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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Theil der römischen Geschichte. Cicero, der überall in der
älteren Geschichte Nachrichten folgt welche denen durch-
aus widersprechen die später historische Autorität gewon-
nen haben, verwirft stillschweigend aber unverkennbar
den Clusinischen Porsena in der Geschichte dieses Kriegs,
indem er sagt, weder die Vejenter noch die Latiner hätten
vermocht Tarquinius den römischen Thron wieder zu ge-
winnen 13). Um so weniger darf es klügelnder Skepti-
cismus genannt werden wenn man Porsena für einen Hel-
den der altetruskischen Dichtung hält, der nach ihr in al-
ten Tagen weit und breit als König herrschte, auf den die
römische Poefie den etruskischen Krieg übertragen hat
durch den die Tarquinier die Stadt drängten, und der von
dem welcher der frühere, worin am Wald Arsia geschlagen
seyn soll, nicht unterschieden werden müßte. Von ihm
besiegt zu werden, sich vor ihm zu beugen, war am we-
nigsten schmählich, und seine Tugend gestattete am füg-
lichsten die Wendung eines edelmüthigen Gebrauchs
des Siegs.

Die Bitten der Tarquinier waren bey dem Könige
von Clusium nicht fruchtlos. Im zweyten, oder im drit-
ten Jahr nach ihrer Vertreibung (jenes ist Livius, dieses
Dionysius Zeitrechnung) führte Porsena ein großes Heer,
zu dem man sich auch die vorliegenden etruskischen Städte
aufgeboten denken muß, gegen Rom: nicht aber die durch
die Tiber getrennten, erst nach einer Reihe von Jahren ge-
gen Rom bewaffneten Latiner, gegen die der etruskische
König, nachdem Rom sich unterworfen hatte, ein Heer

13) Tusc. Quaest. III. c. 12.

Theil der roͤmiſchen Geſchichte. Cicero, der uͤberall in der
aͤlteren Geſchichte Nachrichten folgt welche denen durch-
aus widerſprechen die ſpaͤter hiſtoriſche Autoritaͤt gewon-
nen haben, verwirft ſtillſchweigend aber unverkennbar
den Cluſiniſchen Porſena in der Geſchichte dieſes Kriegs,
indem er ſagt, weder die Vejenter noch die Latiner haͤtten
vermocht Tarquinius den roͤmiſchen Thron wieder zu ge-
winnen 13). Um ſo weniger darf es kluͤgelnder Skepti-
cismus genannt werden wenn man Porſena fuͤr einen Hel-
den der altetruskiſchen Dichtung haͤlt, der nach ihr in al-
ten Tagen weit und breit als Koͤnig herrſchte, auf den die
roͤmiſche Poefie den etruskiſchen Krieg uͤbertragen hat
durch den die Tarquinier die Stadt draͤngten, und der von
dem welcher der fruͤhere, worin am Wald Arſia geſchlagen
ſeyn ſoll, nicht unterſchieden werden muͤßte. Von ihm
beſiegt zu werden, ſich vor ihm zu beugen, war am we-
nigſten ſchmaͤhlich, und ſeine Tugend geſtattete am fuͤg-
lichſten die Wendung eines edelmuͤthigen Gebrauchs
des Siegs.

Die Bitten der Tarquinier waren bey dem Koͤnige
von Cluſium nicht fruchtlos. Im zweyten, oder im drit-
ten Jahr nach ihrer Vertreibung (jenes iſt Livius, dieſes
Dionyſius Zeitrechnung) fuͤhrte Porſena ein großes Heer,
zu dem man ſich auch die vorliegenden etruskiſchen Staͤdte
aufgeboten denken muß, gegen Rom: nicht aber die durch
die Tiber getrennten, erſt nach einer Reihe von Jahren ge-
gen Rom bewaffneten Latiner, gegen die der etruskiſche
Koͤnig, nachdem Rom ſich unterworfen hatte, ein Heer

13) Tusc. Quæst. III. c. 12.
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[347/0369] Theil der roͤmiſchen Geſchichte. Cicero, der uͤberall in der aͤlteren Geſchichte Nachrichten folgt welche denen durch- aus widerſprechen die ſpaͤter hiſtoriſche Autoritaͤt gewon- nen haben, verwirft ſtillſchweigend aber unverkennbar den Cluſiniſchen Porſena in der Geſchichte dieſes Kriegs, indem er ſagt, weder die Vejenter noch die Latiner haͤtten vermocht Tarquinius den roͤmiſchen Thron wieder zu ge- winnen 13). Um ſo weniger darf es kluͤgelnder Skepti- cismus genannt werden wenn man Porſena fuͤr einen Hel- den der altetruskiſchen Dichtung haͤlt, der nach ihr in al- ten Tagen weit und breit als Koͤnig herrſchte, auf den die roͤmiſche Poefie den etruskiſchen Krieg uͤbertragen hat durch den die Tarquinier die Stadt draͤngten, und der von dem welcher der fruͤhere, worin am Wald Arſia geſchlagen ſeyn ſoll, nicht unterſchieden werden muͤßte. Von ihm beſiegt zu werden, ſich vor ihm zu beugen, war am we- nigſten ſchmaͤhlich, und ſeine Tugend geſtattete am fuͤg- lichſten die Wendung eines edelmuͤthigen Gebrauchs des Siegs. Die Bitten der Tarquinier waren bey dem Koͤnige von Cluſium nicht fruchtlos. Im zweyten, oder im drit- ten Jahr nach ihrer Vertreibung (jenes iſt Livius, dieſes Dionyſius Zeitrechnung) fuͤhrte Porſena ein großes Heer, zu dem man ſich auch die vorliegenden etruskiſchen Staͤdte aufgeboten denken muß, gegen Rom: nicht aber die durch die Tiber getrennten, erſt nach einer Reihe von Jahren ge- gen Rom bewaffneten Latiner, gegen die der etruskiſche Koͤnig, nachdem Rom ſich unterworfen hatte, ein Heer 13) Tusc. Quæst. III. c. 12.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/369>, abgerufen am 16.06.2024.