Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



jeder berühmte Mann viele Verdienste hat, wo jeder
Schriftsteller zu Untersuchung der Wahrheit schreibt,
wo die Vorreden wahre Nachrichten vom Buche ent-
halten, wo niemals ein Journalist den Schriftsteller
dem er nicht wohl will anschwärzt, wo kein beleidig-
ter Schriftsteller Cabalen macht, wo ein Lehrer der
Tugend auch allemahl tugendhaft, und ein Lehrer der
Weisheit weise ist. Mein lieber Freund! träumen
Sie nicht fort, so angenehm Sie auch träumen mögen,
sehen Sie um sich herum, was in Deutschland vor-
geht, so werden Sie finden, daß das, was ich Jhnen
sage, keine Erdichtung ist.

Seb. Nun wenn auch jemand einmahl so etwas
unternähme, so kann doch das Publicum nicht lange
in der Verblendung bleiben, und denn wird es aus
mit der Fabrik seyn.

Mag. Unser Publicum ist sehr nachsehend, zu-
mahl bey dicken Büchern, welches diejenigen sind, die
die Uebersetzer von Profession am liebsten wählen. Jch
versichere Sie, daß wenigstens der dritte Theil der
deutschen Bücher auf diese Art fabricirt wird. Denn
ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß beina-
he die Hälfte der neuen deutschen Bücher Uebersetzun-
gen sind, und ich sage gewiß zu wenig, wenn ich nur
zwey Drittel der Uebersetzungen als Fabrikenar-
beit ansehe.

Seb.
G 5



jeder beruͤhmte Mann viele Verdienſte hat, wo jeder
Schriftſteller zu Unterſuchung der Wahrheit ſchreibt,
wo die Vorreden wahre Nachrichten vom Buche ent-
halten, wo niemals ein Journaliſt den Schriftſteller
dem er nicht wohl will anſchwaͤrzt, wo kein beleidig-
ter Schriftſteller Cabalen macht, wo ein Lehrer der
Tugend auch allemahl tugendhaft, und ein Lehrer der
Weisheit weiſe iſt. Mein lieber Freund! traͤumen
Sie nicht fort, ſo angenehm Sie auch traͤumen moͤgen,
ſehen Sie um ſich herum, was in Deutſchland vor-
geht, ſo werden Sie finden, daß das, was ich Jhnen
ſage, keine Erdichtung iſt.

Seb. Nun wenn auch jemand einmahl ſo etwas
unternaͤhme, ſo kann doch das Publicum nicht lange
in der Verblendung bleiben, und denn wird es aus
mit der Fabrik ſeyn.

Mag. Unſer Publicum iſt ſehr nachſehend, zu-
mahl bey dicken Buͤchern, welches diejenigen ſind, die
die Ueberſetzer von Profeſſion am liebſten waͤhlen. Jch
verſichere Sie, daß wenigſtens der dritte Theil der
deutſchen Buͤcher auf dieſe Art fabricirt wird. Denn
ich ſage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß beina-
he die Haͤlfte der neuen deutſchen Buͤcher Ueberſetzun-
gen ſind, und ich ſage gewiß zu wenig, wenn ich nur
zwey Drittel der Ueberſetzungen als Fabrikenar-
beit anſehe.

Seb.
G 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0129" n="105"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
jeder beru&#x0364;hmte Mann viele Verdien&#x017F;te hat, wo jeder<lb/>
Schrift&#x017F;teller zu Unter&#x017F;uchung der Wahrheit &#x017F;chreibt,<lb/>
wo die Vorreden wahre Nachrichten vom Buche ent-<lb/>
halten, wo niemals ein Journali&#x017F;t den Schrift&#x017F;teller<lb/>
dem er nicht wohl will an&#x017F;chwa&#x0364;rzt, wo kein beleidig-<lb/>
ter Schrift&#x017F;teller Cabalen macht, wo ein Lehrer der<lb/>
Tugend auch allemahl tugendhaft, und ein Lehrer der<lb/>
Weisheit wei&#x017F;e i&#x017F;t. Mein lieber Freund! tra&#x0364;umen<lb/>
Sie nicht fort, &#x017F;o angenehm Sie auch tra&#x0364;umen mo&#x0364;gen,<lb/>
&#x017F;ehen Sie um &#x017F;ich herum, was in Deut&#x017F;chland vor-<lb/>
geht, &#x017F;o werden Sie finden, daß das, was ich Jhnen<lb/>
&#x017F;age, keine Erdichtung i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Seb.</hi> Nun wenn auch jemand <hi rendition="#fr">einmahl</hi> &#x017F;o etwas<lb/>
unterna&#x0364;hme, &#x017F;o kann doch das Publicum nicht lange<lb/>
in der Verblendung bleiben, und denn wird es aus<lb/>
mit der Fabrik &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mag.</hi> Un&#x017F;er Publicum i&#x017F;t &#x017F;ehr nach&#x017F;ehend, zu-<lb/>
mahl bey dicken Bu&#x0364;chern, welches diejenigen &#x017F;ind, die<lb/>
die Ueber&#x017F;etzer von Profe&#x017F;&#x017F;ion am lieb&#x017F;ten wa&#x0364;hlen. Jch<lb/>
ver&#x017F;ichere Sie, daß wenig&#x017F;tens der dritte Theil der<lb/>
deut&#x017F;chen Bu&#x0364;cher auf die&#x017F;e Art <hi rendition="#fr">fabricirt</hi> wird. Denn<lb/>
ich &#x017F;age nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß beina-<lb/>
he die Ha&#x0364;lfte der neuen deut&#x017F;chen Bu&#x0364;cher Ueber&#x017F;etzun-<lb/>
gen &#x017F;ind, und ich &#x017F;age gewiß zu wenig, wenn ich nur<lb/>
zwey Drittel der Ueber&#x017F;etzungen als Fabrikenar-<lb/>
beit an&#x017F;ehe.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">G 5</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Seb.</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0129] jeder beruͤhmte Mann viele Verdienſte hat, wo jeder Schriftſteller zu Unterſuchung der Wahrheit ſchreibt, wo die Vorreden wahre Nachrichten vom Buche ent- halten, wo niemals ein Journaliſt den Schriftſteller dem er nicht wohl will anſchwaͤrzt, wo kein beleidig- ter Schriftſteller Cabalen macht, wo ein Lehrer der Tugend auch allemahl tugendhaft, und ein Lehrer der Weisheit weiſe iſt. Mein lieber Freund! traͤumen Sie nicht fort, ſo angenehm Sie auch traͤumen moͤgen, ſehen Sie um ſich herum, was in Deutſchland vor- geht, ſo werden Sie finden, daß das, was ich Jhnen ſage, keine Erdichtung iſt. Seb. Nun wenn auch jemand einmahl ſo etwas unternaͤhme, ſo kann doch das Publicum nicht lange in der Verblendung bleiben, und denn wird es aus mit der Fabrik ſeyn. Mag. Unſer Publicum iſt ſehr nachſehend, zu- mahl bey dicken Buͤchern, welches diejenigen ſind, die die Ueberſetzer von Profeſſion am liebſten waͤhlen. Jch verſichere Sie, daß wenigſtens der dritte Theil der deutſchen Buͤcher auf dieſe Art fabricirt wird. Denn ich ſage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß beina- he die Haͤlfte der neuen deutſchen Buͤcher Ueberſetzun- gen ſind, und ich ſage gewiß zu wenig, wenn ich nur zwey Drittel der Ueberſetzungen als Fabrikenar- beit anſehe. Seb. G 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/129
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/129>, abgerufen am 04.12.2024.