An dieser admiriret man den nach Welscher Manier zierlich erbauten Thurm; der vordre Giebel ist mit köstlichen ausgehauenen steinernen Bil- dern, die Spitze aber mit einer vergoldeten Crone gezieret. Die prächtige marmorne Cantzel, deren schwartzer Grund mit weissen Zierathen belegt, nebst der sehr wohl klingenden Orgel, geben der Kirche einen unvergleichlichen Zierath. Unter denen vielen Gemählden und Epitaphiis remarquiret man das bey der Orgel befindliche meisterliche Perspectiv. Gemählde von Gabriel Engel; und unter den Epitaphiis vergisset man nicht am dritten Pfei- ler nordlicher Seite dasjenige zu besehen, wovon die Alchymisten und Schatz-Gräber in der Meynung stehen, daß um selbige Gegend eine köstli- che Tinctur oder ein grosser Schatz selber vergraben sey, und solches schliessen sie aus dem Einhorn, welches in der Maria Schoß springet, weil es von vie- len Hunden gejaget wird. So aber in der That ein eitler falscher Wahn ist; denn eben dasselbe Bild findet man in der Petri- oder Jacobi-Kirche an einem Pfeiler, ohnweit der Orgel, auch in einem Epitaphio unter mehrern Figuren und Vorbildung, so muß entweder daselbst auch ein Schatz dadurch von den Alten bedeutet worden seyn, oder sie haben mit diesem hieroglyphi- schen Sinnbild sonst etwas vorstellen wollen; und dieser letzten Meynung pflichte ich meiner seits bey. Joachim Camerarius stellet in dem IIten Hundert seiner Sinnbilder und Wahl-Sprüche fast dasselbe vor. Nemlich eine Jungfrau, in deren Schoß ein Einhorn sein Haupt geleget; er schreibet die Erfindung desselbigen Joann. Tzetzes, (nicht positive, sondern so viel ihm be- wust,) zu, welcher ums Jahr 1576. gelebet. Isidorus schreibet im Buch Ethym. cap. 2. Das Einhorn liebe die nackende Jungfrauen: Diß hat nun etwa ein frommer Alt-Vater abgemahlt gesehen, und solches zu seinem Epi- taphio erwählet, der Nachwelt dadurch eine gute Lehre zu geben, daß, wie das Einhorn, wenn es von den Hunden gejaget wird, seine Zuflucht zu einer Jungfrau nimmt, also sollen auch die Menschen, wann sie von der Welt verfolget werden, ihre Zuflucht zu der heil. Jungfrau, i. e. der Mutter GOt- tes nehmen. Die übrigen Neben-Vorstellungen belangend, so bemercket man an der Jungfrau, daß diese sitzet in einem mit Gehäg und Thürmen um- gebenen Garten; damit hat der Stiffter dieses Epitaphii anzeigen wollen den sichern und starcken Schutz, so man bey dieser heil. Jungfrau erlangen könne. Der darinn stehende Schatz-Kasten soll bedeuten den grossen Reich- thum, mit welchem sie die, so sie aufrichtig lieben und ehren, beschencket. Der feurig-brennende Busch, den Moses sahe, und darüber sich GOtt offen-
barte,
Von Muſeis I. Theil
Die dritte Haupt-Kirche iſt S. Catharinen-Kirche.
An dieſer admiriret man den nach Welſcher Manier zierlich erbauten Thurm; der vordre Giebel iſt mit koͤſtlichen ausgehauenen ſteinernen Bil- dern, die Spitze aber mit einer vergoldeten Crone gezieret. Die praͤchtige marmorne Cantzel, deren ſchwartzer Grund mit weiſſen Zierathen belegt, nebſt der ſehr wohl klingenden Orgel, geben der Kirche einen unvergleichlichen Zierath. Unter denen vielen Gemaͤhlden und Epitaphiis remarquiret man das bey der Orgel befindliche meiſterliche Perſpectiv. Gemaͤhlde von Gabriel Engel; und unter den Epitaphiis vergiſſet man nicht am dritten Pfei- ler nordlicher Seite dasjenige zu beſehen, wovon die Alchymiſten und Schatz-Graͤber in der Meynung ſtehen, daß um ſelbige Gegend eine koͤſtli- che Tinctur oder ein groſſer Schatz ſelber vergraben ſey, und ſolches ſchlieſſen ſie aus dem Einhorn, welches in der Maria Schoß ſpringet, weil es von vie- len Hunden gejaget wird. So aber in der That ein eitler falſcher Wahn iſt; denn eben daſſelbe Bild findet man in der Petri- oder Jacobi-Kirche an einem Pfeiler, ohnweit der Orgel, auch in einem Epitaphio unter mehrern Figuren und Vorbildung, ſo muß entweder daſelbſt auch ein Schatz dadurch von den Alten bedeutet worden ſeyn, oder ſie haben mit dieſem hieroglyphi- ſchen Sinnbild ſonſt etwas vorſtellen wollen; und dieſer letzten Meynung pflichte ich meiner ſeits bey. Joachim Camerarius ſtellet in dem IIten Hundert ſeiner Sinnbilder und Wahl-Spruͤche faſt daſſelbe vor. Nemlich eine Jungfrau, in deren Schoß ein Einhorn ſein Haupt geleget; er ſchreibet die Erfindung deſſelbigen Joann. Tzetzes, (nicht poſitive, ſondern ſo viel ihm be- wuſt,) zu, welcher ums Jahr 1576. gelebet. Iſidorus ſchreibet im Buch Ethym. cap. 2. Das Einhorn liebe die nackende Jungfrauen: Diß hat nun etwa ein frommer Alt-Vater abgemahlt geſehen, und ſolches zu ſeinem Epi- taphio erwaͤhlet, der Nachwelt dadurch eine gute Lehre zu geben, daß, wie das Einhorn, wenn es von den Hunden gejaget wird, ſeine Zuflucht zu einer Jungfrau nimmt, alſo ſollen auch die Menſchen, wann ſie von der Welt verfolget werden, ihre Zuflucht zu der heil. Jungfrau, i. e. der Mutter GOt- tes nehmen. Die uͤbrigen Neben-Vorſtellungen belangend, ſo bemercket man an der Jungfrau, daß dieſe ſitzet in einem mit Gehaͤg und Thuͤrmen um- gebenen Garten; damit hat der Stiffter dieſes Epitaphii anzeigen wollen den ſichern und ſtarcken Schutz, ſo man bey dieſer heil. Jungfrau erlangen koͤnne. Der darinn ſtehende Schatz-Kaſten ſoll bedeuten den groſſen Reich- thum, mit welchem ſie die, ſo ſie aufrichtig lieben und ehren, beſchencket. Der feurig-brennende Buſch, den Moſes ſahe, und daruͤber ſich GOtt offen-
barte,
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[48/0076]
Von Muſeis I. Theil
Die dritte Haupt-Kirche iſt S. Catharinen-Kirche.
An dieſer admiriret man den nach Welſcher Manier zierlich erbauten
Thurm; der vordre Giebel iſt mit koͤſtlichen ausgehauenen ſteinernen Bil-
dern, die Spitze aber mit einer vergoldeten Crone gezieret. Die praͤchtige
marmorne Cantzel, deren ſchwartzer Grund mit weiſſen Zierathen belegt,
nebſt der ſehr wohl klingenden Orgel, geben der Kirche einen unvergleichlichen
Zierath. Unter denen vielen Gemaͤhlden und Epitaphiis remarquiret man
das bey der Orgel befindliche meiſterliche Perſpectiv. Gemaͤhlde von
Gabriel Engel; und unter den Epitaphiis vergiſſet man nicht am dritten Pfei-
ler nordlicher Seite dasjenige zu beſehen, wovon die Alchymiſten und
Schatz-Graͤber in der Meynung ſtehen, daß um ſelbige Gegend eine koͤſtli-
che Tinctur oder ein groſſer Schatz ſelber vergraben ſey, und ſolches ſchlieſſen
ſie aus dem Einhorn, welches in der Maria Schoß ſpringet, weil es von vie-
len Hunden gejaget wird. So aber in der That ein eitler falſcher Wahn
iſt; denn eben daſſelbe Bild findet man in der Petri- oder Jacobi-Kirche an
einem Pfeiler, ohnweit der Orgel, auch in einem Epitaphio unter mehrern
Figuren und Vorbildung, ſo muß entweder daſelbſt auch ein Schatz dadurch
von den Alten bedeutet worden ſeyn, oder ſie haben mit dieſem hieroglyphi-
ſchen Sinnbild ſonſt etwas vorſtellen wollen; und dieſer letzten Meynung
pflichte ich meiner ſeits bey. Joachim Camerarius ſtellet in dem IIten Hundert
ſeiner Sinnbilder und Wahl-Spruͤche faſt daſſelbe vor. Nemlich eine
Jungfrau, in deren Schoß ein Einhorn ſein Haupt geleget; er ſchreibet die
Erfindung deſſelbigen Joann. Tzetzes, (nicht poſitive, ſondern ſo viel ihm be-
wuſt,) zu, welcher ums Jahr 1576. gelebet. Iſidorus ſchreibet im Buch
Ethym. cap. 2. Das Einhorn liebe die nackende Jungfrauen: Diß hat nun
etwa ein frommer Alt-Vater abgemahlt geſehen, und ſolches zu ſeinem Epi-
taphio erwaͤhlet, der Nachwelt dadurch eine gute Lehre zu geben, daß, wie
das Einhorn, wenn es von den Hunden gejaget wird, ſeine Zuflucht zu einer
Jungfrau nimmt, alſo ſollen auch die Menſchen, wann ſie von der Welt
verfolget werden, ihre Zuflucht zu der heil. Jungfrau, i. e. der Mutter GOt-
tes nehmen. Die uͤbrigen Neben-Vorſtellungen belangend, ſo bemercket
man an der Jungfrau, daß dieſe ſitzet in einem mit Gehaͤg und Thuͤrmen um-
gebenen Garten; damit hat der Stiffter dieſes Epitaphii anzeigen wollen
den ſichern und ſtarcken Schutz, ſo man bey dieſer heil. Jungfrau erlangen
koͤnne. Der darinn ſtehende Schatz-Kaſten ſoll bedeuten den groſſen Reich-
thum, mit welchem ſie die, ſo ſie aufrichtig lieben und ehren, beſchencket.
Der feurig-brennende Buſch, den Moſes ſahe, und daruͤber ſich GOtt offen-
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Neickel, Kaspar Friedrich [i. e. Jencquel, Kaspar Friedrich]; Kanold, Johann: Museographia oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum, oder Raritäten-Kammern. Leipzig u. a., 1727, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/neickel_museographia_1727/76>, abgerufen am 21.11.2024.
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