Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.Gebet über das andere, und um desto heftiger und lauter je ärger der Schmerz war; so bald er aber nach- ließ, ergriff er die Zeitungen, um sich an den Berich- ten von den grausamen Metzelungen, die die Reichs- executionsarmee unter den Preußischen Heeren zuletzt angerichtet hatte, in der Stille das Herz zu laben. Eben beym Zeitungslesen traf ihn Sebaldus an, und dis war für sein Anliegen eben nicht vortheil- haft. Der Hofmarschall fuhr ihn ziemlich darüber an, daß er nicht Busse gepredigt hätte, anstatt durch seine Predigt eine Armee zu verstärken, von der, wenn das verwünschte Reerutiren nicht wäre, schon kein Mann übrig seyn müste. Er hielt ihm dabey eine lauge Predigt vom deutschen Vaterlande, die der berühmte Verfasser des deutschen Nationalgeistes und der Reliquien, irgendwo auch einmal gehöret haben muß, weil man in diesen Büchern wörtlich wieder findet, was damals der alte podagrische Hof- marschall zum Pastor Sebaldus sagte. Nachdem diese Lection eine halbe Stunde gewähret hatte, kam er auf Sebaldus Anliegen zurück, wegen deßen er ihn an den Consistorjalpräsidenten verwies. Doch versi- cherte er ihn, als ein alter Hofmann, höflich bey allen Gelegenheiten seiner Protection. Sebaldus fuhr nach dem Schlafrockzipfel, um ihn zu küssen, welches er
Gebet uͤber das andere, und um deſto heftiger und lauter je aͤrger der Schmerz war; ſo bald er aber nach- ließ, ergriff er die Zeitungen, um ſich an den Berich- ten von den grauſamen Metzelungen, die die Reichs- executionsarmee unter den Preußiſchen Heeren zuletzt angerichtet hatte, in der Stille das Herz zu laben. Eben beym Zeitungsleſen traf ihn Sebaldus an, und dis war fuͤr ſein Anliegen eben nicht vortheil- haft. Der Hofmarſchall fuhr ihn ziemlich daruͤber an, daß er nicht Buſſe gepredigt haͤtte, anſtatt durch ſeine Predigt eine Armee zu verſtaͤrken, von der, wenn das verwuͤnſchte Reerutiren nicht waͤre, ſchon kein Mann uͤbrig ſeyn muͤſte. Er hielt ihm dabey eine lauge Predigt vom deutſchen Vaterlande, die der beruͤhmte Verfaſſer des deutſchen Nationalgeiſtes und der Reliquien, irgendwo auch einmal gehoͤret haben muß, weil man in dieſen Buͤchern woͤrtlich wieder findet, was damals der alte podagriſche Hof- marſchall zum Paſtor Sebaldus ſagte. Nachdem dieſe Lection eine halbe Stunde gewaͤhret hatte, kam er auf Sebaldus Anliegen zuruͤck, wegen deßen er ihn an den Conſiſtorjalpraͤſidenten verwies. Doch verſi- cherte er ihn, als ein alter Hofmann, hoͤflich bey allen Gelegenheiten ſeiner Protection. Sebaldus fuhr nach dem Schlafrockzipfel, um ihn zu kuͤſſen, welches er
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Gebet uͤber das andere, und um deſto heftiger und
lauter je aͤrger der Schmerz war; ſo bald er aber nach-
ließ, ergriff er die Zeitungen, um ſich an den Berich-
ten von den grauſamen Metzelungen, die die Reichs-
executionsarmee unter den Preußiſchen Heeren
zuletzt angerichtet hatte, in der Stille das Herz zu
laben. Eben beym Zeitungsleſen traf ihn Sebaldus
an, und dis war fuͤr ſein Anliegen eben nicht vortheil-
haft. Der Hofmarſchall fuhr ihn ziemlich daruͤber an,
daß er nicht Buſſe gepredigt haͤtte, anſtatt durch ſeine
Predigt eine Armee zu verſtaͤrken, von der, wenn
das verwuͤnſchte Reerutiren nicht waͤre, ſchon kein
Mann uͤbrig ſeyn muͤſte. Er hielt ihm dabey eine
lauge Predigt vom deutſchen Vaterlande, die der
beruͤhmte Verfaſſer des deutſchen Nationalgeiſtes
und der Reliquien, irgendwo auch einmal gehoͤret
haben muß, weil man in dieſen Buͤchern woͤrtlich
wieder findet, was damals der alte podagriſche Hof-
marſchall zum Paſtor Sebaldus ſagte. Nachdem
dieſe Lection eine halbe Stunde gewaͤhret hatte, kam
er auf Sebaldus Anliegen zuruͤck, wegen deßen er ihn
an den Conſiſtorjalpraͤſidenten verwies. Doch verſi-
cherte er ihn, als ein alter Hofmann, hoͤflich bey allen
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