Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775."Pfarrkinder der uralten Pfarrkirche zu St. Nikölal, "am Molkenmarkt, und in der Stralauer Straße "bis zur Paddengasse hinauf, halten am meisten auf "reine Orthodoxie. Jch versichre Sie, daß Sie daselbst "noch ehrenfeste Bürger über Erbsünde und Wiederge- "burt können disputiren hören; desgleichen haben die "Gärtner und Viehmäster in den Berlinischen Vor- "städten noch alle löbliche Anlage auf einen Ketzer "mit Fäusten loszuschlagen. Jn Kölln, in der Ge- "gend des Schlosses, könnten noch am ersten die "Freygeister anzutreffen seyn. Jn dieser Gegend war "es auch, wo der Probst Reinbeck, im Hauden- "schen Buchladen auf der Schloßfreyheit, seine Be- "trachtungen über die Augspurgische Konfes- "sion schrieb, welche zuerst in den Damm, den Eifer "und verjährtes Vorurtheil, gegen die menschliche "Vernunft, für die Orthodoxie, aufgeworfen hatten, "ein kleines Loch machten, das hernach so sehr erwei- "tert worden ist. Die Nachbarschaft des Hofes trägt "auch wohl etwas bey, daß die Leute hier freyer den- "ken. Man komme hingegen nur in die bürgerlichern "Gegenden der Fischerstraße und Lappstraße, "und man wird die Neigung für die Orthodoxie viel "stärker finden, ja ich vermuthe, daß sie bey den Ger- "bern, Pergamentmachern und Seifensiedern in Neu-
”Pfarrkinder der uralten Pfarrkirche zu St. Nikoͤlal, ”am Molkenmarkt, und in der Stralauer Straße ”bis zur Paddengaſſe hinauf, halten am meiſten auf ”reine Orthodoxie. Jch verſichre Sie, daß Sie daſelbſt ”noch ehrenfeſte Buͤrger uͤber Erbſuͤnde und Wiederge- ”burt koͤnnen diſputiren hoͤren; desgleichen haben die ”Gaͤrtner und Viehmaͤſter in den Berliniſchen Vor- ”ſtaͤdten noch alle loͤbliche Anlage auf einen Ketzer ”mit Faͤuſten loszuſchlagen. Jn Koͤlln, in der Ge- ”gend des Schloſſes, koͤnnten noch am erſten die ”Freygeiſter anzutreffen ſeyn. Jn dieſer Gegend war ”es auch, wo der Probſt Reinbeck, im Hauden- ”ſchen Buchladen auf der Schloßfreyheit, ſeine Be- ”trachtungen uͤber die Augſpurgiſche Konfeſ- ”ſion ſchrieb, welche zuerſt in den Damm, den Eifer ”und verjaͤhrtes Vorurtheil, gegen die menſchliche ”Vernunft, fuͤr die Orthodoxie, aufgeworfen hatten, ”ein kleines Loch machten, das hernach ſo ſehr erwei- ”tert worden iſt. Die Nachbarſchaft des Hofes traͤgt ”auch wohl etwas bey, daß die Leute hier freyer den- ”ken. Man komme hingegen nur in die buͤrgerlichern ”Gegenden der Fiſcherſtraße und Lappſtraße, ”und man wird die Neigung fuͤr die Orthodoxie viel ”ſtaͤrker finden, ja ich vermuthe, daß ſie bey den Ger- ”bern, Pergamentmachern und Seifenſiedern in Neu-
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”Pfarrkinder der uralten Pfarrkirche zu St. Nikoͤlal,
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”bis zur Paddengaſſe hinauf, halten am meiſten auf
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”noch ehrenfeſte Buͤrger uͤber Erbſuͤnde und Wiederge-
”burt koͤnnen diſputiren hoͤren; desgleichen haben die
”Gaͤrtner und Viehmaͤſter in den Berliniſchen Vor-
”ſtaͤdten noch alle loͤbliche Anlage auf einen Ketzer
”mit Faͤuſten loszuſchlagen. Jn Koͤlln, in der Ge-
”gend des Schloſſes, koͤnnten noch am erſten die
”Freygeiſter anzutreffen ſeyn. Jn dieſer Gegend war
”es auch, wo der Probſt Reinbeck, im Hauden-
”ſchen Buchladen auf der Schloßfreyheit, ſeine Be-
”trachtungen uͤber die Augſpurgiſche Konfeſ-
”ſion ſchrieb, welche zuerſt in den Damm, den Eifer
”und verjaͤhrtes Vorurtheil, gegen die menſchliche
”Vernunft, fuͤr die Orthodoxie, aufgeworfen hatten,
”ein kleines Loch machten, das hernach ſo ſehr erwei-
”tert worden iſt. Die Nachbarſchaft des Hofes traͤgt
”auch wohl etwas bey, daß die Leute hier freyer den-
”ken. Man komme hingegen nur in die buͤrgerlichern
”Gegenden der Fiſcherſtraße und Lappſtraße,
”und man wird die Neigung fuͤr die Orthodoxie viel
”ſtaͤrker finden, ja ich vermuthe, daß ſie bey den Ger-
”bern, Pergamentmachern und Seifenſiedern in
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