Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.um ihn vorgieng, da saß. Auf alles Zureden des Hieronymus, antwortete er nur durch abgebro- chene Worte, tiefe Seufzer und starre Blicke gen Himmel. Endlich stand er auf, hob seine beiden Hände empor, faltete sie, und brach in apocalypti- scher Entzückung folgendermaßen aus: ,Ja, ich habe "Unrecht, o meine verklärte Wilhelmine, dich zu "beklagen, daß du einer Welt voll Elend, voll Be- "trug, voll Bosheit bist entrissen worden: wo das "Laster in güldenem Stücke gehet, wo Tugend und "Menschenfreundschaft betteln muß, wo fühllose Prie- "ster noch jenseits dieses Lebens ihre Verdammungen "ausspenden. Wohl dir, daß du gestorben bist! "Zwar betrübt mich dein Abschied jetzt sehr, aber o "wie sehr viel freudiger wird unsere Zusammenkunft "seyn, wenn wir uns in dem himmlischen Jerusalem "wiedersehen werden, wo kein Verbannetes mehr seyn "wird, wo wir sehen werden den lautern Strom "des lebendigen Wassers, klar wie ein Crystall, wo "die, die da siegeten an dem Thiere und seinem Bilde "und an der Zahl seines Namens, stehen werden, "und haben Gottes Harfen, und singen das Lied "Mosis und das Lied des Lämmleins, und sprechen: "Groß und wundersam sind deine Werke, Herr Gott, "Allmächtiger, gerecht und wahrhaftig sind deine "Wege E 3
um ihn vorgieng, da ſaß. Auf alles Zureden des Hieronymus, antwortete er nur durch abgebro- chene Worte, tiefe Seufzer und ſtarre Blicke gen Himmel. Endlich ſtand er auf, hob ſeine beiden Haͤnde empor, faltete ſie, und brach in apocalypti- ſcher Entzuͤckung folgendermaßen aus: ‚Ja, ich habe „Unrecht, o meine verklaͤrte Wilhelmine, dich zu „beklagen, daß du einer Welt voll Elend, voll Be- „trug, voll Bosheit biſt entriſſen worden: wo das „Laſter in guͤldenem Stuͤcke gehet, wo Tugend und „Menſchenfreundſchaft betteln muß, wo fuͤhlloſe Prie- „ſter noch jenſeits dieſes Lebens ihre Verdammungen „ausſpenden. Wohl dir, daß du geſtorben biſt! „Zwar betruͤbt mich dein Abſchied jetzt ſehr, aber o „wie ſehr viel freudiger wird unſere Zuſammenkunft „ſeyn, wenn wir uns in dem himmliſchen Jeruſalem „wiederſehen werden, wo kein Verbannetes mehr ſeyn „wird, wo wir ſehen werden den lautern Strom „des lebendigen Waſſers, klar wie ein Cryſtall, wo „die, die da ſiegeten an dem Thiere und ſeinem Bilde „und an der Zahl ſeines Namens, ſtehen werden, „und haben Gottes Harfen, und ſingen das Lied „Moſis und das Lied des Laͤmmleins, und ſprechen: „Groß und wunderſam ſind deine Werke, Herr Gott, „Allmaͤchtiger, gerecht und wahrhaftig ſind deine „Wege E 3
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Himmel. Endlich ſtand er auf, hob ſeine beiden
Haͤnde empor, faltete ſie, und brach in apocalypti-
ſcher Entzuͤckung folgendermaßen aus: ‚Ja, ich habe
„Unrecht, o meine verklaͤrte Wilhelmine, dich zu
„beklagen, daß du einer Welt voll Elend, voll Be-
„trug, voll Bosheit biſt entriſſen worden: wo das
„Laſter in guͤldenem Stuͤcke gehet, wo Tugend und
„Menſchenfreundſchaft betteln muß, wo fuͤhlloſe Prie-
„ſter noch jenſeits dieſes Lebens ihre Verdammungen
„ausſpenden. Wohl dir, daß du geſtorben biſt!
„Zwar betruͤbt mich dein Abſchied jetzt ſehr, aber o
„wie ſehr viel freudiger wird unſere Zuſammenkunft
„ſeyn, wenn wir uns in dem himmliſchen Jeruſalem
„wiederſehen werden, wo kein Verbannetes mehr ſeyn
„wird, wo wir ſehen werden den lautern Strom
„des lebendigen Waſſers, klar wie ein Cryſtall, wo
„die, die da ſiegeten an dem Thiere und ſeinem Bilde
„und an der Zahl ſeines Namens, ſtehen werden,
„und haben Gottes Harfen, und ſingen das Lied
„Moſis und das Lied des Laͤmmleins, und ſprechen:
„Groß und wunderſam ſind deine Werke, Herr Gott,
„Allmaͤchtiger, gerecht und wahrhaftig ſind deine
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