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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821.

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Tag nicht von seiner Seite lassen: aber
während er uns Kaffee, Wein und Alles,
was er nur bei der Seele hatte, vorsetzte,
überwältigte ihn immer von neuem der
Gram um sein verlornes Kind, und preßte
auch uns Thränen der Rührung und des
Mitleids aus.

Gegen den Abend, wo es uns endlich
die höchste Zeit däuchtete, unsern Stab wei-
ter zu setzen, hub er an: "Liebe Jungen,
heute könnt und sollt ihr nicht mehr von
dannen. Jch will euch in ein gutes Haus
bringen, wo ihr euch die Nacht über erho-
len könnt. Aber morgen früh hol' ich euch
ab und gehe eine Strecke Weges mit euch.
Jhr seyd jung und unerfahren, und braucht
Anweisung und guten Rath, wie ihr eure
Reise weiter anzustellen habt. Kommt denn,
in Gottes Namen!"

Unser Führer schien in der Herberge,
zu welcher er uns geleitete, und wo es von
Biergästen wimmelte, gar wohl bekannt.
Er erzählte seines Sohnes und unser Un-
glück; auch wir mußten erzählen, und so
verstrich der Abend, bis der Wirth, in Er-
mangelung seiner abwesenden Ehegenossinn,
uns in ein recht artiges Zimmer hinauf-
leuchtete, uns Dreien ein großes, mit Bet-
ten hoch ausgestopftes Nachtlager anwies

Tag nicht von ſeiner Seite laſſen: aber
waͤhrend er uns Kaffee, Wein und Alles,
was er nur bei der Seele hatte, vorſetzte,
uͤberwaͤltigte ihn immer von neuem der
Gram um ſein verlornes Kind, und preßte
auch uns Thraͤnen der Ruͤhrung und des
Mitleids aus.

Gegen den Abend, wo es uns endlich
die hoͤchſte Zeit daͤuchtete, unſern Stab wei-
ter zu ſetzen, hub er an: „Liebe Jungen,
heute koͤnnt und ſollt ihr nicht mehr von
dannen. Jch will euch in ein gutes Haus
bringen, wo ihr euch die Nacht uͤber erho-
len koͤnnt. Aber morgen fruͤh hol’ ich euch
ab und gehe eine Strecke Weges mit euch.
Jhr ſeyd jung und unerfahren, und braucht
Anweiſung und guten Rath, wie ihr eure
Reiſe weiter anzuſtellen habt. Kommt denn,
in Gottes Namen!‟

Unſer Fuͤhrer ſchien in der Herberge,
zu welcher er uns geleitete, und wo es von
Biergaͤſten wimmelte, gar wohl bekannt.
Er erzaͤhlte ſeines Sohnes und unſer Un-
gluͤck; auch wir mußten erzaͤhlen, und ſo
verſtrich der Abend, bis der Wirth, in Er-
mangelung ſeiner abweſenden Ehegenoſſinn,
uns in ein recht artiges Zimmer hinauf-
leuchtete, uns Dreien ein großes, mit Bet-
ten hoch ausgeſtopftes Nachtlager anwies

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[74/0090] Tag nicht von ſeiner Seite laſſen: aber waͤhrend er uns Kaffee, Wein und Alles, was er nur bei der Seele hatte, vorſetzte, uͤberwaͤltigte ihn immer von neuem der Gram um ſein verlornes Kind, und preßte auch uns Thraͤnen der Ruͤhrung und des Mitleids aus. Gegen den Abend, wo es uns endlich die hoͤchſte Zeit daͤuchtete, unſern Stab wei- ter zu ſetzen, hub er an: „Liebe Jungen, heute koͤnnt und ſollt ihr nicht mehr von dannen. Jch will euch in ein gutes Haus bringen, wo ihr euch die Nacht uͤber erho- len koͤnnt. Aber morgen fruͤh hol’ ich euch ab und gehe eine Strecke Weges mit euch. Jhr ſeyd jung und unerfahren, und braucht Anweiſung und guten Rath, wie ihr eure Reiſe weiter anzuſtellen habt. Kommt denn, in Gottes Namen!‟ Unſer Fuͤhrer ſchien in der Herberge, zu welcher er uns geleitete, und wo es von Biergaͤſten wimmelte, gar wohl bekannt. Er erzaͤhlte ſeines Sohnes und unſer Un- gluͤck; auch wir mußten erzaͤhlen, und ſo verſtrich der Abend, bis der Wirth, in Er- mangelung ſeiner abweſenden Ehegenoſſinn, uns in ein recht artiges Zimmer hinauf- leuchtete, uns Dreien ein großes, mit Bet- ten hoch ausgeſtopftes Nachtlager anwies

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Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/90>, abgerufen am 21.11.2024.