Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.,Das dächte ich doch nicht. Sie müssen neuen ,Ja! vergleichungsweise: Weil sie an vielen an- ,Pieti- *) Berlin ist vielleicht die einzige Stadt in der Welt, wo
man auf den Einfall gerathen ist, in Versen zu predigen. Verschiedene Prediger versuchten dieß, zu verschiedenen Zeiten, mit Beyfall der Zuhörer, bis endlich, durch einen ausdrücklichen Befehl des Oberkonsistoriums, das Predigen in Versen verboten ward. ‚Das daͤchte ich doch nicht. Sie muͤſſen neuen ‚Ja! vergleichungsweiſe: Weil ſie an vielen an- ‚Pieti- *) Berlin iſt vielleicht die einzige Stadt in der Welt, wo
man auf den Einfall gerathen iſt, in Verſen zu predigen. Verſchiedene Prediger verſuchten dieß, zu verſchiedenen Zeiten, mit Beyfall der Zuhörer, bis endlich, durch einen ausdrücklichen Befehl des Oberkonſiſtoriums, das Predigen in Verſen verboten ward. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0080" n="74"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>‚Das daͤchte ich doch nicht. Sie muͤſſen neuen<lb/> ”Meinungen nicht ganz abgeneigt ſeyn, wenigſtens<lb/> ”haben die Verſuche, durch Gebrauch der Vernunft<lb/> ”die Vorurtheile in der Religion wegzuraͤumen, bis-<lb/> ”her noch in Berlin den groͤßten Beyfall erhalten.‛</p><lb/> <p>‚Ja! vergleichungsweiſe: Weil ſie an vielen an-<lb/> ”dern Orten ganz und gar nicht geduldet werden.<lb/> ”Aber vermengen Sie nur ja nicht wenige Schriftſtel-<lb/> ”ler und ihre wenigen Freunde mit den Einwohnern<lb/> ”Berlins, die aus vielen tauſenden beſtehen. Lernen<lb/> ”Sie dieſe beſſer kennen! Wenn dieſe je von der Dog-<lb/> ”matik abgehen, oder irgend worinn uͤber die Schnur<lb/> ”hauen ſollten, ſo moͤchte es gewiß weniger von der Seite<lb/> ”der Vernunft, als von der Seite der erhitzten Einbil-<lb/> ”dungskraft<note place="foot" n="*)">Berlin iſt vielleicht die einzige Stadt in der Welt, wo<lb/> man auf den Einfall gerathen iſt, <hi rendition="#fr">in Verſen zu predigen.</hi><lb/> Verſchiedene Prediger verſuchten dieß, zu verſchiedenen<lb/> Zeiten, mit Beyfall der Zuhörer, bis endlich, durch<lb/> einen ausdrücklichen Befehl des Oberkonſiſtoriums, das<lb/> Predigen in <hi rendition="#fr">Verſen verboten</hi> ward.</note> geſchehen. Keine große Stadt in Deutſch-<lb/> ”land hat, ſeit dem Anfange dieſes Jahrhunderts, da wir<lb/> ”<hi rendition="#fr">Jnſpirirte</hi> hatten, welche <hi rendition="#fr">weißagten</hi> und <hi rendition="#fr">Wunder<lb/> ”thaten,</hi> ſo viel Schwaͤrmer gehabt, als Berlin, und<lb/> ”itzt, wenn ich, den allgemeinen Charakter der Buͤrger<lb/> ”von Berlin, mit Einem Worte bezeichnen ſollte, ſo wuͤrde<lb/> ”ich eher ſagen, ſie waͤren <hi rendition="#fr">pietiſtiſch</hi> als <hi rendition="#fr">heterodox.</hi>‛</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">‚<hi rendition="#fr">Pieti-</hi></fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [74/0080]
‚Das daͤchte ich doch nicht. Sie muͤſſen neuen
”Meinungen nicht ganz abgeneigt ſeyn, wenigſtens
”haben die Verſuche, durch Gebrauch der Vernunft
”die Vorurtheile in der Religion wegzuraͤumen, bis-
”her noch in Berlin den groͤßten Beyfall erhalten.‛
‚Ja! vergleichungsweiſe: Weil ſie an vielen an-
”dern Orten ganz und gar nicht geduldet werden.
”Aber vermengen Sie nur ja nicht wenige Schriftſtel-
”ler und ihre wenigen Freunde mit den Einwohnern
”Berlins, die aus vielen tauſenden beſtehen. Lernen
”Sie dieſe beſſer kennen! Wenn dieſe je von der Dog-
”matik abgehen, oder irgend worinn uͤber die Schnur
”hauen ſollten, ſo moͤchte es gewiß weniger von der Seite
”der Vernunft, als von der Seite der erhitzten Einbil-
”dungskraft *) geſchehen. Keine große Stadt in Deutſch-
”land hat, ſeit dem Anfange dieſes Jahrhunderts, da wir
”Jnſpirirte hatten, welche weißagten und Wunder
”thaten, ſo viel Schwaͤrmer gehabt, als Berlin, und
”itzt, wenn ich, den allgemeinen Charakter der Buͤrger
”von Berlin, mit Einem Worte bezeichnen ſollte, ſo wuͤrde
”ich eher ſagen, ſie waͤren pietiſtiſch als heterodox.‛
‚Pieti-
*) Berlin iſt vielleicht die einzige Stadt in der Welt, wo
man auf den Einfall gerathen iſt, in Verſen zu predigen.
Verſchiedene Prediger verſuchten dieß, zu verſchiedenen
Zeiten, mit Beyfall der Zuhörer, bis endlich, durch
einen ausdrücklichen Befehl des Oberkonſiſtoriums, das
Predigen in Verſen verboten ward.
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Zitationshilfe: | Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/80>, abgerufen am 16.02.2025. |