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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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zu erwecken. 'S dauert' nicht lang so öff-
nete sich die Thür, trat herein die Spört-
lerische Grazie, mit sanftem unschuldigen
Gütevollen Gesicht; ihre Wangen waren
höher geröthet als gewöhnlich, und ihr
Herz schien etwas beklommen zu seyn.
Daraus urtheilt' ich, daß sie gleichfalls
bey dem Gedräng der Freyerinsulten um sie
her, zu einer weisen Retirade sich entschlos-
sen habe; dacht: ha! das ist vielleicht die
günstige Stunde wo ich lang nach getrach-
tet hab, mich meines Auftrags zu entschüt-
ten. Both augenblicklich alle Lauersamkeit
und Spähkraft in mir auf, und versuchts
kecklich ein Leimrüthlein aus dem physiogno-
mischen Köcher hervorzulangen, und es ihr
unvermerkt in den Weg zu legen, ob ich da-
durch ihr Liebesgeheimniß erhaschen könnte;
oder wenigstens einige Federlein darauf möch-
ten bekleben bleiben, daraus ich abnähm, was
für ein Vogel in ihr zartes Herz genistet habe.

Jch

zu erwecken. ’S dauert’ nicht lang ſo oͤff-
nete ſich die Thuͤr, trat herein die Spoͤrt-
leriſche Grazie, mit ſanftem unſchuldigen
Guͤtevollen Geſicht; ihre Wangen waren
hoͤher geroͤthet als gewoͤhnlich, und ihr
Herz ſchien etwas beklommen zu ſeyn.
Daraus urtheilt’ ich, daß ſie gleichfalls
bey dem Gedraͤng der Freyerinſulten um ſie
her, zu einer weiſen Retirade ſich entſchloſ-
ſen habe; dacht: ha! das iſt vielleicht die
guͤnſtige Stunde wo ich lang nach getrach-
tet hab, mich meines Auftrags zu entſchuͤt-
ten. Both augenblicklich alle Lauerſamkeit
und Spaͤhkraft in mir auf, und verſuchts
kecklich ein Leimruͤthlein aus dem phyſiogno-
miſchen Koͤcher hervorzulangen, und es ihr
unvermerkt in den Weg zu legen, ob ich da-
durch ihr Liebesgeheimniß erhaſchen koͤnnte;
oder wenigſtens einige Federlein darauf moͤch-
ten bekleben bleiben, daraus ich abnaͤhm, was
fuͤr ein Vogel in ihr zartes Herz geniſtet habe.

Jch
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[196/0204] zu erwecken. ’S dauert’ nicht lang ſo oͤff- nete ſich die Thuͤr, trat herein die Spoͤrt- leriſche Grazie, mit ſanftem unſchuldigen Guͤtevollen Geſicht; ihre Wangen waren hoͤher geroͤthet als gewoͤhnlich, und ihr Herz ſchien etwas beklommen zu ſeyn. Daraus urtheilt’ ich, daß ſie gleichfalls bey dem Gedraͤng der Freyerinſulten um ſie her, zu einer weiſen Retirade ſich entſchloſ- ſen habe; dacht: ha! das iſt vielleicht die guͤnſtige Stunde wo ich lang nach getrach- tet hab, mich meines Auftrags zu entſchuͤt- ten. Both augenblicklich alle Lauerſamkeit und Spaͤhkraft in mir auf, und verſuchts kecklich ein Leimruͤthlein aus dem phyſiogno- miſchen Koͤcher hervorzulangen, und es ihr unvermerkt in den Weg zu legen, ob ich da- durch ihr Liebesgeheimniß erhaſchen koͤnnte; oder wenigſtens einige Federlein darauf moͤch- ten bekleben bleiben, daraus ich abnaͤhm, was fuͤr ein Vogel in ihr zartes Herz geniſtet habe. Jch

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/204>, abgerufen am 22.12.2024.