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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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nicht leicht mit wahrhafter Anklage der Sünde, deren
Strafe die unterliegenden trifft, wenn sie wirklich schul-
dig fielen, sondern er häuft unverdiente Schuld auf sie,
alles glaubend oder sich alles erlaubend. So war es
den Herstellern der Freyheit Englands nicht genug, daß
König Jakob und sein Haus durch nie zu versöhnende Ver-
gehungen den Thron verbrochen hatten; sie beschuldigten
ihn niedriger Verbrechen, gegen die sich jedes nicht ver-
worfne Herz empören mußte, und das seinige, rechtlich
sobald es nicht durch Herrschsucht verblendet war, sich
empört haben würde.

Es ist möglich daß die ganze Sage von Servius Tuk-
lius Geburt von einer Sklavin aus seinem Vornahmen
hergeleitet ist, der ursprünglich, als bedeutend, den
Söhnen der Sklavinnen also der Kebsweiber gegeben seyn
soll. Ueberhaupt sind die meisten auch schon von den Rö-
mern versuchten Erklärungen ihrer gebräuchlichen Nahmen
völlig so leer, als wenn wir diejenigen die bey uns jetzt
die gewöhnlichsten sind, aus deutschen Wurzeln ableiten
wollten; denn sie sind Sabinischen, oder andern fremden
Ursprungs, welches selbst Varro, der willkührlichste aller
Etymologiker bekennt. Will man aber auch einräumen
daß die welche lateinischen Worten auf eine Weise ver-
wandt sind die Ableitung anzudeuten scheint, wirklich
aus ihnen gebildet seyn möchten, und so die alte Erklä-
rung des sogenannten Valerius oder Probus für die Nah-
men Manius und Lucius annehmen, so ergiebt sich, har-
monisch mit diesem Sinn beyder eine weit passendere für
den Nahmen Servius, nämlich, wie Manius von Mane

nicht leicht mit wahrhafter Anklage der Suͤnde, deren
Strafe die unterliegenden trifft, wenn ſie wirklich ſchul-
dig fielen, ſondern er haͤuft unverdiente Schuld auf ſie,
alles glaubend oder ſich alles erlaubend. So war es
den Herſtellern der Freyheit Englands nicht genug, daß
Koͤnig Jakob und ſein Haus durch nie zu verſoͤhnende Ver-
gehungen den Thron verbrochen hatten; ſie beſchuldigten
ihn niedriger Verbrechen, gegen die ſich jedes nicht ver-
worfne Herz empoͤren mußte, und das ſeinige, rechtlich
ſobald es nicht durch Herrſchſucht verblendet war, ſich
empoͤrt haben wuͤrde.

Es iſt moͤglich daß die ganze Sage von Servius Tuk-
lius Geburt von einer Sklavin aus ſeinem Vornahmen
hergeleitet iſt, der urſpruͤnglich, als bedeutend, den
Soͤhnen der Sklavinnen alſo der Kebsweiber gegeben ſeyn
ſoll. Ueberhaupt ſind die meiſten auch ſchon von den Roͤ-
mern verſuchten Erklaͤrungen ihrer gebraͤuchlichen Nahmen
voͤllig ſo leer, als wenn wir diejenigen die bey uns jetzt
die gewoͤhnlichſten ſind, aus deutſchen Wurzeln ableiten
wollten; denn ſie ſind Sabiniſchen, oder andern fremden
Urſprungs, welches ſelbſt Varro, der willkuͤhrlichſte aller
Etymologiker bekennt. Will man aber auch einraͤumen
daß die welche lateiniſchen Worten auf eine Weiſe ver-
wandt ſind die Ableitung anzudeuten ſcheint, wirklich
aus ihnen gebildet ſeyn moͤchten, und ſo die alte Erklaͤ-
rung des ſogenannten Valerius oder Probus fuͤr die Nah-
men Manius und Lucius annehmen, ſo ergiebt ſich, har-
moniſch mit dieſem Sinn beyder eine weit paſſendere fuͤr
den Nahmen Servius, naͤmlich, wie Manius von Mane

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[244/0266] nicht leicht mit wahrhafter Anklage der Suͤnde, deren Strafe die unterliegenden trifft, wenn ſie wirklich ſchul- dig fielen, ſondern er haͤuft unverdiente Schuld auf ſie, alles glaubend oder ſich alles erlaubend. So war es den Herſtellern der Freyheit Englands nicht genug, daß Koͤnig Jakob und ſein Haus durch nie zu verſoͤhnende Ver- gehungen den Thron verbrochen hatten; ſie beſchuldigten ihn niedriger Verbrechen, gegen die ſich jedes nicht ver- worfne Herz empoͤren mußte, und das ſeinige, rechtlich ſobald es nicht durch Herrſchſucht verblendet war, ſich empoͤrt haben wuͤrde. Es iſt moͤglich daß die ganze Sage von Servius Tuk- lius Geburt von einer Sklavin aus ſeinem Vornahmen hergeleitet iſt, der urſpruͤnglich, als bedeutend, den Soͤhnen der Sklavinnen alſo der Kebsweiber gegeben ſeyn ſoll. Ueberhaupt ſind die meiſten auch ſchon von den Roͤ- mern verſuchten Erklaͤrungen ihrer gebraͤuchlichen Nahmen voͤllig ſo leer, als wenn wir diejenigen die bey uns jetzt die gewoͤhnlichſten ſind, aus deutſchen Wurzeln ableiten wollten; denn ſie ſind Sabiniſchen, oder andern fremden Urſprungs, welches ſelbſt Varro, der willkuͤhrlichſte aller Etymologiker bekennt. Will man aber auch einraͤumen daß die welche lateiniſchen Worten auf eine Weiſe ver- wandt ſind die Ableitung anzudeuten ſcheint, wirklich aus ihnen gebildet ſeyn moͤchten, und ſo die alte Erklaͤ- rung des ſogenannten Valerius oder Probus fuͤr die Nah- men Manius und Lucius annehmen, ſo ergiebt ſich, har- moniſch mit dieſem Sinn beyder eine weit paſſendere fuͤr den Nahmen Servius, naͤmlich, wie Manius von Mane

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/266>, abgerufen am 22.11.2024.