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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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sondern wollte stehendes Fußes weggehen, das äußere
Zimmer aber war verschlossen. Er sagte ihr auf die
höflichste Weise, sie solle in allen Dingen über ihn
und sein Haus zu befehlen haben, den einzigen Punkt
ausgenommen, daß sie sich nicht wegbegeben müsse.
Mariane fragte voll Unwillen, wer das Recht habe,
sie aufzuhalten? Er wendete wieder seine Liebe vor;
er bat, er beschwur sie, er versicherte auf den Knien,
sie habe von ihm nichts unanständiges zu besorgen;
selbst ihrer Gesellschaft, so angenehm sie ihm sey,
wolle er sich entziehen, wenn er ihr beschwerlich fiele.
Mariane warf sich in einen Stuhl und weinte; er
fuhr fort zu bitten und zu versprechen; und sie mußte
der Gewalt nachgeben, und wider ihren Willen da
bleiben.

Sie begab sich in ein ihr angewiesenes Zimmer Sle
untersuchte sorgfältig, ob irgendwo ein verdeckter Ein-
gang seyn könne; aber es war alles sicher. Sie früh-
stückte allein. Sie gieng nachher in den Garten. Sie
bemerkte wohl, daß sie von verschiedenen Personen
von fern beobachtet ward, und daß sie nicht werde
entfliehen können; aber der Oberste ließ sich nicht se-
hen. Es giengen einige Tage hin, in denen sie alles
empfand, was ihr itziger Zustand schreckliches, und

die



ſondern wollte ſtehendes Fußes weggehen, das aͤußere
Zimmer aber war verſchloſſen. Er ſagte ihr auf die
hoͤflichſte Weiſe, ſie ſolle in allen Dingen uͤber ihn
und ſein Haus zu befehlen haben, den einzigen Punkt
ausgenommen, daß ſie ſich nicht wegbegeben muͤſſe.
Mariane fragte voll Unwillen, wer das Recht habe,
ſie aufzuhalten? Er wendete wieder ſeine Liebe vor;
er bat, er beſchwur ſie, er verſicherte auf den Knien,
ſie habe von ihm nichts unanſtaͤndiges zu beſorgen;
ſelbſt ihrer Geſellſchaft, ſo angenehm ſie ihm ſey,
wolle er ſich entziehen, wenn er ihr beſchwerlich fiele.
Mariane warf ſich in einen Stuhl und weinte; er
fuhr fort zu bitten und zu verſprechen; und ſie mußte
der Gewalt nachgeben, und wider ihren Willen da
bleiben.

Sie begab ſich in ein ihr angewieſenes Zimmer Sle
unterſuchte ſorgfaͤltig, ob irgendwo ein verdeckter Ein-
gang ſeyn koͤnne; aber es war alles ſicher. Sie fruͤh-
ſtuͤckte allein. Sie gieng nachher in den Garten. Sie
bemerkte wohl, daß ſie von verſchiedenen Perſonen
von fern beobachtet ward, und daß ſie nicht werde
entfliehen koͤnnen; aber der Oberſte ließ ſich nicht ſe-
hen. Es giengen einige Tage hin, in denen ſie alles
empfand, was ihr itziger Zuſtand ſchreckliches, und

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[202/0214] ſondern wollte ſtehendes Fußes weggehen, das aͤußere Zimmer aber war verſchloſſen. Er ſagte ihr auf die hoͤflichſte Weiſe, ſie ſolle in allen Dingen uͤber ihn und ſein Haus zu befehlen haben, den einzigen Punkt ausgenommen, daß ſie ſich nicht wegbegeben muͤſſe. Mariane fragte voll Unwillen, wer das Recht habe, ſie aufzuhalten? Er wendete wieder ſeine Liebe vor; er bat, er beſchwur ſie, er verſicherte auf den Knien, ſie habe von ihm nichts unanſtaͤndiges zu beſorgen; ſelbſt ihrer Geſellſchaft, ſo angenehm ſie ihm ſey, wolle er ſich entziehen, wenn er ihr beſchwerlich fiele. Mariane warf ſich in einen Stuhl und weinte; er fuhr fort zu bitten und zu verſprechen; und ſie mußte der Gewalt nachgeben, und wider ihren Willen da bleiben. Sie begab ſich in ein ihr angewieſenes Zimmer Sle unterſuchte ſorgfaͤltig, ob irgendwo ein verdeckter Ein- gang ſeyn koͤnne; aber es war alles ſicher. Sie fruͤh- ſtuͤckte allein. Sie gieng nachher in den Garten. Sie bemerkte wohl, daß ſie von verſchiedenen Perſonen von fern beobachtet ward, und daß ſie nicht werde entfliehen koͤnnen; aber der Oberſte ließ ſich nicht ſe- hen. Es giengen einige Tage hin, in denen ſie alles empfand, was ihr itziger Zuſtand ſchreckliches, und die

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/214>, abgerufen am 21.11.2024.