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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821.

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Anstand bewilligt und der unruhige Gast
auf der Stelle durch einen andern Officier
ersetzt und an Land geführt.

Niemand war mit diesem Wechsel unzu-
frieden, als Madame W., die jetzt ein zun-
genfertiges Geschnatter anhub und mir eine
Reihe von Ehrentiteln gab, welche ich hier
nachzuschreiben nicht Lust habe. Jch bat sie,
sich zu menagiren, wenn sie nicht etwa wolle,
daß ich sie durch meine Leute beim Kopfe krie-
gen, in's Boot werfen, am nächsten Strande
aussetzen und in die dickste Wildniß laufen
liesse. Diese unbehägliche Aussicht, an deren
augenblicklicher Erfüllung mein Ernst nicht
zweifeln ließ, brach ihren kindischen Trotz.
Sie griff nunmehr nach einem Gesangbuche,
daß sie schwerlich mit Absicht eingepackt hatte;
begann Bußlieder zu singen, und badete ihr
Antlitz in Thränen. Da ihr das nun nicht
schaden konnte, so ließ ich sie gewähren.

Des andern Tages, um Mittag, kam ich
die Düna hinauf nach Riga; meldete mich
beim Commandanten und bat um baldigsten
Befehl zur Ablieferung der geladenen Effec-
ten; mit abermaliger Vorwendung der, unter
meinen Umständen wohl verzeihlichen Noth-
lüge, daß mein Schiff leck und ich in Gefahr
sey, hier noch am| Bollwerk zu sinken. Man hatte
keinen Grund, meine Aussage zu bezweifeln;
mochte sogar wohl für die Ladung fürchten;

Anſtand bewilligt und der unruhige Gaſt
auf der Stelle durch einen andern Officier
erſetzt und an Land gefuͤhrt.

Niemand war mit dieſem Wechſel unzu-
frieden, als Madame W., die jetzt ein zun-
genfertiges Geſchnatter anhub und mir eine
Reihe von Ehrentiteln gab, welche ich hier
nachzuſchreiben nicht Luſt habe. Jch bat ſie,
ſich zu menagiren, wenn ſie nicht etwa wolle,
daß ich ſie durch meine Leute beim Kopfe krie-
gen, in’s Boot werfen, am naͤchſten Strande
ausſetzen und in die dickſte Wildniß laufen
lieſſe. Dieſe unbehaͤgliche Ausſicht, an deren
augenblicklicher Erfuͤllung mein Ernſt nicht
zweifeln ließ, brach ihren kindiſchen Trotz.
Sie griff nunmehr nach einem Geſangbuche,
daß ſie ſchwerlich mit Abſicht eingepackt hatte;
begann Bußlieder zu ſingen, und badete ihr
Antlitz in Thraͤnen. Da ihr das nun nicht
ſchaden konnte, ſo ließ ich ſie gewaͤhren.

Des andern Tages, um Mittag, kam ich
die Duͤna hinauf nach Riga; meldete mich
beim Commandanten und bat um baldigſten
Befehl zur Ablieferung der geladenen Effec-
ten; mit abermaliger Vorwendung der, unter
meinen Umſtaͤnden wohl verzeihlichen Noth-
luͤge, daß mein Schiff leck und ich in Gefahr
ſey, hier noch am| Bollwerk zu ſinken. Man hatte
keinen Grund, meine Ausſage zu bezweifeln;
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[163/0179] Anſtand bewilligt und der unruhige Gaſt auf der Stelle durch einen andern Officier erſetzt und an Land gefuͤhrt. Niemand war mit dieſem Wechſel unzu- frieden, als Madame W., die jetzt ein zun- genfertiges Geſchnatter anhub und mir eine Reihe von Ehrentiteln gab, welche ich hier nachzuſchreiben nicht Luſt habe. Jch bat ſie, ſich zu menagiren, wenn ſie nicht etwa wolle, daß ich ſie durch meine Leute beim Kopfe krie- gen, in’s Boot werfen, am naͤchſten Strande ausſetzen und in die dickſte Wildniß laufen lieſſe. Dieſe unbehaͤgliche Ausſicht, an deren augenblicklicher Erfuͤllung mein Ernſt nicht zweifeln ließ, brach ihren kindiſchen Trotz. Sie griff nunmehr nach einem Geſangbuche, daß ſie ſchwerlich mit Abſicht eingepackt hatte; begann Bußlieder zu ſingen, und badete ihr Antlitz in Thraͤnen. Da ihr das nun nicht ſchaden konnte, ſo ließ ich ſie gewaͤhren. Des andern Tages, um Mittag, kam ich die Duͤna hinauf nach Riga; meldete mich beim Commandanten und bat um baldigſten Befehl zur Ablieferung der geladenen Effec- ten; mit abermaliger Vorwendung der, unter meinen Umſtaͤnden wohl verzeihlichen Noth- luͤge, daß mein Schiff leck und ich in Gefahr ſey, hier noch am| Bollwerk zu ſinken. Man hatte keinen Grund, meine Ausſage zu bezweifeln; mochte ſogar wohl fuͤr die Ladung fuͤrchten;

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Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/179>, abgerufen am 16.05.2024.