Kopf nach oben. Wie mir selbst dabei zu Muthe war, mag man sich leichtlich vorstel- len. Das Schiff hier auf offner Rheede vor Anker, und genöthigt, sich mit jeder Fluth und Ebbe um denselben zu schwingen; kein Volk an Bord; der Steuermann krank und keines Gliedes mächtig; meines Bootes beraubt und das Schiff von den Flüchtlin- gen, nebst ihren eigenen Sachen, von ver- schiedenem kleineren Geräth, ja sogar von Kessel und Pfannen, rein ausgeplündert! Es gehörte eine standhafte Fassung dazu, sich so- gleich in dies neue Unglück zu finden!
Was war gleichwohl zu thun? Jch mußte mich entschliessen, das Schiff unter der un- zulänglichen Aufsicht eines einzigen kranken Mannes zu lassen, und sowohl ihm selbst ärztliche Hülfe, als mir eine neue Mann- schaft zu verschaffen. Also gieng mein Weg zur Stelle nochmals nach Amsterdam, wo ich andre sechs Matrosen und einen Jungen, wie sie mir zuerst in den Wurf kamen, heu- erte, dann einen Lootsen nahm uad einen Wundarzt aufkriegte, der mir den Steuer- mann verbinden und bepflastern und den Aus- spruch thun sollte, ob Dieser die Reise, ohne Lebensgefahr, werde mitmachen können? Nach- dem ihm jedoch der Doctor die Glieder etwas zurechtgesetzt und ihn mit Medica- menten reichlich versehen hatte, war derselbe
Kopf nach oben. Wie mir ſelbſt dabei zu Muthe war, mag man ſich leichtlich vorſtel- len. Das Schiff hier auf offner Rheede vor Anker, und genoͤthigt, ſich mit jeder Fluth und Ebbe um denſelben zu ſchwingen; kein Volk an Bord; der Steuermann krank und keines Gliedes maͤchtig; meines Bootes beraubt und das Schiff von den Fluͤchtlin- gen, nebſt ihren eigenen Sachen, von ver- ſchiedenem kleineren Geraͤth, ja ſogar von Keſſel und Pfannen, rein ausgepluͤndert! Es gehoͤrte eine ſtandhafte Faſſung dazu, ſich ſo- gleich in dies neue Ungluͤck zu finden!
Was war gleichwohl zu thun? Jch mußte mich entſchlieſſen, das Schiff unter der un- zulaͤnglichen Aufſicht eines einzigen kranken Mannes zu laſſen, und ſowohl ihm ſelbſt aͤrztliche Huͤlfe, als mir eine neue Mann- ſchaft zu verſchaffen. Alſo gieng mein Weg zur Stelle nochmals nach Amſterdam, wo ich andre ſechs Matroſen und einen Jungen, wie ſie mir zuerſt in den Wurf kamen, heu- erte, dann einen Lootſen nahm uad einen Wundarzt aufkriegte, der mir den Steuer- mann verbinden und bepflaſtern und den Aus- ſpruch thun ſollte, ob Dieſer die Reiſe, ohne Lebensgefahr, werde mitmachen koͤnnen? Nach- dem ihm jedoch der Doctor die Glieder etwas zurechtgeſetzt und ihn mit Medica- menten reichlich verſehen hatte, war derſelbe
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Kopf nach oben. Wie mir ſelbſt dabei zu
Muthe war, mag man ſich leichtlich vorſtel-
len. Das Schiff hier auf offner Rheede
vor Anker, und genoͤthigt, ſich mit jeder
Fluth und Ebbe um denſelben zu ſchwingen;
kein Volk an Bord; der Steuermann krank
und keines Gliedes maͤchtig; meines Bootes
beraubt und das Schiff von den Fluͤchtlin-
gen, nebſt ihren eigenen Sachen, von ver-
ſchiedenem kleineren Geraͤth, ja ſogar von
Keſſel und Pfannen, rein ausgepluͤndert! Es
gehoͤrte eine ſtandhafte Faſſung dazu, ſich ſo-
gleich in dies neue Ungluͤck zu finden!
Was war gleichwohl zu thun? Jch mußte
mich entſchlieſſen, das Schiff unter der un-
zulaͤnglichen Aufſicht eines einzigen kranken
Mannes zu laſſen, und ſowohl ihm ſelbſt
aͤrztliche Huͤlfe, als mir eine neue Mann-
ſchaft zu verſchaffen. Alſo gieng mein Weg
zur Stelle nochmals nach Amſterdam, wo ich
andre ſechs Matroſen und einen Jungen,
wie ſie mir zuerſt in den Wurf kamen, heu-
erte, dann einen Lootſen nahm uad einen
Wundarzt aufkriegte, der mir den Steuer-
mann verbinden und bepflaſtern und den Aus-
ſpruch thun ſollte, ob Dieſer die Reiſe, ohne
Lebensgefahr, werde mitmachen koͤnnen? Nach-
dem ihm jedoch der Doctor die Glieder
etwas zurechtgeſetzt und ihn mit Medica-
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/231>, abgerufen am 16.05.2024.
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