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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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Die Grundrichtungen der Abstraktion aber müssen
voraus gegeben sein; man muss sich auf ein schon bekanntes
Grundgerüst sittlicher Lehre beziehen können. Ein solches
kann auch, nachdem einige gut ausgewählte praktische Grund-
wahrheiten gewonnen und die notwendigsten Vorbegriffe an
diesen klar gemacht sind, mit Leichtigkeit aus solchen ent-
wickelt werden.

Damit treten wir der materialen Betrachtung der
praktischen Lehre schon einen Schritt näher. Wir unter-
scheiden Gestaltung des Werks und Gestaltung der Persön-
lichkeit
. Das Erstere entspricht am nächsten dem, was man
sonst Güterlehre genannt hat, wobei man nur unter Gütern
nicht Genussobjekte, sondern Hervorzubringendes verstehe. Im
höheren Sinne ist es die ideelle Gestaltung einer Willenswelt
(Welt der Zwecke), und zwar in der Gemeinschaft, also
identisch mit dem Inbegriff der sittlichen Aufgaben. Dann
ist aber das Andre, der Aufbau der sittlichen Persönlichkeit,
eigentlich nur ein Teil davon; jedoch der Teil, der den Ein-
zelnen zu allernächst angeht und in seiner sittlichen Arbeit
naturgemäss obenan steht. Denn erst muss man ein ordent-
licher Mensch sein, ehe man es wagen darf, sich, als wäre man
mit sich schon im Reinen, um allerlei Fernerliegendes zu
kümmern. Die erziehende Uebung vor allem hat jedenfalls
dies nächste Ziel, die Persönlichkeit zu entfalten und ihr Ge-
stalt zu geben.

Deswegen ist für die sittliche Unterweisung der Gesichts-
punkt der Tugendlehre allerdings der erste. Dann aber
muss doch die Frage nach der Sache, die der sich ihr wid-
menden Person erst Wert giebt, an Gewicht und Bedeutung
mehr und mehr vorantreten. Es ist nicht gut, wenn das
zurückgeschoben und die sittliche Lehre ausschliesslich auf ein
System von Tugenden gegründet wird (wie z. B. bei Adler).
Soll z. B. das Kind zu der Erkenntnis geführt werden, dass
es seine Eltern ehren, seinen Geschwistern sich liebreich er-
weisen soll, so bedarf es dazu freilich vorerst keiner weither
geholten Begründung, denn der Grund dazu ist normalerweise
im Kinde schon gelegt, und es ist nur nötig, was ihm in

Die Grundrichtungen der Abstraktion aber müssen
voraus gegeben sein; man muss sich auf ein schon bekanntes
Grundgerüst sittlicher Lehre beziehen können. Ein solches
kann auch, nachdem einige gut ausgewählte praktische Grund-
wahrheiten gewonnen und die notwendigsten Vorbegriffe an
diesen klar gemacht sind, mit Leichtigkeit aus solchen ent-
wickelt werden.

Damit treten wir der materialen Betrachtung der
praktischen Lehre schon einen Schritt näher. Wir unter-
scheiden Gestaltung des Werks und Gestaltung der Persön-
lichkeit
. Das Erstere entspricht am nächsten dem, was man
sonst Güterlehre genannt hat, wobei man nur unter Gütern
nicht Genussobjekte, sondern Hervorzubringendes verstehe. Im
höheren Sinne ist es die ideelle Gestaltung einer Willenswelt
(Welt der Zwecke), und zwar in der Gemeinschaft, also
identisch mit dem Inbegriff der sittlichen Aufgaben. Dann
ist aber das Andre, der Aufbau der sittlichen Persönlichkeit,
eigentlich nur ein Teil davon; jedoch der Teil, der den Ein-
zelnen zu allernächst angeht und in seiner sittlichen Arbeit
naturgemäss obenan steht. Denn erst muss man ein ordent-
licher Mensch sein, ehe man es wagen darf, sich, als wäre man
mit sich schon im Reinen, um allerlei Fernerliegendes zu
kümmern. Die erziehende Uebung vor allem hat jedenfalls
dies nächste Ziel, die Persönlichkeit zu entfalten und ihr Ge-
stalt zu geben.

Deswegen ist für die sittliche Unterweisung der Gesichts-
punkt der Tugendlehre allerdings der erste. Dann aber
muss doch die Frage nach der Sache, die der sich ihr wid-
menden Person erst Wert giebt, an Gewicht und Bedeutung
mehr und mehr vorantreten. Es ist nicht gut, wenn das
zurückgeschoben und die sittliche Lehre ausschliesslich auf ein
System von Tugenden gegründet wird (wie z. B. bei Adler).
Soll z. B. das Kind zu der Erkenntnis geführt werden, dass
es seine Eltern ehren, seinen Geschwistern sich liebreich er-
weisen soll, so bedarf es dazu freilich vorerst keiner weither
geholten Begründung, denn der Grund dazu ist normalerweise
im Kinde schon gelegt, und es ist nur nötig, was ihm in

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[242/0258] Die Grundrichtungen der Abstraktion aber müssen voraus gegeben sein; man muss sich auf ein schon bekanntes Grundgerüst sittlicher Lehre beziehen können. Ein solches kann auch, nachdem einige gut ausgewählte praktische Grund- wahrheiten gewonnen und die notwendigsten Vorbegriffe an diesen klar gemacht sind, mit Leichtigkeit aus solchen ent- wickelt werden. Damit treten wir der materialen Betrachtung der praktischen Lehre schon einen Schritt näher. Wir unter- scheiden Gestaltung des Werks und Gestaltung der Persön- lichkeit. Das Erstere entspricht am nächsten dem, was man sonst Güterlehre genannt hat, wobei man nur unter Gütern nicht Genussobjekte, sondern Hervorzubringendes verstehe. Im höheren Sinne ist es die ideelle Gestaltung einer Willenswelt (Welt der Zwecke), und zwar in der Gemeinschaft, also identisch mit dem Inbegriff der sittlichen Aufgaben. Dann ist aber das Andre, der Aufbau der sittlichen Persönlichkeit, eigentlich nur ein Teil davon; jedoch der Teil, der den Ein- zelnen zu allernächst angeht und in seiner sittlichen Arbeit naturgemäss obenan steht. Denn erst muss man ein ordent- licher Mensch sein, ehe man es wagen darf, sich, als wäre man mit sich schon im Reinen, um allerlei Fernerliegendes zu kümmern. Die erziehende Uebung vor allem hat jedenfalls dies nächste Ziel, die Persönlichkeit zu entfalten und ihr Ge- stalt zu geben. Deswegen ist für die sittliche Unterweisung der Gesichts- punkt der Tugendlehre allerdings der erste. Dann aber muss doch die Frage nach der Sache, die der sich ihr wid- menden Person erst Wert giebt, an Gewicht und Bedeutung mehr und mehr vorantreten. Es ist nicht gut, wenn das zurückgeschoben und die sittliche Lehre ausschliesslich auf ein System von Tugenden gegründet wird (wie z. B. bei Adler). Soll z. B. das Kind zu der Erkenntnis geführt werden, dass es seine Eltern ehren, seinen Geschwistern sich liebreich er- weisen soll, so bedarf es dazu freilich vorerst keiner weither geholten Begründung, denn der Grund dazu ist normalerweise im Kinde schon gelegt, und es ist nur nötig, was ihm in

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/258>, abgerufen am 22.11.2024.