Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.kleine Logik auswendig. Wenn eine von ihren Freundinnen sich den Geschmack bilden wollte, so pries sie derselben das zehnte Kapitel wie man von Schrif- ten urtheilen soll, nebst dem eilften an, wie man Bücher recht mit Nutzen lesen soll. Der Cru- siusschen Philosophie war sie von Herzen gramm, welches auch kein Wunder war, weil sie sich niemals hatte überwinden können, eine einzige von den Schrif- ten des Hochwürdigen Mannes zu lesen. Sebaldus gab sich oft alle mögliche Mühe, sie dahin zu bringen, daß sie nur wenigstens Wüstemanns Compendium der Crusiusschen Philosophie durchlesen solte, welches er für eine nahrhafte Milch für unmündige Philosophen hielt. Umsonst! Sie legte es, nachdem sie sechs Seiten durchgelesen hatte, mit Verachtung aus der Hand, und war und blieb eine Wolfianerin. Es ist leicht zu begreifen, wie die Philosophie der gemei-
kleine Logik auswendig. Wenn eine von ihren Freundinnen ſich den Geſchmack bilden wollte, ſo pries ſie derſelben das zehnte Kapitel wie man von Schrif- ten urtheilen ſoll, nebſt dem eilften an, wie man Buͤcher recht mit Nutzen leſen ſoll. Der Cru- ſiusſchen Philoſophie war ſie von Herzen gramm, welches auch kein Wunder war, weil ſie ſich niemals hatte uͤberwinden koͤnnen, eine einzige von den Schrif- ten des Hochwuͤrdigen Mannes zu leſen. Sebaldus gab ſich oft alle moͤgliche Muͤhe, ſie dahin zu bringen, daß ſie nur wenigſtens Wuͤſtemanns Compendium der Cruſiusſchen Philoſophie durchleſen ſolte, welches er fuͤr eine nahrhafte Milch fuͤr unmuͤndige Philoſophen hielt. Umſonſt! Sie legte es, nachdem ſie ſechs Seiten durchgeleſen hatte, mit Verachtung aus der Hand, und war und blieb eine Wolfianerin. Es iſt leicht zu begreifen, wie die Philoſophie der gemei-
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kleine Logik auswendig. Wenn eine von ihren
Freundinnen ſich den Geſchmack bilden wollte, ſo pries
ſie derſelben das zehnte Kapitel wie man von Schrif-
ten urtheilen ſoll, nebſt dem eilften an, wie man
Buͤcher recht mit Nutzen leſen ſoll. Der Cru-
ſiusſchen Philoſophie war ſie von Herzen gramm,
welches auch kein Wunder war, weil ſie ſich niemals
hatte uͤberwinden koͤnnen, eine einzige von den Schrif-
ten des Hochwuͤrdigen Mannes zu leſen. Sebaldus
gab ſich oft alle moͤgliche Muͤhe, ſie dahin zu bringen,
daß ſie nur wenigſtens Wuͤſtemanns Compendium
der Cruſiusſchen Philoſophie durchleſen ſolte,
welches er fuͤr eine nahrhafte Milch fuͤr unmuͤndige
Philoſophen hielt. Umſonſt! Sie legte es, nachdem
ſie ſechs Seiten durchgeleſen hatte, mit Verachtung
aus der Hand, und war und blieb eine Wolfianerin.
Es iſt leicht zu begreifen, wie die Philoſophie der
ſchoͤnen Wilhelmine zuweilen eine kleine Unordnung
im Hausweſen habe verurſachen koͤnnen, und wie
moͤglich es geweſen, daß ein neuangekommenes Stuͤck
der Litteraturbriefe der zureichende Grund ſeyn koͤn-
nen, daß der Reißbrey anbrennen muſte. Solche
kleine haͤusliche Widerwaͤrtigkeiten ſtoͤrten aber keines-
weges die beiderſeitige Zufriedenheit. Da Sebaldus
gemei-
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