um ſie
her, zu einer weiſen Retirade ſich entſchloſ-
ſen habe; dacht: ha! das iſt vielleicht die
guͤnſtige Stunde wo ich lang nach getrach-
tet hab, mich meines Auftrags zu entſchuͤt-
ten. Both augenblicklich alle Lauerſamkeit
und Spaͤhkraft in mir auf, und verſuchts
kecklich ein Leimruͤthlein aus dem phyſiogno-
miſchen Koͤcher hervorzulangen, und es ihr
unvermerkt in den Weg zu legen, ob ich da-
durch ihr Liebesgeheimniß erhaſchen koͤnnte;
oder wenigſtens einige Federlein darauf moͤch-
ten bekleben bleiben, daraus ich abnaͤhm, was
fuͤr ein Vogel in ihr zartes Herz geniſtet habe.
Jch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/204>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.