Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



"du wirst eben so wohl in nichts verwandelt werden,
"als ich und wir alle; drum laß uns noch eins trin-
"ken. Denn (er sang)

,Unser leben währet kurz,
"Es vergeht geschwinde.'

Hiemit schenkte er ein volles Glas ein, und brachte es dem
Sebaldus: ,Da trink mit, auf der Babylonischen Hure
"Gesundheit!' Alle vier brachen in ein Pferdege-
lächter aus, und Sebaldus, der jetzt erst merkte in
was für Gesellschaft er war, ließ sich durch kein Zure-
den aufhalten, sondern eilte zur Thür hinaus, und
schöpste nicht eher wieder frische Luft, bis er auf der
Straße war. Er empfand den ehrlichen Unwillen,
don ein kluger Mann allezeit empfindet, wenn er
merkt, daß er einer Gesellschaft von Narren zum
Schauspiele gedienet habe. Hiezu kam die Beküm-
merniß über seine nun mehrmals fehlgeschlagene
Hoffnung, sich die ersten Bedürfnisse des Lebens zu
schaffen.

Er wollte eben in laute Klagen ausbrechen, als
ihm sein gewesener Reisegefährte begegnete. Derselbe
war in einen guten tuchenen Rock gekleidet, gieng
mit niedergeschlagenen Augen ernsthaft einher, in
Gesellschaft, eines braunen von der Sonne verbraun-
ten Menschen von widriger Miene, der in Reiseklei-

dern



”du wirſt eben ſo wohl in nichts verwandelt werden,
”als ich und wir alle; drum laß uns noch eins trin-
”ken. Denn (er ſang)

‚Unſer leben waͤhret kurz,
”Es vergeht geſchwinde.‛

Hiemit ſchenkte er ein volles Glas ein, und brachte es dem
Sebaldus: ‚Da trink mit, auf der Babyloniſchen Hure
”Geſundheit!‛ Alle vier brachen in ein Pferdege-
laͤchter aus, und Sebaldus, der jetzt erſt merkte in
was fuͤr Geſellſchaft er war, ließ ſich durch kein Zure-
den aufhalten, ſondern eilte zur Thuͤr hinaus, und
ſchoͤpſte nicht eher wieder friſche Luft, bis er auf der
Straße war. Er empfand den ehrlichen Unwillen,
don ein kluger Mann allezeit empfindet, wenn er
merkt, daß er einer Geſellſchaft von Narren zum
Schauſpiele gedienet habe. Hiezu kam die Bekuͤm-
merniß uͤber ſeine nun mehrmals fehlgeſchlagene
Hoffnung, ſich die erſten Beduͤrfniſſe des Lebens zu
ſchaffen.

Er wollte eben in laute Klagen ausbrechen, als
ihm ſein geweſener Reiſegefaͤhrte begegnete. Derſelbe
war in einen guten tuchenen Rock gekleidet, gieng
mit niedergeſchlagenen Augen ernſthaft einher, in
Geſellſchaft, eines braunen von der Sonne verbraun-
ten Menſchen von widriger Miene, der in Reiſeklei-

dern
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0045" n="39"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201D;du wir&#x017F;t eben &#x017F;o wohl in nichts verwandelt werden,<lb/>
&#x201D;als ich und wir alle; drum laß uns noch eins trin-<lb/>
&#x201D;ken. Denn (er &#x017F;ang)</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>&#x201A;Un&#x017F;er leben wa&#x0364;hret kurz,</l><lb/>
            <l>&#x201D;Es vergeht ge&#x017F;chwinde.&#x201B;</l>
          </lg><lb/>
          <p>Hiemit &#x017F;chenkte er ein volles Glas ein, und brachte es dem<lb/><hi rendition="#fr">Sebaldus:</hi> &#x201A;Da trink mit, auf der Babyloni&#x017F;chen Hure<lb/>
&#x201D;Ge&#x017F;undheit!&#x201B; Alle vier brachen in ein Pferdege-<lb/>
la&#x0364;chter aus, und <hi rendition="#fr">Sebaldus,</hi> der jetzt er&#x017F;t merkte in<lb/>
was fu&#x0364;r Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft er war, ließ &#x017F;ich durch kein Zure-<lb/>
den aufhalten, &#x017F;ondern eilte zur Thu&#x0364;r hinaus, und<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;p&#x017F;te nicht eher wieder fri&#x017F;che Luft, bis er auf der<lb/>
Straße war. Er empfand den ehrlichen Unwillen,<lb/>
don ein kluger Mann allezeit empfindet, wenn er<lb/>
merkt, daß er einer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von Narren zum<lb/>
Schau&#x017F;piele gedienet habe. Hiezu kam die Beku&#x0364;m-<lb/>
merniß u&#x0364;ber &#x017F;eine nun mehrmals fehlge&#x017F;chlagene<lb/>
Hoffnung, &#x017F;ich die er&#x017F;ten Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e des Lebens zu<lb/>
&#x017F;chaffen.</p><lb/>
          <p>Er wollte eben in laute Klagen ausbrechen, als<lb/>
ihm &#x017F;ein gewe&#x017F;ener Rei&#x017F;egefa&#x0364;hrte begegnete. Der&#x017F;elbe<lb/>
war in einen guten tuchenen Rock gekleidet, gieng<lb/>
mit niederge&#x017F;chlagenen Augen ern&#x017F;thaft einher, in<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, eines braunen von der Sonne verbraun-<lb/>
ten Men&#x017F;chen von widriger Miene, der in Rei&#x017F;eklei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dern</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0045] ”du wirſt eben ſo wohl in nichts verwandelt werden, ”als ich und wir alle; drum laß uns noch eins trin- ”ken. Denn (er ſang) ‚Unſer leben waͤhret kurz, ”Es vergeht geſchwinde.‛ Hiemit ſchenkte er ein volles Glas ein, und brachte es dem Sebaldus: ‚Da trink mit, auf der Babyloniſchen Hure ”Geſundheit!‛ Alle vier brachen in ein Pferdege- laͤchter aus, und Sebaldus, der jetzt erſt merkte in was fuͤr Geſellſchaft er war, ließ ſich durch kein Zure- den aufhalten, ſondern eilte zur Thuͤr hinaus, und ſchoͤpſte nicht eher wieder friſche Luft, bis er auf der Straße war. Er empfand den ehrlichen Unwillen, don ein kluger Mann allezeit empfindet, wenn er merkt, daß er einer Geſellſchaft von Narren zum Schauſpiele gedienet habe. Hiezu kam die Bekuͤm- merniß uͤber ſeine nun mehrmals fehlgeſchlagene Hoffnung, ſich die erſten Beduͤrfniſſe des Lebens zu ſchaffen. Er wollte eben in laute Klagen ausbrechen, als ihm ſein geweſener Reiſegefaͤhrte begegnete. Derſelbe war in einen guten tuchenen Rock gekleidet, gieng mit niedergeſchlagenen Augen ernſthaft einher, in Geſellſchaft, eines braunen von der Sonne verbraun- ten Menſchen von widriger Miene, der in Reiſeklei- dern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/45
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/45>, abgerufen am 03.12.2024.