Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.sprechen, sie sah aber ihr Bild im Spiegel und fand Am andern Morgen saß Klärchen, wie gewöhn¬ ſprechen, ſie ſah aber ihr Bild im Spiegel und fand Am andern Morgen ſaß Klärchen, wie gewöhn¬ <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0053" n="47"/> ſprechen, ſie ſah aber ihr Bild im Spiegel und fand<lb/> ſich gar zu ſchön, der Mediziner mußte ſie ſehen,<lb/> mußte ſich überzeugen, daß ſie mit ihrer Erſcheinung<lb/> in die Salons einer Präſidentin paſſe, ja ihr Hoch¬<lb/> muth und ihre Eitelkeit waren heut ſo ſehr gewachſen,<lb/> daß ſie meinte, er müſſe ſich glücklich ſchätzen ſie zu<lb/> gewinnen. Man konnte gar nicht wiſſen ob ihr nicht<lb/> noch ein größeres Glück beſtimmt geweſen. Der junge<lb/> Graf, der heut mit in der Geſellſchaft war, hatte ſie<lb/> nicht aus den Augen gelaſſen, und der Generalin<lb/> Sohn, der außer ſeinem Lieutenantsgehalt noch ein Gut<lb/> in Schleſien hatte, dazu adelig war, hatte ſich gewiß<lb/> ſchon ſterblich in ſie verliebt. Klärchen hatte viel Ro¬<lb/> mane geleſen, ſie wußte, daß nicht ſelten arme Mäd¬<lb/> chen vornehme Partien machen, und ſie hatte die be¬<lb/> ſtimmte Ahnung einer großen Zukunft. Mit ſolchen<lb/> Gedanken trat ſie auf den Flur, der Mediziner ſtand<lb/> ſchon unten an der Treppe. Als er ihr vornehmes,<lb/> herablaſſendes Weſen ſah, dazu ihre Schönheit, ver¬<lb/> ſchluckte er die groben ungeduldigen Liebesvorwürfe,<lb/> die ihm in der Kehle ſtaken, und beklagte ſich nur,<lb/> daß er ſie heut den ganzen Tag nicht geſehen. Klär¬<lb/> chen entgegnete, dies ſei ein unſchicklicher Platz ſich<lb/> zu ſprechen, und beſchied ihn zum nächſten Abend zu<lb/> ihrer Mutter. Daß er ſie küßte und zärtlich ward,<lb/> litt ſie wohl; Hochmuth und Eitelkeit ſchützen nicht<lb/> vor böſen Herzensgelüſten, nein, es ſind gerade ſehr<lb/> verträgliche Schweſtern, die ſich gegenſeitig hegen und<lb/> pflegen.</p><lb/> <p>Am andern Morgen ſaß Klärchen, wie gewöhn¬<lb/> lich, nähend im Vorzimmer. Der Lieutenant trat ein<lb/></p> </body> </text> </TEI> [47/0053]
ſprechen, ſie ſah aber ihr Bild im Spiegel und fand
ſich gar zu ſchön, der Mediziner mußte ſie ſehen,
mußte ſich überzeugen, daß ſie mit ihrer Erſcheinung
in die Salons einer Präſidentin paſſe, ja ihr Hoch¬
muth und ihre Eitelkeit waren heut ſo ſehr gewachſen,
daß ſie meinte, er müſſe ſich glücklich ſchätzen ſie zu
gewinnen. Man konnte gar nicht wiſſen ob ihr nicht
noch ein größeres Glück beſtimmt geweſen. Der junge
Graf, der heut mit in der Geſellſchaft war, hatte ſie
nicht aus den Augen gelaſſen, und der Generalin
Sohn, der außer ſeinem Lieutenantsgehalt noch ein Gut
in Schleſien hatte, dazu adelig war, hatte ſich gewiß
ſchon ſterblich in ſie verliebt. Klärchen hatte viel Ro¬
mane geleſen, ſie wußte, daß nicht ſelten arme Mäd¬
chen vornehme Partien machen, und ſie hatte die be¬
ſtimmte Ahnung einer großen Zukunft. Mit ſolchen
Gedanken trat ſie auf den Flur, der Mediziner ſtand
ſchon unten an der Treppe. Als er ihr vornehmes,
herablaſſendes Weſen ſah, dazu ihre Schönheit, ver¬
ſchluckte er die groben ungeduldigen Liebesvorwürfe,
die ihm in der Kehle ſtaken, und beklagte ſich nur,
daß er ſie heut den ganzen Tag nicht geſehen. Klär¬
chen entgegnete, dies ſei ein unſchicklicher Platz ſich
zu ſprechen, und beſchied ihn zum nächſten Abend zu
ihrer Mutter. Daß er ſie küßte und zärtlich ward,
litt ſie wohl; Hochmuth und Eitelkeit ſchützen nicht
vor böſen Herzensgelüſten, nein, es ſind gerade ſehr
verträgliche Schweſtern, die ſich gegenſeitig hegen und
pflegen.
Am andern Morgen ſaß Klärchen, wie gewöhn¬
lich, nähend im Vorzimmer. Der Lieutenant trat ein
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