Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:

<< vorherige Seite

nächste Seite >>

prophetischen Schriften gewidmet. Jeder Mensch
hat sein Steckenpferd, und Sebaldus hatte die Apo-
calypse dazu erwählet, welches er auch, seine ganze
Lebenszeit durch, vom Montage bis zum Freytage
fleißig ritt. Nur der Sonnabend, wenn er sich zu
seiner Predigt vorbereitete, und der Sonntag, wenn
er sie hielt, war moralischen Betrachtungen gewidmet.
Denn so sehr er auch die Prophezeyungen der Unter-
suchung eines scharfsinnigen Kopfes würdig hielt, so
wenig glaubte er, würden seine Bauern davon ver-
stehen oder nützen können, und es war sein unwider-
ruflicher Willen, seinen Bauren nichts zu predigen,
als was ihnen sowohl verständlich, als nützlich
wäre.

Er hatte mit vielen seiner wohlehrwürdigen Amts-
brüder, denen er sonst in so vielen Stücken unähn-
lich war, dennoch eine besondere Aehnlichkeit. Man
solte kaum glauben, daß viele Landprediger, die den
Sontag mit lauter Stimme das Gesetz predigen, und
die Ungläubigen und Ketzer, mit starken Ausrufun-
gen und Citationen aus dem Grundterte, so sein
zusammenzutreiben wissen, eben die Männer wären,
die man die ganze Woche über, als dickstämmige
Pächter, wilde Pferdebändiger, drolligte Trinkge-
sellschafter, und vorsichtige Wucherer gesehen hat.

Eben

A 4

prophetiſchen Schriften gewidmet. Jeder Menſch
hat ſein Steckenpferd, und Sebaldus hatte die Apo-
calypſe dazu erwaͤhlet, welches er auch, ſeine ganze
Lebenszeit durch, vom Montage bis zum Freytage
fleißig ritt. Nur der Sonnabend, wenn er ſich zu
ſeiner Predigt vorbereitete, und der Sonntag, wenn
er ſie hielt, war moraliſchen Betrachtungen gewidmet.
Denn ſo ſehr er auch die Prophezeyungen der Unter-
ſuchung eines ſcharfſinnigen Kopfes wuͤrdig hielt, ſo
wenig glaubte er, wuͤrden ſeine Bauern davon ver-
ſtehen oder nuͤtzen koͤnnen, und es war ſein unwider-
ruflicher Willen, ſeinen Bauren nichts zu predigen,
als was ihnen ſowohl verſtaͤndlich, als nuͤtzlich
waͤre.

Er hatte mit vielen ſeiner wohlehrwuͤrdigen Amts-
bruͤder, denen er ſonſt in ſo vielen Stuͤcken unaͤhn-
lich war, dennoch eine beſondere Aehnlichkeit. Man
ſolte kaum glauben, daß viele Landprediger, die den
Sontag mit lauter Stimme das Geſetz predigen, und
die Unglaͤubigen und Ketzer, mit ſtarken Ausrufun-
gen und Citationen aus dem Grundterte, ſo ſein
zuſammenzutreiben wiſſen, eben die Maͤnner waͤren,
die man die ganze Woche uͤber, als dickſtaͤmmige
Paͤchter, wilde Pferdebaͤndiger, drolligte Trinkge-
ſellſchafter, und vorſichtige Wucherer geſehen hat.

Eben

A 4

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0027" n="7"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
propheti&#x017F;chen Schriften gewidmet. Jeder Men&#x017F;ch<lb/>
hat &#x017F;ein Steckenpferd, und <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> hatte die Apo-<lb/>
calyp&#x017F;e dazu erwa&#x0364;hlet, welches er auch, &#x017F;eine ganze<lb/>
Lebenszeit durch, vom Montage bis zum Freytage<lb/>
fleißig ritt. Nur der Sonnabend, wenn er &#x017F;ich zu<lb/>
&#x017F;einer Predigt vorbereitete, und der Sonntag, wenn<lb/>
er &#x017F;ie hielt, war morali&#x017F;chen Betrachtungen gewidmet.<lb/>
Denn &#x017F;o &#x017F;ehr er auch die Prophezeyungen der Unter-<lb/>
&#x017F;uchung eines &#x017F;charf&#x017F;innigen Kopfes wu&#x0364;rdig hielt, &#x017F;o<lb/>
wenig glaubte er, wu&#x0364;rden &#x017F;eine Bauern davon ver-<lb/>
&#x017F;tehen oder nu&#x0364;tzen ko&#x0364;nnen, und es war &#x017F;ein unwider-<lb/>
ruflicher Willen, &#x017F;einen Bauren nichts zu predigen,<lb/>
als was ihnen &#x017F;owohl ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich, als nu&#x0364;tzlich<lb/>
wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>Er hatte mit vielen &#x017F;einer wohlehrwu&#x0364;rdigen Amts-<lb/>
bru&#x0364;der, denen er &#x017F;on&#x017F;t in &#x017F;o vielen Stu&#x0364;cken una&#x0364;hn-<lb/>
lich war, dennoch eine be&#x017F;ondere Aehnlichkeit. Man<lb/>
&#x017F;olte kaum glauben, daß viele Landprediger, die den<lb/>
Sontag mit lauter Stimme das Ge&#x017F;etz predigen, und<lb/>
die Ungla&#x0364;ubigen und Ketzer, mit &#x017F;tarken Ausrufun-<lb/>
gen und Citationen aus dem Grundterte, &#x017F;o &#x017F;ein<lb/>
zu&#x017F;ammenzutreiben wi&#x017F;&#x017F;en, eben die Ma&#x0364;nner wa&#x0364;ren,<lb/>
die man die ganze Woche u&#x0364;ber, als dick&#x017F;ta&#x0364;mmige<lb/>
Pa&#x0364;chter, wilde Pferdeba&#x0364;ndiger, drolligte Trinkge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chafter, und vor&#x017F;ichtige Wucherer ge&#x017F;ehen hat.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Eben</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>

[7/0027] prophetiſchen Schriften gewidmet. Jeder Menſch hat ſein Steckenpferd, und Sebaldus hatte die Apo- calypſe dazu erwaͤhlet, welches er auch, ſeine ganze Lebenszeit durch, vom Montage bis zum Freytage fleißig ritt. Nur der Sonnabend, wenn er ſich zu ſeiner Predigt vorbereitete, und der Sonntag, wenn er ſie hielt, war moraliſchen Betrachtungen gewidmet. Denn ſo ſehr er auch die Prophezeyungen der Unter- ſuchung eines ſcharfſinnigen Kopfes wuͤrdig hielt, ſo wenig glaubte er, wuͤrden ſeine Bauern davon ver- ſtehen oder nuͤtzen koͤnnen, und es war ſein unwider- ruflicher Willen, ſeinen Bauren nichts zu predigen, als was ihnen ſowohl verſtaͤndlich, als nuͤtzlich waͤre. Er hatte mit vielen ſeiner wohlehrwuͤrdigen Amts- bruͤder, denen er ſonſt in ſo vielen Stuͤcken unaͤhn- lich war, dennoch eine beſondere Aehnlichkeit. Man ſolte kaum glauben, daß viele Landprediger, die den Sontag mit lauter Stimme das Geſetz predigen, und die Unglaͤubigen und Ketzer, mit ſtarken Ausrufun- gen und Citationen aus dem Grundterte, ſo ſein zuſammenzutreiben wiſſen, eben die Maͤnner waͤren, die man die ganze Woche uͤber, als dickſtaͤmmige Paͤchter, wilde Pferdebaͤndiger, drolligte Trinkge- ſellſchafter, und vorſichtige Wucherer geſehen hat. Eben A 4

Suche im Werk

Informationen zum Werk

Titeldaten
Verfügbarkeit Text (TEI-XML-, HTML-, TCF-, E-Book-Fassung): CC BY-SA 4.0.
Nutzungsbedingungen

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ^?

Language Resource Switchboard^?

Resource/URL übermitteln

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk:	https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite:	https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/27
Zitationshilfe:	Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/27>, abgerufen am 09.11.2024.

Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer Creative-Commons-Lizenz. Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken. Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.

Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.

2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de.

Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.