auf Befragen wohl erklärt haben, gerade diese sittliche Kri- tik, das Beste, das er habe und das Einzige, dem Vaterlande schuldig zu sein. In der That schliesst die volle sittliche Ver- pflichtung des Bürgers gegen den Staat in sich seine eigene Mitarbeit an der Besserung der öffentlichen Zustände auf den Wegen und mit den Kräften, die ihm zu Gebote stehen. Und diese Verpflichtung darf dauernd und grundsätzlich nicht auf eine abgesonderte Klasse Regierender beschränkt ge- dacht werden. Gemeinschaft, Willensgemeinschaft kann nicht gedacht werden zwischen zwei Klassen, von denen die eine allein den Willen, die andre die Willenlosigkeit der Ge- meinschaft darstellen würde. Willenloses Gehorchen und Dienen ist nicht Tugend von Menschen sondern von Sachen, und gar eine ganze Volksklasse -- wohl gar die überwältigende Mehr- heit -- zu einer Klasse willenlos Gehorchender herabsetzen wollen, heisst sie des sittlichen Charakters überhaupt ent- kleiden und damit auf die Sittlichkeit der Gemeinschaft als solcher Verzicht thun. Die unabweisbare Folgerung ist, dass auch die regierenden Funktionen vom Standpunkt der Gleichheit und Gemeinschaft geordnet sein müssten. Eine Abstufung (vollends eine Teilung) der Funk- tionen überhaupt wird dadurch keineswegs ausgeschlossen; ge- fordert wird nur, dass zu jeder sozialen Funktion an sich jedem unter gleichheitlichen Bedingungen der Zutritt möglich sei, und allein die Tüchtigkeit, nicht irgend ein sonstiger, ausser- sachlicher Maassstab über den Anteil daran entscheide.
Uebrigens ist die Entwicklung auch in dieser Hinsicht bereits auf den Punkt gekommen, dass die Anerkennung wenig- stens des allgemeinen Grundsatzes kaum mehr auf ernsten Widerstand zu rechnen hat. Besonders mit der thatsächlichen und strengen Durchführung des Prinzips der allgemeinen Wehrpflicht ist eine sehr aktive Beteiligung an einer der wesentlichsten sozialen Funktionen thatsächlich allen unter ziemlich gleichen Bedingungen zugestanden. Diese einzige Maassregel zieht aber eine weitergehende Durchführung der sozialen Gleichheit unentrinnbar nach sich; eine, wenn auch noch so eingeschränkte Beteiligung an Funktionen der Ge-
auf Befragen wohl erklärt haben, gerade diese sittliche Kri- tik, das Beste, das er habe und das Einzige, dem Vaterlande schuldig zu sein. In der That schliesst die volle sittliche Ver- pflichtung des Bürgers gegen den Staat in sich seine eigene Mitarbeit an der Besserung der öffentlichen Zustände auf den Wegen und mit den Kräften, die ihm zu Gebote stehen. Und diese Verpflichtung darf dauernd und grundsätzlich nicht auf eine abgesonderte Klasse Regierender beschränkt ge- dacht werden. Gemeinschaft, Willensgemeinschaft kann nicht gedacht werden zwischen zwei Klassen, von denen die eine allein den Willen, die andre die Willenlosigkeit der Ge- meinschaft darstellen würde. Willenloses Gehorchen und Dienen ist nicht Tugend von Menschen sondern von Sachen, und gar eine ganze Volksklasse — wohl gar die überwältigende Mehr- heit — zu einer Klasse willenlos Gehorchender herabsetzen wollen, heisst sie des sittlichen Charakters überhaupt ent- kleiden und damit auf die Sittlichkeit der Gemeinschaft als solcher Verzicht thun. Die unabweisbare Folgerung ist, dass auch die regierenden Funktionen vom Standpunkt der Gleichheit und Gemeinschaft geordnet sein müssten. Eine Abstufung (vollends eine Teilung) der Funk- tionen überhaupt wird dadurch keineswegs ausgeschlossen; ge- fordert wird nur, dass zu jeder sozialen Funktion an sich jedem unter gleichheitlichen Bedingungen der Zutritt möglich sei, und allein die Tüchtigkeit, nicht irgend ein sonstiger, ausser- sachlicher Maassstab über den Anteil daran entscheide.
Uebrigens ist die Entwicklung auch in dieser Hinsicht bereits auf den Punkt gekommen, dass die Anerkennung wenig- stens des allgemeinen Grundsatzes kaum mehr auf ernsten Widerstand zu rechnen hat. Besonders mit der thatsächlichen und strengen Durchführung des Prinzips der allgemeinen Wehrpflicht ist eine sehr aktive Beteiligung an einer der wesentlichsten sozialen Funktionen thatsächlich allen unter ziemlich gleichen Bedingungen zugestanden. Diese einzige Maassregel zieht aber eine weitergehende Durchführung der sozialen Gleichheit unentrinnbar nach sich; eine, wenn auch noch so eingeschränkte Beteiligung an Funktionen der Ge-
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[184/0200]
auf Befragen wohl erklärt haben, gerade diese sittliche Kri-
tik, das Beste, das er habe und das Einzige, dem Vaterlande
schuldig zu sein. In der That schliesst die volle sittliche Ver-
pflichtung des Bürgers gegen den Staat in sich seine eigene
Mitarbeit an der Besserung der öffentlichen Zustände auf den
Wegen und mit den Kräften, die ihm zu Gebote stehen. Und
diese Verpflichtung darf dauernd und grundsätzlich nicht auf
eine abgesonderte Klasse Regierender beschränkt ge-
dacht werden. Gemeinschaft, Willensgemeinschaft kann
nicht gedacht werden zwischen zwei Klassen, von denen die
eine allein den Willen, die andre die Willenlosigkeit der Ge-
meinschaft darstellen würde. Willenloses Gehorchen und Dienen
ist nicht Tugend von Menschen sondern von Sachen, und gar
eine ganze Volksklasse — wohl gar die überwältigende Mehr-
heit — zu einer Klasse willenlos Gehorchender herabsetzen
wollen, heisst sie des sittlichen Charakters überhaupt ent-
kleiden und damit auf die Sittlichkeit der Gemeinschaft als
solcher Verzicht thun. Die unabweisbare Folgerung ist, dass
auch die regierenden Funktionen vom Standpunkt
der Gleichheit und Gemeinschaft geordnet sein
müssten. Eine Abstufung (vollends eine Teilung) der Funk-
tionen überhaupt wird dadurch keineswegs ausgeschlossen; ge-
fordert wird nur, dass zu jeder sozialen Funktion an sich jedem
unter gleichheitlichen Bedingungen der Zutritt möglich sei,
und allein die Tüchtigkeit, nicht irgend ein sonstiger, ausser-
sachlicher Maassstab über den Anteil daran entscheide.
Uebrigens ist die Entwicklung auch in dieser Hinsicht
bereits auf den Punkt gekommen, dass die Anerkennung wenig-
stens des allgemeinen Grundsatzes kaum mehr auf ernsten
Widerstand zu rechnen hat. Besonders mit der thatsächlichen
und strengen Durchführung des Prinzips der allgemeinen
Wehrpflicht ist eine sehr aktive Beteiligung an einer der
wesentlichsten sozialen Funktionen thatsächlich allen unter
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/200>, abgerufen am 22.11.2024.
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