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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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aus ein Objekt setzen? Das erscheint nicht nur, sondern ist
in der That schwierig.

Nun giebt es aber noch einen andern, geradezu auf die
fragliche Gestaltungsart zielenden psychologischen Ausdruck,
nämlich den der Phantasie. Zwar ist wiederum nicht alle
Phantasie ästhetisch, die Phantasie z. B. nicht, die einen
noch nicht gesehenen Gegenstand, eine Maschine etwa, nach
gegebener Beschreibung vorzustellen, und so zu erkennen
trachtet. Allein das ist dienstbare, anderweitigem Zweck,
hier dem der theoretischen Erkenntnis sich unterordnende
Phantasie. So dient sie in andern Fällen lediglich den Zwecken
des Willens; die lebendige Vorstellung des Gewollten fördert
die Bestimmtheit des Wollens, das sonst leicht ins Gestaltlose
schweifen und so der vollen Kraft des Lebens verlustig gehen
würde. Aber es giebt auch eine freie, keinem anderweitigen
Zweck dienende, sozusagen selbstzweckliche Phantasie,
die demnach wohl auch einem eigenen Gesetze ihrer Gestaltung
wird folgen müssen. Diese freie, nach eigenem Gesetz ge-
staltende Phantasie würde also die ästhetische, und überhaupt
das Prinzip des Aesthetischen sein.

Damit ist aber vielleicht auch das Unterscheidende der
ästhetischen Lust oder besser Freude, das wir vorher nicht
anzugeben wussten, schon gefunden: es ist die Freude, in der
die frei gestaltende Thätigkeit der Phantasie lediglich sich
selbst geniesst. Aesthetisches Gefühl ist reines Thätigkeits-
gefühl, Gestaltungsgefühl des Bewusstseins, nicht blosses
Lebensgefühl; ausser sofern man eben sein wahres Leben
nur im Gestalten sieht. An jenem allein lässt sich ein Cha-
rakter der Objektivität begreifen; sofern es auf die Gestaltung,
die, als gesetzmässige, auch immer ein "Objekt" schaffen muss,
sich unmittelbar bezieht und allein an ihr haftet, kommt diesem
Gefühle die Allgemeingültigkeit zu, die dem Aesthetischen, bei
aller seiner Freiheit vom logischen oder ethischen Gesetz,
dennoch zugesprochen werden muss, und die, ohne diese Be-
ziehung zu einer gesetzmässigen Gestaltung, im Gefühl un-
möglich gefunden werden könnte.

Nur so gelingt es nun auch, das innere Verhältnis der

aus ein Objekt setzen? Das erscheint nicht nur, sondern ist
in der That schwierig.

Nun giebt es aber noch einen andern, geradezu auf die
fragliche Gestaltungsart zielenden psychologischen Ausdruck,
nämlich den der Phantasie. Zwar ist wiederum nicht alle
Phantasie ästhetisch, die Phantasie z. B. nicht, die einen
noch nicht gesehenen Gegenstand, eine Maschine etwa, nach
gegebener Beschreibung vorzustellen, und so zu erkennen
trachtet. Allein das ist dienstbare, anderweitigem Zweck,
hier dem der theoretischen Erkenntnis sich unterordnende
Phantasie. So dient sie in andern Fällen lediglich den Zwecken
des Willens; die lebendige Vorstellung des Gewollten fördert
die Bestimmtheit des Wollens, das sonst leicht ins Gestaltlose
schweifen und so der vollen Kraft des Lebens verlustig gehen
würde. Aber es giebt auch eine freie, keinem anderweitigen
Zweck dienende, sozusagen selbstzweckliche Phantasie,
die demnach wohl auch einem eigenen Gesetze ihrer Gestaltung
wird folgen müssen. Diese freie, nach eigenem Gesetz ge-
staltende Phantasie würde also die ästhetische, und überhaupt
das Prinzip des Aesthetischen sein.

Damit ist aber vielleicht auch das Unterscheidende der
ästhetischen Lust oder besser Freude, das wir vorher nicht
anzugeben wussten, schon gefunden: es ist die Freude, in der
die frei gestaltende Thätigkeit der Phantasie lediglich sich
selbst geniesst. Aesthetisches Gefühl ist reines Thätigkeits-
gefühl, Gestaltungsgefühl des Bewusstseins, nicht blosses
Lebensgefühl; ausser sofern man eben sein wahres Leben
nur im Gestalten sieht. An jenem allein lässt sich ein Cha-
rakter der Objektivität begreifen; sofern es auf die Gestaltung,
die, als gesetzmässige, auch immer ein „Objekt“ schaffen muss,
sich unmittelbar bezieht und allein an ihr haftet, kommt diesem
Gefühle die Allgemeingültigkeit zu, die dem Aesthetischen, bei
aller seiner Freiheit vom logischen oder ethischen Gesetz,
dennoch zugesprochen werden muss, und die, ohne diese Be-
ziehung zu einer gesetzmässigen Gestaltung, im Gefühl un-
möglich gefunden werden könnte.

Nur so gelingt es nun auch, das innere Verhältnis der

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[314/0330] aus ein Objekt setzen? Das erscheint nicht nur, sondern ist in der That schwierig. Nun giebt es aber noch einen andern, geradezu auf die fragliche Gestaltungsart zielenden psychologischen Ausdruck, nämlich den der Phantasie. Zwar ist wiederum nicht alle Phantasie ästhetisch, die Phantasie z. B. nicht, die einen noch nicht gesehenen Gegenstand, eine Maschine etwa, nach gegebener Beschreibung vorzustellen, und so zu erkennen trachtet. Allein das ist dienstbare, anderweitigem Zweck, hier dem der theoretischen Erkenntnis sich unterordnende Phantasie. So dient sie in andern Fällen lediglich den Zwecken des Willens; die lebendige Vorstellung des Gewollten fördert die Bestimmtheit des Wollens, das sonst leicht ins Gestaltlose schweifen und so der vollen Kraft des Lebens verlustig gehen würde. Aber es giebt auch eine freie, keinem anderweitigen Zweck dienende, sozusagen selbstzweckliche Phantasie, die demnach wohl auch einem eigenen Gesetze ihrer Gestaltung wird folgen müssen. Diese freie, nach eigenem Gesetz ge- staltende Phantasie würde also die ästhetische, und überhaupt das Prinzip des Aesthetischen sein. Damit ist aber vielleicht auch das Unterscheidende der ästhetischen Lust oder besser Freude, das wir vorher nicht anzugeben wussten, schon gefunden: es ist die Freude, in der die frei gestaltende Thätigkeit der Phantasie lediglich sich selbst geniesst. Aesthetisches Gefühl ist reines Thätigkeits- gefühl, Gestaltungsgefühl des Bewusstseins, nicht blosses Lebensgefühl; ausser sofern man eben sein wahres Leben nur im Gestalten sieht. An jenem allein lässt sich ein Cha- rakter der Objektivität begreifen; sofern es auf die Gestaltung, die, als gesetzmässige, auch immer ein „Objekt“ schaffen muss, sich unmittelbar bezieht und allein an ihr haftet, kommt diesem Gefühle die Allgemeingültigkeit zu, die dem Aesthetischen, bei aller seiner Freiheit vom logischen oder ethischen Gesetz, dennoch zugesprochen werden muss, und die, ohne diese Be- ziehung zu einer gesetzmässigen Gestaltung, im Gefühl un- möglich gefunden werden könnte. Nur so gelingt es nun auch, das innere Verhältnis der

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/330>, abgerufen am 27.11.2024.