Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Selbst unter den römischen Annalisten gebrauchte er
nur wenige, und diese wie er mit der Ausarbeitung
fortrückte. Daher allein kann es erklärt werden daß
ihn Widersprüche des früheren und späteren, auch wenn
es sich sehr nahe liegt, durchaus nicht störten: es ist
sehr möglich daß er Polybius, dessen Werth im allge-
meinen damals gar nicht erkannt ward 98), als er die
älteste Geschichte der Republik schrieb, noch nie gelesen
hatte: wenigstens benutzte er ihn nur von der Zeit an,
wo seine Erzählung fortlaufend beginnt. Aber sein Still-
schweigen beweißt daß die einheimischen Annalisten die-
ses Bündnisses nicht erwähnten, auch nicht Licinius Ma-
cer, welcher unter denen die ausführlicher schrieben 99),
vor andern aufmerksam auf alte Urkunden war. Ma-
cer, ohne Zweifel der Volkstribun aus Pompejus erster
Blüthenzeit, hat wahrscheinlich seine Untersuchungen be-
gonnen als die Tafel welche das Bündniß bewahrte
schon nicht mehr vorhanden war: es ist glaublich daß
sie sich auf dem Capitol befunden hatte, und durch den
Brand in der Zeit des Marianischen Kriegs vernichtet
war. Ein andrer Grund über sie zu schweigen war
aber eben was sie uns so wichtig macht, ihre gänzliche
Unvereinbarkeit mit der dichterischen Erzählung welche

98) Dadurch ist wohl Livius Ausdruck: haudquaquam sper-
nendus auctor
richtiger als durch eine rhetorische Figur zu
erklären.
99) Denn L. Cincius war in seinen Annalen sehr kurz über
die alte Zeit: die Schätze seiner Nachrichten fanden sich in
andern seiner Werke welche der ganz poetische Livius we-
nig beachtet haben mag.

Selbſt unter den roͤmiſchen Annaliſten gebrauchte er
nur wenige, und dieſe wie er mit der Ausarbeitung
fortruͤckte. Daher allein kann es erklaͤrt werden daß
ihn Widerſpruͤche des fruͤheren und ſpaͤteren, auch wenn
es ſich ſehr nahe liegt, durchaus nicht ſtoͤrten: es iſt
ſehr moͤglich daß er Polybius, deſſen Werth im allge-
meinen damals gar nicht erkannt ward 98), als er die
aͤlteſte Geſchichte der Republik ſchrieb, noch nie geleſen
hatte: wenigſtens benutzte er ihn nur von der Zeit an,
wo ſeine Erzaͤhlung fortlaufend beginnt. Aber ſein Still-
ſchweigen beweißt daß die einheimiſchen Annaliſten die-
ſes Buͤndniſſes nicht erwaͤhnten, auch nicht Licinius Ma-
cer, welcher unter denen die ausfuͤhrlicher ſchrieben 99),
vor andern aufmerkſam auf alte Urkunden war. Ma-
cer, ohne Zweifel der Volkstribun aus Pompejus erſter
Bluͤthenzeit, hat wahrſcheinlich ſeine Unterſuchungen be-
gonnen als die Tafel welche das Buͤndniß bewahrte
ſchon nicht mehr vorhanden war: es iſt glaublich daß
ſie ſich auf dem Capitol befunden hatte, und durch den
Brand in der Zeit des Marianiſchen Kriegs vernichtet
war. Ein andrer Grund uͤber ſie zu ſchweigen war
aber eben was ſie uns ſo wichtig macht, ihre gaͤnzliche
Unvereinbarkeit mit der dichteriſchen Erzaͤhlung welche

98) Dadurch iſt wohl Livius Ausdruck: haudquaquam sper-
nendus auctor
richtiger als durch eine rhetoriſche Figur zu
erklaͤren.
99) Denn L. Cincius war in ſeinen Annalen ſehr kurz uͤber
die alte Zeit: die Schaͤtze ſeiner Nachrichten fanden ſich in
andern ſeiner Werke welche der ganz poetiſche Livius we-
nig beachtet haben mag.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0355" n="333"/>
Selb&#x017F;t unter den ro&#x0364;mi&#x017F;chen Annali&#x017F;ten gebrauchte er<lb/>
nur wenige, und die&#x017F;e wie er mit der Ausarbeitung<lb/>
fortru&#x0364;ckte. Daher allein kann es erkla&#x0364;rt werden daß<lb/>
ihn Wider&#x017F;pru&#x0364;che des fru&#x0364;heren und &#x017F;pa&#x0364;teren, auch wenn<lb/>
es &#x017F;ich &#x017F;ehr nahe liegt, durchaus nicht &#x017F;to&#x0364;rten: es i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ehr mo&#x0364;glich daß er Polybius, de&#x017F;&#x017F;en Werth im allge-<lb/>
meinen damals gar nicht erkannt ward <note place="foot" n="98)">Dadurch i&#x017F;t wohl Livius Ausdruck: <hi rendition="#aq">haudquaquam sper-<lb/>
nendus auctor</hi> richtiger als durch eine rhetori&#x017F;che Figur zu<lb/>
erkla&#x0364;ren.</note>, als er die<lb/>
a&#x0364;lte&#x017F;te Ge&#x017F;chichte der Republik &#x017F;chrieb, noch nie gele&#x017F;en<lb/>
hatte: wenig&#x017F;tens benutzte er ihn nur von der Zeit an,<lb/>
wo &#x017F;eine Erza&#x0364;hlung fortlaufend beginnt. Aber &#x017F;ein Still-<lb/>
&#x017F;chweigen beweißt daß die einheimi&#x017F;chen Annali&#x017F;ten die-<lb/>
&#x017F;es Bu&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;es nicht erwa&#x0364;hnten, auch nicht Licinius Ma-<lb/>
cer, welcher unter denen die ausfu&#x0364;hrlicher &#x017F;chrieben <note place="foot" n="99)">Denn L. Cincius war in &#x017F;einen Annalen &#x017F;ehr kurz u&#x0364;ber<lb/>
die alte Zeit: die Scha&#x0364;tze &#x017F;einer Nachrichten fanden &#x017F;ich in<lb/>
andern &#x017F;einer Werke welche der ganz poeti&#x017F;che Livius we-<lb/>
nig beachtet haben mag.</note>,<lb/>
vor andern aufmerk&#x017F;am auf alte Urkunden war. Ma-<lb/>
cer, ohne Zweifel der Volkstribun aus Pompejus er&#x017F;ter<lb/>
Blu&#x0364;thenzeit, hat wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;eine Unter&#x017F;uchungen be-<lb/>
gonnen als die Tafel welche das Bu&#x0364;ndniß bewahrte<lb/>
&#x017F;chon nicht mehr vorhanden war: es i&#x017F;t glaublich daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich auf dem Capitol befunden hatte, und durch den<lb/>
Brand in der Zeit des Mariani&#x017F;chen Kriegs vernichtet<lb/>
war. Ein andrer Grund u&#x0364;ber &#x017F;ie zu &#x017F;chweigen war<lb/>
aber eben was &#x017F;ie uns &#x017F;o wichtig macht, ihre ga&#x0364;nzliche<lb/>
Unvereinbarkeit mit der dichteri&#x017F;chen Erza&#x0364;hlung welche<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[333/0355] Selbſt unter den roͤmiſchen Annaliſten gebrauchte er nur wenige, und dieſe wie er mit der Ausarbeitung fortruͤckte. Daher allein kann es erklaͤrt werden daß ihn Widerſpruͤche des fruͤheren und ſpaͤteren, auch wenn es ſich ſehr nahe liegt, durchaus nicht ſtoͤrten: es iſt ſehr moͤglich daß er Polybius, deſſen Werth im allge- meinen damals gar nicht erkannt ward 98), als er die aͤlteſte Geſchichte der Republik ſchrieb, noch nie geleſen hatte: wenigſtens benutzte er ihn nur von der Zeit an, wo ſeine Erzaͤhlung fortlaufend beginnt. Aber ſein Still- ſchweigen beweißt daß die einheimiſchen Annaliſten die- ſes Buͤndniſſes nicht erwaͤhnten, auch nicht Licinius Ma- cer, welcher unter denen die ausfuͤhrlicher ſchrieben 99), vor andern aufmerkſam auf alte Urkunden war. Ma- cer, ohne Zweifel der Volkstribun aus Pompejus erſter Bluͤthenzeit, hat wahrſcheinlich ſeine Unterſuchungen be- gonnen als die Tafel welche das Buͤndniß bewahrte ſchon nicht mehr vorhanden war: es iſt glaublich daß ſie ſich auf dem Capitol befunden hatte, und durch den Brand in der Zeit des Marianiſchen Kriegs vernichtet war. Ein andrer Grund uͤber ſie zu ſchweigen war aber eben was ſie uns ſo wichtig macht, ihre gaͤnzliche Unvereinbarkeit mit der dichteriſchen Erzaͤhlung welche 98) Dadurch iſt wohl Livius Ausdruck: haudquaquam sper- nendus auctor richtiger als durch eine rhetoriſche Figur zu erklaͤren. 99) Denn L. Cincius war in ſeinen Annalen ſehr kurz uͤber die alte Zeit: die Schaͤtze ſeiner Nachrichten fanden ſich in andern ſeiner Werke welche der ganz poetiſche Livius we- nig beachtet haben mag.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/355
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/355>, abgerufen am 23.11.2024.