Kleider stieg mir so unerträglich zu Kopf und Brust, daß ich von meinem Vorneh- men abstehen mußte. Doch ergriff ich die Unglückliche an Hand und Fuß; zerrte sie so -- wenn gleich einwenig unsanft, nach dem Boote, und brachte sie hinüber, wo sie mir von den vielen umstehenden Menschen abgenommen wurde.
Gleich darauf stieß ich wieder ab, um, wo möglich, irgend einem Bedrängten in die- ser Noth retten zu helfen, und kam an das Löbenichtsche Schlachthaus, das gleichfalls in hellem Feuer stand, und wo noch, wie ich durch die niedergebrannten Planken wahrneh- men konnte, eine Menge ausgeschlachteten Viehes umherhieng. "Mein Gott! dachte ich -- wie vielen hundert Menschen könnte das noch zur Erquickung dienen, denen das Unglück heute nichts, als das liebe Leben, ge- lassen hat!" Ein großer fetter Ochse, der der Treppe nach dem Wasser am nächsten hieng, fiel mir besonders in die Augen. Jch schnitt ihn ab, wälzte ihn hinunter und schleppte ihn hinter meinem Fahrzeuge her an's jenseitige Ufer, wo ihn mir ein Reuter abnahm und vollends auf's Trockne brachte. Wo er weiter geblieben und wem er zu gute gekommen ist, weiß ich nicht.
Jndem ich mich nun auf's neue nach der Löbenichtschen Seite hinüber machte, stieß ich
Kleider ſtieg mir ſo unertraͤglich zu Kopf und Bruſt, daß ich von meinem Vorneh- men abſtehen mußte. Doch ergriff ich die Ungluͤckliche an Hand und Fuß; zerrte ſie ſo — wenn gleich einwenig unſanft, nach dem Boote, und brachte ſie hinuͤber, wo ſie mir von den vielen umſtehenden Menſchen abgenommen wurde.
Gleich darauf ſtieß ich wieder ab, um, wo moͤglich, irgend einem Bedraͤngten in die- ſer Noth retten zu helfen, und kam an das Loͤbenichtſche Schlachthaus, das gleichfalls in hellem Feuer ſtand, und wo noch, wie ich durch die niedergebrannten Planken wahrneh- men konnte, eine Menge ausgeſchlachteten Viehes umherhieng. „Mein Gott! dachte ich — wie vielen hundert Menſchen koͤnnte das noch zur Erquickung dienen, denen das Ungluͤck heute nichts, als das liebe Leben, ge- laſſen hat!‟ Ein großer fetter Ochſe, der der Treppe nach dem Waſſer am naͤchſten hieng, fiel mir beſonders in die Augen. Jch ſchnitt ihn ab, waͤlzte ihn hinunter und ſchleppte ihn hinter meinem Fahrzeuge her an’s jenſeitige Ufer, wo ihn mir ein Reuter abnahm und vollends auf’s Trockne brachte. Wo er weiter geblieben und wem er zu gute gekommen iſt, weiß ich nicht.
Jndem ich mich nun auf’s neue nach der Loͤbenichtſchen Seite hinuͤber machte, ſtieß ich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0190"n="174"/>
Kleider ſtieg mir ſo unertraͤglich zu Kopf<lb/>
und Bruſt, daß ich von meinem Vorneh-<lb/>
men abſtehen mußte. Doch ergriff ich die<lb/>
Ungluͤckliche an Hand und Fuß; zerrte ſie<lb/>ſo — wenn gleich einwenig unſanft, nach<lb/>
dem Boote, und brachte ſie hinuͤber, wo<lb/>ſie mir von den vielen umſtehenden Menſchen<lb/>
abgenommen wurde.</p><lb/><p>Gleich darauf ſtieß ich wieder ab, um,<lb/>
wo moͤglich, irgend einem Bedraͤngten in die-<lb/>ſer Noth retten zu helfen, und kam an das<lb/>
Loͤbenichtſche Schlachthaus, das gleichfalls in<lb/>
hellem Feuer ſtand, und wo noch, wie ich<lb/>
durch die niedergebrannten Planken wahrneh-<lb/>
men konnte, eine Menge ausgeſchlachteten<lb/>
Viehes umherhieng. „Mein Gott! dachte<lb/>
ich — wie vielen hundert Menſchen koͤnnte<lb/>
das noch zur Erquickung dienen, denen das<lb/>
Ungluͤck heute nichts, als das liebe Leben, ge-<lb/>
laſſen hat!‟ Ein großer fetter Ochſe, der<lb/>
der Treppe nach dem Waſſer am naͤchſten<lb/>
hieng, fiel mir beſonders in die Augen. Jch<lb/>ſchnitt ihn ab, waͤlzte ihn hinunter und<lb/>ſchleppte ihn hinter meinem Fahrzeuge her<lb/>
an’s jenſeitige Ufer, wo ihn mir ein Reuter<lb/>
abnahm und vollends auf’s Trockne brachte.<lb/>
Wo er weiter geblieben und wem er zu<lb/>
gute gekommen iſt, weiß ich nicht.</p><lb/><p>Jndem ich mich nun auf’s neue nach der<lb/>
Loͤbenichtſchen Seite hinuͤber machte, ſtieß ich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[174/0190]
Kleider ſtieg mir ſo unertraͤglich zu Kopf
und Bruſt, daß ich von meinem Vorneh-
men abſtehen mußte. Doch ergriff ich die
Ungluͤckliche an Hand und Fuß; zerrte ſie
ſo — wenn gleich einwenig unſanft, nach
dem Boote, und brachte ſie hinuͤber, wo
ſie mir von den vielen umſtehenden Menſchen
abgenommen wurde.
Gleich darauf ſtieß ich wieder ab, um,
wo moͤglich, irgend einem Bedraͤngten in die-
ſer Noth retten zu helfen, und kam an das
Loͤbenichtſche Schlachthaus, das gleichfalls in
hellem Feuer ſtand, und wo noch, wie ich
durch die niedergebrannten Planken wahrneh-
men konnte, eine Menge ausgeſchlachteten
Viehes umherhieng. „Mein Gott! dachte
ich — wie vielen hundert Menſchen koͤnnte
das noch zur Erquickung dienen, denen das
Ungluͤck heute nichts, als das liebe Leben, ge-
laſſen hat!‟ Ein großer fetter Ochſe, der
der Treppe nach dem Waſſer am naͤchſten
hieng, fiel mir beſonders in die Augen. Jch
ſchnitt ihn ab, waͤlzte ihn hinunter und
ſchleppte ihn hinter meinem Fahrzeuge her
an’s jenſeitige Ufer, wo ihn mir ein Reuter
abnahm und vollends auf’s Trockne brachte.
Wo er weiter geblieben und wem er zu
gute gekommen iſt, weiß ich nicht.
Jndem ich mich nun auf’s neue nach der
Loͤbenichtſchen Seite hinuͤber machte, ſtieß ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/190>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.