Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821.

Bild:
<< vorherige Seite

Seitdem wir die Küsten von Dover und
Calais aus dem Gesichte verloren, und ab-
wechselnde, aber meist stürmische Winde uns
11 Tage lang in der Nordsee umhergewor-
fen hatten, während welcher wir weder Jüt-
land, noch Norwegen oder sonst ein Land
erblickten, wagten wir es dennoch, im guten
Glauben an unsre geführte Schiffsrechnung
und einige angestellte astronomische Beobach-
tungen, uns, mit dem Senkblei in der Hand,
um die gefährliche Spitze von Skaagerak
in's Kattegat hinein zu tasten. Es glückte:
aber gerade hier überfiel uns nunmehr auch
ein schrecklicher Sturm aus Norden, der so
hart in unser dicht eingerefftes Fock- und
Vormarssegel blies, daß bald die Fetzen
davon in den Lüften umherflogen.

Nach diesem Verluste wollte sich unser
Schiff nicht mehr vor dem Winde steuern
lassen, sondern ward unter den Wind gedreht.
Es sollte eine andre neue Focke untergeschla-
gen werden: allein das Schiff arbeitete und
schlenkerte in der brausenden kochenden See
voll blinder Klippen so gewaltig, und der
Sturm hielt mit soviel Ungestüm an, daß
wir Alle kaum die Augen aufschlagen konn-
ten. Das neue Focksegel ward zwar aus
der Segelkammer hervorgezogen und an die
Raa geschlagen: allein so wie diese in die
Höhe gieng, peitschte auch Jenes mit seinen

Seitdem wir die Kuͤſten von Dover und
Calais aus dem Geſichte verloren, und ab-
wechſelnde, aber meiſt ſtuͤrmiſche Winde uns
11 Tage lang in der Nordſee umhergewor-
fen hatten, waͤhrend welcher wir weder Juͤt-
land, noch Norwegen oder ſonſt ein Land
erblickten, wagten wir es dennoch, im guten
Glauben an unſre gefuͤhrte Schiffsrechnung
und einige angeſtellte aſtronomiſche Beobach-
tungen, uns, mit dem Senkblei in der Hand,
um die gefaͤhrliche Spitze von Skaagerak
in’s Kattegat hinein zu taſten. Es gluͤckte:
aber gerade hier uͤberfiel uns nunmehr auch
ein ſchrecklicher Sturm aus Norden, der ſo
hart in unſer dicht eingerefftes Fock- und
Vormarsſegel blies, daß bald die Fetzen
davon in den Luͤften umherflogen.

Nach dieſem Verluſte wollte ſich unſer
Schiff nicht mehr vor dem Winde ſteuern
laſſen, ſondern ward unter den Wind gedreht.
Es ſollte eine andre neue Focke untergeſchla-
gen werden: allein das Schiff arbeitete und
ſchlenkerte in der brauſenden kochenden See
voll blinder Klippen ſo gewaltig, und der
Sturm hielt mit ſoviel Ungeſtuͤm an, daß
wir Alle kaum die Augen aufſchlagen konn-
ten. Das neue Fockſegel ward zwar aus
der Segelkammer hervorgezogen und an die
Raa geſchlagen: allein ſo wie dieſe in die
Hoͤhe gieng, peitſchte auch Jenes mit ſeinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0264" n="260"/>
        <p>Seitdem wir die Ku&#x0364;&#x017F;ten von Dover und<lb/>
Calais aus dem Ge&#x017F;ichte verloren, und ab-<lb/>
wech&#x017F;elnde, aber mei&#x017F;t &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;che Winde uns<lb/>
11 Tage lang in der Nord&#x017F;ee umhergewor-<lb/>
fen hatten, wa&#x0364;hrend welcher wir weder Ju&#x0364;t-<lb/>
land, noch Norwegen oder &#x017F;on&#x017F;t ein Land<lb/>
erblickten, wagten wir es dennoch, im guten<lb/>
Glauben an un&#x017F;re gefu&#x0364;hrte Schiffsrechnung<lb/>
und einige ange&#x017F;tellte a&#x017F;tronomi&#x017F;che Beobach-<lb/>
tungen, uns, mit dem Senkblei in der Hand,<lb/>
um die gefa&#x0364;hrliche Spitze von Skaagerak<lb/>
in&#x2019;s Kattegat hinein zu ta&#x017F;ten. Es glu&#x0364;ckte:<lb/>
aber gerade hier u&#x0364;berfiel uns nunmehr auch<lb/>
ein &#x017F;chrecklicher Sturm aus Norden, der &#x017F;o<lb/>
hart in un&#x017F;er dicht eingerefftes Fock- und<lb/>
Vormars&#x017F;egel blies, daß bald die Fetzen<lb/>
davon in den Lu&#x0364;ften umherflogen.</p><lb/>
        <p>Nach die&#x017F;em Verlu&#x017F;te wollte &#x017F;ich un&#x017F;er<lb/>
Schiff nicht mehr vor dem Winde &#x017F;teuern<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern ward unter den Wind gedreht.<lb/>
Es &#x017F;ollte eine andre neue Focke unterge&#x017F;chla-<lb/>
gen werden: allein das Schiff arbeitete und<lb/>
&#x017F;chlenkerte in der brau&#x017F;enden kochenden See<lb/>
voll blinder Klippen &#x017F;o gewaltig, und der<lb/>
Sturm hielt mit &#x017F;oviel Unge&#x017F;tu&#x0364;m an, daß<lb/>
wir Alle kaum die Augen auf&#x017F;chlagen konn-<lb/>
ten. Das neue Fock&#x017F;egel ward zwar aus<lb/>
der Segelkammer hervorgezogen und an die<lb/>
Raa ge&#x017F;chlagen: allein &#x017F;o wie die&#x017F;e in die<lb/>
Ho&#x0364;he gieng, peit&#x017F;chte auch Jenes mit &#x017F;einen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0264] Seitdem wir die Kuͤſten von Dover und Calais aus dem Geſichte verloren, und ab- wechſelnde, aber meiſt ſtuͤrmiſche Winde uns 11 Tage lang in der Nordſee umhergewor- fen hatten, waͤhrend welcher wir weder Juͤt- land, noch Norwegen oder ſonſt ein Land erblickten, wagten wir es dennoch, im guten Glauben an unſre gefuͤhrte Schiffsrechnung und einige angeſtellte aſtronomiſche Beobach- tungen, uns, mit dem Senkblei in der Hand, um die gefaͤhrliche Spitze von Skaagerak in’s Kattegat hinein zu taſten. Es gluͤckte: aber gerade hier uͤberfiel uns nunmehr auch ein ſchrecklicher Sturm aus Norden, der ſo hart in unſer dicht eingerefftes Fock- und Vormarsſegel blies, daß bald die Fetzen davon in den Luͤften umherflogen. Nach dieſem Verluſte wollte ſich unſer Schiff nicht mehr vor dem Winde ſteuern laſſen, ſondern ward unter den Wind gedreht. Es ſollte eine andre neue Focke untergeſchla- gen werden: allein das Schiff arbeitete und ſchlenkerte in der brauſenden kochenden See voll blinder Klippen ſo gewaltig, und der Sturm hielt mit ſoviel Ungeſtuͤm an, daß wir Alle kaum die Augen aufſchlagen konn- ten. Das neue Fockſegel ward zwar aus der Segelkammer hervorgezogen und an die Raa geſchlagen: allein ſo wie dieſe in die Hoͤhe gieng, peitſchte auch Jenes mit ſeinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/264
Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/264>, abgerufen am 21.11.2024.