Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.wiesene französische Damen in die Devotion werfen; aber diese Litteratur war von der, die Sebaldus trieb, himmelweit unterschieden. Wilhelmine war eine süsse Verehrerin der schönen Wissenschaften, wovon Sebaldus ganz und gar nichts verstand. Sie hatte alle gute deutsche und französische Dichter fleißig ge- lesen, und führte in der Conversation nicht selten Stellen daraus an. Jm Urtheile über den Werth der Romanen, war sie das Orakel der ganzen Gegend. Sie war aber auch in der ganzen Gegend die einzige, die alle unsre besten neuern Dichter, ganz frisch von der Presse, und die Bremischen Beiträge, die Sammlung vermischter Schriften, und die Briefe die neueste Litteratur betreffend, stück- weise kommen ließ. Von ihr erhielten sie die wenigen gnädigen Fräulein, die Landvrediger und die Conrecto- ren in den benachbarten kleinen Städten, die noch in der dortigen Gegend unsere schönen Geister des Lesens würdigten. Jn der Philosophie waren Sebaldus und seine kleine
wieſene franzoͤſiſche Damen in die Devotion werfen; aber dieſe Litteratur war von der, die Sebaldus trieb, himmelweit unterſchieden. Wilhelmine war eine ſuͤſſe Verehrerin der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, wovon Sebaldus ganz und gar nichts verſtand. Sie hatte alle gute deutſche und franzoͤſiſche Dichter fleißig ge- leſen, und fuͤhrte in der Converſation nicht ſelten Stellen daraus an. Jm Urtheile uͤber den Werth der Romanen, war ſie das Orakel der ganzen Gegend. Sie war aber auch in der ganzen Gegend die einzige, die alle unſre beſten neuern Dichter, ganz friſch von der Preſſe, und die Bremiſchen Beitraͤge, die Sammlung vermiſchter Schriften, und die Briefe die neueſte Litteratur betreffend, ſtuͤck- weiſe kommen ließ. Von ihr erhielten ſie die wenigen gnaͤdigen Fraͤulein, die Landvrediger und die Conrecto- ren in den benachbarten kleinen Staͤdten, die noch in der dortigen Gegend unſere ſchoͤnen Geiſter des Leſens wuͤrdigten. Jn der Philoſophie waren Sebaldus und ſeine kleine
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wieſene franzoͤſiſche Damen in die Devotion werfen;
aber dieſe Litteratur war von der, die Sebaldus trieb,
himmelweit unterſchieden. Wilhelmine war eine
ſuͤſſe Verehrerin der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, wovon
Sebaldus ganz und gar nichts verſtand. Sie hatte
alle gute deutſche und franzoͤſiſche Dichter fleißig ge-
leſen, und fuͤhrte in der Converſation nicht ſelten
Stellen daraus an. Jm Urtheile uͤber den Werth
der Romanen, war ſie das Orakel der ganzen Gegend.
Sie war aber auch in der ganzen Gegend die einzige,
die alle unſre beſten neuern Dichter, ganz friſch von
der Preſſe, und die Bremiſchen Beitraͤge, die
Sammlung vermiſchter Schriften, und die
Briefe die neueſte Litteratur betreffend, ſtuͤck-
weiſe kommen ließ. Von ihr erhielten ſie die wenigen
gnaͤdigen Fraͤulein, die Landvrediger und die Conrecto-
ren in den benachbarten kleinen Staͤdten, die noch in
der dortigen Gegend unſere ſchoͤnen Geiſter des Leſens
wuͤrdigten.
Jn der Philoſophie waren Sebaldus und ſeine
Wilhelmine noch weit mehr von einander unterſchie-
den. So ſehr er ein eifriger Cruſianer war, eben ſo
ſehr war ſie aus allen Kraͤften der Wolfiſchen Philo-
ſophie ergeben. Sie hatte Wolfs ſaͤmtliche deutſche
Schriften geleſen, beſonders aber wuſte ſie deſſelben
kleine
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