Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773."Die Bemerkung ist eines so witzigen Kopfes Säugling durch diese Antwort niedergeschlagen, "Aber wie kommt es, fuhr Mariane fort, daß Säugling nahm den Strauß an, betrachtete ihn, "Wie sind doch die schönen Geister so nachsinnend? "Jch sahe den jungen May "Seine Silberglocken "Hiengen um den Schlaf "Als er vom Himmel fuhr, "Blühten alle Wipfel, "Als er den Boden trat, "Ließ er Violen und Hyacinten im Fußtritt zurück."*) Säug- *) Ramlers lyrische Gedichte, Berlin 1772. S. 266. O 3
„Die Bemerkung iſt eines ſo witzigen Kopfes Saͤugling durch dieſe Antwort niedergeſchlagen, „Aber wie kommt es, fuhr Mariane fort, daß Saͤugling nahm den Strauß an, betrachtete ihn, „Wie ſind doch die ſchoͤnen Geiſter ſo nachſinnend? „Jch ſahe den jungen May „Seine Silberglocken „Hiengen um den Schlaf „Als er vom Himmel fuhr, „Bluͤhten alle Wipfel, „Als er den Boden trat, „Ließ er Violen und Hyacinten im Fußtritt zuruͤck.‟*) Saͤug- *) Ramlers lyriſche Gedichte, Berlin 1772. S. 266. O 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0239" n="213"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>„Die Bemerkung iſt eines ſo witzigen Kopfes<lb/> „recht ſehr wuͤrdig! ſagte <hi rendition="#fr">Mariane</hi> laͤchelnd, Sie<lb/> „hatten in der That das Anſehen, als ob Sie mir<lb/> „etwas wichtigers ſagen wollten.</p><lb/> <p><hi rendition="#fr">Saͤugling</hi> durch dieſe Antwort niedergeſchlagen,<lb/> ſahe ſie abermahls ſtarr an, und ſchwieg einige Minu-<lb/> ten lang ſtille.</p><lb/> <p>„Aber wie kommt es, fuhr Mariane fort, daß<lb/> „Sie eine ſo tragiſche Phyſiognomie annehmen? Se-<lb/> „hen Sie, wie alles um Sie herum erfreut iſt. Se-<lb/> „hen Sie dieſe blaue Veilchen, wie ſie hervorſproſſen<lb/> „und angenehmen Duft verbreiten.‟ Hier pfluͤckte ſie<lb/> einige Veilchen und uͤberreichte ſie ihm.</p><lb/> <p><hi rendition="#fr">Saͤugling</hi> nahm den Strauß an, betrachtete ihn,<lb/> und ſeufzete.</p><lb/> <p>„Wie ſind doch die ſchoͤnen Geiſter ſo nachſinnend?<lb/> „Mich duͤnkt ich ſehe es an ihren Augen, daß Sie denken:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Jch ſahe den jungen May</l><lb/> <l>„Seine Silberglocken</l><lb/> <l>„Hiengen um den Schlaf</l><lb/> <l>„Als er vom Himmel fuhr,</l><lb/> <l>„Bluͤhten alle Wipfel,</l><lb/> <l>„Als er den Boden trat,</l><lb/> <l>„Ließ er Violen und Hyacinten im Fußtritt zuruͤck.‟<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Ramlers lyriſche Gedichte, Berlin 1772. S.</hi> 266.</note></l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="sig">O 3</fw> <fw place="bottom" type="catch">Saͤug-</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [213/0239]
„Die Bemerkung iſt eines ſo witzigen Kopfes
„recht ſehr wuͤrdig! ſagte Mariane laͤchelnd, Sie
„hatten in der That das Anſehen, als ob Sie mir
„etwas wichtigers ſagen wollten.
Saͤugling durch dieſe Antwort niedergeſchlagen,
ſahe ſie abermahls ſtarr an, und ſchwieg einige Minu-
ten lang ſtille.
„Aber wie kommt es, fuhr Mariane fort, daß
„Sie eine ſo tragiſche Phyſiognomie annehmen? Se-
„hen Sie, wie alles um Sie herum erfreut iſt. Se-
„hen Sie dieſe blaue Veilchen, wie ſie hervorſproſſen
„und angenehmen Duft verbreiten.‟ Hier pfluͤckte ſie
einige Veilchen und uͤberreichte ſie ihm.
Saͤugling nahm den Strauß an, betrachtete ihn,
und ſeufzete.
„Wie ſind doch die ſchoͤnen Geiſter ſo nachſinnend?
„Mich duͤnkt ich ſehe es an ihren Augen, daß Sie denken:
„Jch ſahe den jungen May
„Seine Silberglocken
„Hiengen um den Schlaf
„Als er vom Himmel fuhr,
„Bluͤhten alle Wipfel,
„Als er den Boden trat,
„Ließ er Violen und Hyacinten im Fußtritt zuruͤck.‟ *)
Saͤug-
*) Ramlers lyriſche Gedichte, Berlin 1772. S. 266.
O 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/239 |
Zitationshilfe: | Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/239>, abgerufen am 16.02.2025. |