Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

Wolfsschanze aus auch über das Münderfort her-
zustürzen, und so auch die östliche Seite des Ha-
fens zu überwältigen. Gegenanstalten wurden
auf der Stelle getroffen, den bedrohten Punkt
auf's kräftigste zu unterstützen; Befehle flogen;
Alles war in der lebendigsten Anspannung, und
ein neuer Kampf von blutigster Entscheidung
sollte losbrechen. Es war 3 Uhr Nachmittags ...
Da, plötzlich, schwieg das feindliche Geschütz auf
allen Batterieen. Auf das Krachen eines Don-
ners, wie am Tage des Weltgerichts, folgte eine
lange öde Stille. Jeder Athem bei uns stockte;
Niemand begriff diesen schnellen Wechsel, dies
schauerliche Erstarren so gewaltiger losgelassener
Kräfte.

Da nahte ein feindlicher Parlementair, und
neben ihm ein Mann, den man in der Ferne als
eine Militair-Person -- dann aber, so wie die
Umrisse der Gestalt sich immer deutlicher ausbil-
deten, unter Zweifel und Verwunderung, sogar als
einen Preussischen Officier erkannte. Schär-
fere Augen versicherten sogar, sie unterschieden
die Züge ihres Freundes, des Lieutenant v. Hol-
leben, vom 3. Neumärkischen Reserve-Bataillon,
der erst vor einigen Wochen mit einer Abtheilung
Kriegsgefangener über See nach Memel abgegan-
gen war. Das schien unmöglich, und doch war
dem also! Das erste Wort, als er sich fast
athemlos in den Kreis seiner Bekannten stürzte,
war der Ausruf: "Friede! Colberg ist gerettet!"

Wolfsſchanze aus auch uͤber das Muͤnderfort her-
zuſtuͤrzen, und ſo auch die oͤſtliche Seite des Ha-
fens zu uͤberwaͤltigen. Gegenanſtalten wurden
auf der Stelle getroffen, den bedrohten Punkt
auf’s kraͤftigſte zu unterſtuͤtzen; Befehle flogen;
Alles war in der lebendigſten Anſpannung, und
ein neuer Kampf von blutigſter Entſcheidung
ſollte losbrechen. Es war 3 Uhr Nachmittags …
Da, ploͤtzlich, ſchwieg das feindliche Geſchuͤtz auf
allen Batterieen. Auf das Krachen eines Don-
ners, wie am Tage des Weltgerichts, folgte eine
lange oͤde Stille. Jeder Athem bei uns ſtockte;
Niemand begriff dieſen ſchnellen Wechſel, dies
ſchauerliche Erſtarren ſo gewaltiger losgelaſſener
Kraͤfte.

Da nahte ein feindlicher Parlementair, und
neben ihm ein Mann, den man in der Ferne als
eine Militair-Perſon — dann aber, ſo wie die
Umriſſe der Geſtalt ſich immer deutlicher ausbil-
deten, unter Zweifel und Verwunderung, ſogar als
einen Preuſſiſchen Officier erkannte. Schaͤr-
fere Augen verſicherten ſogar, ſie unterſchieden
die Zuͤge ihres Freundes, des Lieutenant v. Hol-
leben, vom 3. Neumaͤrkiſchen Reſerve-Bataillon,
der erſt vor einigen Wochen mit einer Abtheilung
Kriegsgefangener uͤber See nach Memel abgegan-
gen war. Das ſchien unmoͤglich, und doch war
dem alſo! Das erſte Wort, als er ſich faſt
athemlos in den Kreis ſeiner Bekannten ſtuͤrzte,
war der Ausruf: „Friede! Colberg iſt gerettet!‟

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0173" n="157"/>
Wolfs&#x017F;chanze aus auch u&#x0364;ber das Mu&#x0364;nderfort her-<lb/>
zu&#x017F;tu&#x0364;rzen, und &#x017F;o auch die o&#x0364;&#x017F;tliche Seite des Ha-<lb/>
fens zu u&#x0364;berwa&#x0364;ltigen. Gegenan&#x017F;talten wurden<lb/>
auf der Stelle getroffen, den bedrohten Punkt<lb/>
auf&#x2019;s kra&#x0364;ftig&#x017F;te zu unter&#x017F;tu&#x0364;tzen; Befehle flogen;<lb/>
Alles war in der lebendig&#x017F;ten An&#x017F;pannung, und<lb/>
ein neuer Kampf von blutig&#x017F;ter Ent&#x017F;cheidung<lb/>
&#x017F;ollte losbrechen. Es war 3 Uhr Nachmittags &#x2026;<lb/>
Da, plo&#x0364;tzlich, &#x017F;chwieg das feindliche Ge&#x017F;chu&#x0364;tz auf<lb/>
allen Batterieen. Auf das Krachen eines Don-<lb/>
ners, wie am Tage des Weltgerichts, folgte eine<lb/>
lange o&#x0364;de Stille. Jeder Athem bei uns &#x017F;tockte;<lb/>
Niemand begriff die&#x017F;en &#x017F;chnellen Wech&#x017F;el, dies<lb/>
&#x017F;chauerliche Er&#x017F;tarren &#x017F;o gewaltiger losgela&#x017F;&#x017F;ener<lb/>
Kra&#x0364;fte.</p><lb/>
        <p>Da nahte ein feindlicher Parlementair, und<lb/>
neben ihm ein Mann, den man in der Ferne als<lb/>
eine Militair-Per&#x017F;on &#x2014; dann aber, &#x017F;o wie die<lb/>
Umri&#x017F;&#x017F;e der Ge&#x017F;talt &#x017F;ich immer deutlicher ausbil-<lb/>
deten, unter Zweifel und Verwunderung, &#x017F;ogar als<lb/>
einen <hi rendition="#g">Preu&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen</hi> Officier erkannte. Scha&#x0364;r-<lb/>
fere Augen ver&#x017F;icherten &#x017F;ogar, &#x017F;ie unter&#x017F;chieden<lb/>
die Zu&#x0364;ge ihres Freundes, des Lieutenant v. Hol-<lb/>
leben, vom 3. Neuma&#x0364;rki&#x017F;chen Re&#x017F;erve-Bataillon,<lb/>
der er&#x017F;t vor einigen Wochen mit einer Abtheilung<lb/>
Kriegsgefangener u&#x0364;ber See nach Memel abgegan-<lb/>
gen war. Das &#x017F;chien unmo&#x0364;glich, und doch war<lb/>
dem al&#x017F;o! Das er&#x017F;te Wort, als er &#x017F;ich fa&#x017F;t<lb/>
athemlos in den Kreis &#x017F;einer Bekannten &#x017F;tu&#x0364;rzte,<lb/>
war der Ausruf: &#x201E;Friede! Colberg i&#x017F;t gerettet!&#x201F;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0173] Wolfsſchanze aus auch uͤber das Muͤnderfort her- zuſtuͤrzen, und ſo auch die oͤſtliche Seite des Ha- fens zu uͤberwaͤltigen. Gegenanſtalten wurden auf der Stelle getroffen, den bedrohten Punkt auf’s kraͤftigſte zu unterſtuͤtzen; Befehle flogen; Alles war in der lebendigſten Anſpannung, und ein neuer Kampf von blutigſter Entſcheidung ſollte losbrechen. Es war 3 Uhr Nachmittags … Da, ploͤtzlich, ſchwieg das feindliche Geſchuͤtz auf allen Batterieen. Auf das Krachen eines Don- ners, wie am Tage des Weltgerichts, folgte eine lange oͤde Stille. Jeder Athem bei uns ſtockte; Niemand begriff dieſen ſchnellen Wechſel, dies ſchauerliche Erſtarren ſo gewaltiger losgelaſſener Kraͤfte. Da nahte ein feindlicher Parlementair, und neben ihm ein Mann, den man in der Ferne als eine Militair-Perſon — dann aber, ſo wie die Umriſſe der Geſtalt ſich immer deutlicher ausbil- deten, unter Zweifel und Verwunderung, ſogar als einen Preuſſiſchen Officier erkannte. Schaͤr- fere Augen verſicherten ſogar, ſie unterſchieden die Zuͤge ihres Freundes, des Lieutenant v. Hol- leben, vom 3. Neumaͤrkiſchen Reſerve-Bataillon, der erſt vor einigen Wochen mit einer Abtheilung Kriegsgefangener uͤber See nach Memel abgegan- gen war. Das ſchien unmoͤglich, und doch war dem alſo! Das erſte Wort, als er ſich faſt athemlos in den Kreis ſeiner Bekannten ſtuͤrzte, war der Ausruf: „Friede! Colberg iſt gerettet!‟

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/173
Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/173>, abgerufen am 23.11.2024.