fällig an einem Fahrzeuge vorüber schlender- ten, welches, wie mehrere andre, im Eise eingefroren war. Auf demselben stand ein kleiner alter Mann, der uns anrief und des- sen Neugier wir über unsre Umstände, erst im Allgemeinen und dann im Besondern, be- friedigen mußten. Wir thaten es, als ehr- liche Pommern, in aller Unbefangenheit, und nannten letzlich auch den Namen "Heindrick Harmanns", als des Schiffers, mit dem wir unsern neuerlichen Unfall erlitten und der dabei ein Raub der empörten Wogen geworden.
Kaum gieng der unglückliche Name über meine Lippen, so schlug der alte Mann die Hände über dem Kopf zusammen, und schrie, daß es in die Lüfte klang: "Barmherziger Gott! Mein Sohn! mein Sohn!" Zugleich sank er auf seine Kniee nieder und mit dem Angesicht auf das Verdeck, und jammerte unablässig: "Mein Sohn! o, mein Sohn!" -- Uns schnitt der klägliche Anblick durch's Herz; wir weinten mit ihm und konnten nicht von der Stelle. Als wir uns Beider- seits ein wenig erholt hatten, drang er in uns, ihm in seine Kajüte zu folgen. Hier mußten wir ihm den ganzen Verlauf um- ständlich erzählen; auch wollt' er uns (als ob ihm dies einigen Trost gäbe) den ganzen
faͤllig an einem Fahrzeuge voruͤber ſchlender- ten, welches, wie mehrere andre, im Eiſe eingefroren war. Auf demſelben ſtand ein kleiner alter Mann, der uns anrief und deſ- ſen Neugier wir uͤber unſre Umſtaͤnde, erſt im Allgemeinen und dann im Beſondern, be- friedigen mußten. Wir thaten es, als ehr- liche Pommern, in aller Unbefangenheit, und nannten letzlich auch den Namen „Heindrick Harmanns‟, als des Schiffers, mit dem wir unſern neuerlichen Unfall erlitten und der dabei ein Raub der empoͤrten Wogen geworden.
Kaum gieng der ungluͤckliche Name uͤber meine Lippen, ſo ſchlug der alte Mann die Haͤnde uͤber dem Kopf zuſammen, und ſchrie, daß es in die Luͤfte klang: „Barmherziger Gott! Mein Sohn! mein Sohn!‟ Zugleich ſank er auf ſeine Kniee nieder und mit dem Angeſicht auf das Verdeck, und jammerte unablaͤſſig: „Mein Sohn! o, mein Sohn!‟ — Uns ſchnitt der klaͤgliche Anblick durch’s Herz; wir weinten mit ihm und konnten nicht von der Stelle. Als wir uns Beider- ſeits ein wenig erholt hatten, drang er in uns, ihm in ſeine Kajuͤte zu folgen. Hier mußten wir ihm den ganzen Verlauf um- ſtaͤndlich erzaͤhlen; auch wollt’ er uns (als ob ihm dies einigen Troſt gaͤbe) den ganzen
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faͤllig an einem Fahrzeuge voruͤber ſchlender-
ten, welches, wie mehrere andre, im Eiſe
eingefroren war. Auf demſelben ſtand ein
kleiner alter Mann, der uns anrief und deſ-
ſen Neugier wir uͤber unſre Umſtaͤnde, erſt
im Allgemeinen und dann im Beſondern, be-
friedigen mußten. Wir thaten es, als ehr-
liche Pommern, in aller Unbefangenheit, und
nannten letzlich auch den Namen „Heindrick
Harmanns‟, als des Schiffers, mit dem
wir unſern neuerlichen Unfall erlitten und
der dabei ein Raub der empoͤrten Wogen
geworden.
Kaum gieng der ungluͤckliche Name uͤber
meine Lippen, ſo ſchlug der alte Mann die
Haͤnde uͤber dem Kopf zuſammen, und ſchrie,
daß es in die Luͤfte klang: „Barmherziger
Gott! Mein Sohn! mein Sohn!‟ Zugleich
ſank er auf ſeine Kniee nieder und mit dem
Angeſicht auf das Verdeck, und jammerte
unablaͤſſig: „Mein Sohn! o, mein Sohn!‟
— Uns ſchnitt der klaͤgliche Anblick durch’s
Herz; wir weinten mit ihm und konnten
nicht von der Stelle. Als wir uns Beider-
ſeits ein wenig erholt hatten, drang er in
uns, ihm in ſeine Kajuͤte zu folgen. Hier
mußten wir ihm den ganzen Verlauf um-
ſtaͤndlich erzaͤhlen; auch wollt’ er uns (als
ob ihm dies einigen Troſt gaͤbe) den ganzen
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/89>, abgerufen am 16.05.2024.
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