den 70). Das Angeführte nun scheint mir hinreichend die Erzählung von der Troischen Niederlassung in Latium als eine einheimische Nationalsage zu achten, bey der kein Grund vorhanden ist sie strenger als irgend einen andern Umstand der mythischen Zeit zu verwerfen. Die Wider- sprüche in der Geschichte des Aeneas bedeuten gar nichts sobald man sich erinnert daß hier mythischer Boden ist: sie sind von der Sagenzeit unzertrennlich.
Ich glaube diese Erzählung nicht übergehen zu kön- nen, weil sie den Römern so heilig war, und folge da- bey Cato 71).
Als die Trojaner am Laurentischen Ufer das Orakel erfüllt 72), und sich am Ziel ihrer Wandrung sahen, war ihnen der Ort noch unbekannt, wo sie dem Willen der Götter gemäß ihre Stadt erbauen sollten. Das Orakel gebot ihnen die Führung eines Thiers zu erwarten, und sie folgten den Spuren einer trächtigen Sau, die, zum Opfer geführt, sich losriß. Diese flüchtete in die Hügel, drey Millien vom Ufer: in eine Gegend welche die Tro- janer, wegen der Unfruchtbarkeit und der Entfernung von der See, mißmuthig zu ihrer Wohnung nahmen. Ihr Gehorsam ward durch eine Traumerscheinung der Pena- ten belohnt, die Aeneas Muth einsprachen und ihm verhießen, nach dreyßig Jahren der Prüfung -- so viele Ferkel hatte die Sau geworfen -- werde sein Volk aus
70) Dionysius I. c. 67.
71) Denn hier scheint Victor wirklich einen Auszug zu geben.
72) Dies kennt auch Lykophron v. 1250 ff.
den 70). Das Angefuͤhrte nun ſcheint mir hinreichend die Erzaͤhlung von der Troiſchen Niederlaſſung in Latium als eine einheimiſche Nationalſage zu achten, bey der kein Grund vorhanden iſt ſie ſtrenger als irgend einen andern Umſtand der mythiſchen Zeit zu verwerfen. Die Wider- ſpruͤche in der Geſchichte des Aeneas bedeuten gar nichts ſobald man ſich erinnert daß hier mythiſcher Boden iſt: ſie ſind von der Sagenzeit unzertrennlich.
Ich glaube dieſe Erzaͤhlung nicht uͤbergehen zu koͤn- nen, weil ſie den Roͤmern ſo heilig war, und folge da- bey Cato 71).
Als die Trojaner am Laurentiſchen Ufer das Orakel erfuͤllt 72), und ſich am Ziel ihrer Wandrung ſahen, war ihnen der Ort noch unbekannt, wo ſie dem Willen der Goͤtter gemaͤß ihre Stadt erbauen ſollten. Das Orakel gebot ihnen die Fuͤhrung eines Thiers zu erwarten, und ſie folgten den Spuren einer traͤchtigen Sau, die, zum Opfer gefuͤhrt, ſich losriß. Dieſe fluͤchtete in die Huͤgel, drey Millien vom Ufer: in eine Gegend welche die Tro- janer, wegen der Unfruchtbarkeit und der Entfernung von der See, mißmuthig zu ihrer Wohnung nahmen. Ihr Gehorſam ward durch eine Traumerſcheinung der Pena- ten belohnt, die Aeneas Muth einſprachen und ihm verhießen, nach dreyßig Jahren der Pruͤfung — ſo viele Ferkel hatte die Sau geworfen — werde ſein Volk aus
70) Dionyſius I. c. 67.
71) Denn hier ſcheint Victor wirklich einen Auszug zu geben.
72) Dies kennt auch Lykophron v. 1250 ff.
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die Erzaͤhlung von der Troiſchen Niederlaſſung in Latium
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Grund vorhanden iſt ſie ſtrenger als irgend einen andern
Umſtand der mythiſchen Zeit zu verwerfen. Die Wider-
ſpruͤche in der Geſchichte des Aeneas bedeuten gar nichts
ſobald man ſich erinnert daß hier mythiſcher Boden iſt:
ſie ſind von der Sagenzeit unzertrennlich.
Ich glaube dieſe Erzaͤhlung nicht uͤbergehen zu koͤn-
nen, weil ſie den Roͤmern ſo heilig war, und folge da-
bey Cato 71).
Als die Trojaner am Laurentiſchen Ufer das Orakel
erfuͤllt 72), und ſich am Ziel ihrer Wandrung ſahen, war
ihnen der Ort noch unbekannt, wo ſie dem Willen der
Goͤtter gemaͤß ihre Stadt erbauen ſollten. Das Orakel
gebot ihnen die Fuͤhrung eines Thiers zu erwarten, und
ſie folgten den Spuren einer traͤchtigen Sau, die, zum
Opfer gefuͤhrt, ſich losriß. Dieſe fluͤchtete in die Huͤgel,
drey Millien vom Ufer: in eine Gegend welche die Tro-
janer, wegen der Unfruchtbarkeit und der Entfernung von
der See, mißmuthig zu ihrer Wohnung nahmen. Ihr
Gehorſam ward durch eine Traumerſcheinung der Pena-
ten belohnt, die Aeneas Muth einſprachen und ihm
verhießen, nach dreyßig Jahren der Pruͤfung — ſo viele
Ferkel hatte die Sau geworfen — werde ſein Volk aus
70) Dionyſius I. c. 67.
71) Denn hier ſcheint Victor wirklich einen Auszug zu geben.
72) Dies kennt auch Lykophron v. 1250 ff.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/158>, abgerufen am 21.11.2024.
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