Alle, welche die dringende Gefahr im Anzuge erblickten und ihn aus seinem Seelenschlafe zu erwecken vergebliche Versuche machten.
Natürlich konnte solch ein Mann uns kein großes Vertrauen einflößen. Während Alles, was Militair hieß, seinen trägen Schlummer mit ihm zu theilen schien, fühlte sich die ganze Bür- gerschaft von der lebhaftesten Unruhe und Be- sorgniß ergriffen; man berathschlagte unter ein- ander; und weil ich Einer der ältesten Bürger war, der den siebenjährigen Krieg erlebt und in den früheren Belagerungen, neben meinem Vater, freiwillige Adjutanten-Dienste beim alten braven Heyden verrichtet hatte, so wählte man mich auch jetzt, das Wort zu führen und, als Re- präsentant gesammter Bürgerschaft, uns mit dem Commandanten über die Maaßregeln zur Ver- theidigung des Platzes genauer zu verständigen.
Nach dem alten Glauben, "daß Ruhe die erste Bürgerpflicht sey," und was nicht Uniform trage, auch keinen Beruf habe, sich um militai- rische Angelegenheiten zu bekümmern, könnt' es freilich sonderbar und anmaassend erscheinen, daß wir Bürger in die Vertheidigung unsrer Stadt mit drein reden wollten: aber bei uns in Col- berg war das anders. Von ältester Zeit her waren wir die natürlichen und gesetzlich berufenen Vertheidiger unsrer Wälle und Mauern. Vor- mals schwur Jeder seinen Bürgereid mit Ober- und Untergewehr, und schwur zugleich, daß diese
Alle, welche die dringende Gefahr im Anzuge erblickten und ihn aus ſeinem Seelenſchlafe zu erwecken vergebliche Verſuche machten.
Natuͤrlich konnte ſolch ein Mann uns kein großes Vertrauen einfloͤßen. Waͤhrend Alles, was Militair hieß, ſeinen traͤgen Schlummer mit ihm zu theilen ſchien, fuͤhlte ſich die ganze Buͤr- gerſchaft von der lebhafteſten Unruhe und Be- ſorgniß ergriffen; man berathſchlagte unter ein- ander; und weil ich Einer der aͤlteſten Buͤrger war, der den ſiebenjaͤhrigen Krieg erlebt und in den fruͤheren Belagerungen, neben meinem Vater, freiwillige Adjutanten-Dienſte beim alten braven Heyden verrichtet hatte, ſo waͤhlte man mich auch jetzt, das Wort zu fuͤhren und, als Re- praͤſentant geſammter Buͤrgerſchaft, uns mit dem Commandanten uͤber die Maaßregeln zur Ver- theidigung des Platzes genauer zu verſtaͤndigen.
Nach dem alten Glauben, „daß Ruhe die erſte Buͤrgerpflicht ſey,‟ und was nicht Uniform trage, auch keinen Beruf habe, ſich um militai- riſche Angelegenheiten zu bekuͤmmern, koͤnnt’ es freilich ſonderbar und anmaaſſend erſcheinen, daß wir Buͤrger in die Vertheidigung unſrer Stadt mit drein reden wollten: aber bei uns in Col- berg war das anders. Von aͤlteſter Zeit her waren wir die natuͤrlichen und geſetzlich berufenen Vertheidiger unſrer Waͤlle und Mauern. Vor- mals ſchwur Jeder ſeinen Buͤrgereid mit Ober- und Untergewehr, und ſchwur zugleich, daß dieſe
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Alle, welche die dringende Gefahr im Anzuge
erblickten und ihn aus ſeinem Seelenſchlafe zu
erwecken vergebliche Verſuche machten.
Natuͤrlich konnte ſolch ein Mann uns kein
großes Vertrauen einfloͤßen. Waͤhrend Alles,
was Militair hieß, ſeinen traͤgen Schlummer mit
ihm zu theilen ſchien, fuͤhlte ſich die ganze Buͤr-
gerſchaft von der lebhafteſten Unruhe und Be-
ſorgniß ergriffen; man berathſchlagte unter ein-
ander; und weil ich Einer der aͤlteſten Buͤrger
war, der den ſiebenjaͤhrigen Krieg erlebt und in
den fruͤheren Belagerungen, neben meinem Vater,
freiwillige Adjutanten-Dienſte beim alten braven
Heyden verrichtet hatte, ſo waͤhlte man mich
auch jetzt, das Wort zu fuͤhren und, als Re-
praͤſentant geſammter Buͤrgerſchaft, uns mit dem
Commandanten uͤber die Maaßregeln zur Ver-
theidigung des Platzes genauer zu verſtaͤndigen.
Nach dem alten Glauben, „daß Ruhe die
erſte Buͤrgerpflicht ſey,‟ und was nicht Uniform
trage, auch keinen Beruf habe, ſich um militai-
riſche Angelegenheiten zu bekuͤmmern, koͤnnt’ es
freilich ſonderbar und anmaaſſend erſcheinen, daß
wir Buͤrger in die Vertheidigung unſrer Stadt
mit drein reden wollten: aber bei uns in Col-
berg war das anders. Von aͤlteſter Zeit her
waren wir die natuͤrlichen und geſetzlich berufenen
Vertheidiger unſrer Waͤlle und Mauern. Vor-
mals ſchwur Jeder ſeinen Buͤrgereid mit Ober-
und Untergewehr, und ſchwur zugleich, daß dieſe
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/58>, abgerufen am 16.02.2025.
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