Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

sandte. Allenthalben fließt in Livius die alte Sage weit
ungetrübter als bey Dionysius. Ueberrascht oder an ihren
Kräften verzagend, wagten die Römer keinen Versuch im
Felde Widerstand zu leisten: sie beschränkten sich auf
die Vertheidigung ihrer Mauern. Die Menge unabhän-
giger Staaten konnte leicht eine ihnen günstige Diver-
sion veranlassen, und unter diesen Umständen war damals
eine belagerte Stadt keine eroberte. Der Hunger war der
furchtbarste Feind: Verrath fürchtete man, da die Ver-
dächtigen ausgewandert waren weniger als überdrüssige
Ermattung des Volks. Worte und unbestimmte Gefühle
reissen das Volk so lange es von ihnen entzündet ist noch
heftiger fort, als die höheren Stände: aber ihre Kraft
verschwindet und sie werden verhaßt unter dem Druck ge-
genwärtiger Noth. Es scheint daß die Zeit zu kurz war
Vorräthe anzuschaffen um die Einschließung zu bestehen:
aber damit das Volk nicht unter der Theurung erliege,
übernahm der Staat den Salzhandel, und verkaufte ohne
Vortheil; die Accise ward abgeschafft, und die Armee von
der Steuer befreyt.

Selbst das Janiculum, noch keine Vorstadt, sondern
nur ein befestigter Hügel der Stadt gegenüber, ward im
ersten Angriff genommen. Die römische Besatzung floh
verwirrt über die Brücke in die am Strohm offene Stadt:
die Etrusker verfolgten sie ungestüm den Hügel hinab.
Alles war verlohren wenn sie sich der Brücke bemächtig-
ten. Diese zu zerstören beschwor Horatius Cocles die Flie-
henden: er selbst unternahm es das Heer und die Stadt
zu decken, bis die Brücke abgebrochen sey. Beschämung

ſandte. Allenthalben fließt in Livius die alte Sage weit
ungetruͤbter als bey Dionyſius. Ueberraſcht oder an ihren
Kraͤften verzagend, wagten die Roͤmer keinen Verſuch im
Felde Widerſtand zu leiſten: ſie beſchraͤnkten ſich auf
die Vertheidigung ihrer Mauern. Die Menge unabhaͤn-
giger Staaten konnte leicht eine ihnen guͤnſtige Diver-
ſion veranlaſſen, und unter dieſen Umſtaͤnden war damals
eine belagerte Stadt keine eroberte. Der Hunger war der
furchtbarſte Feind: Verrath fuͤrchtete man, da die Ver-
daͤchtigen ausgewandert waren weniger als uͤberdruͤſſige
Ermattung des Volks. Worte und unbeſtimmte Gefuͤhle
reiſſen das Volk ſo lange es von ihnen entzuͤndet iſt noch
heftiger fort, als die hoͤheren Staͤnde: aber ihre Kraft
verſchwindet und ſie werden verhaßt unter dem Druck ge-
genwaͤrtiger Noth. Es ſcheint daß die Zeit zu kurz war
Vorraͤthe anzuſchaffen um die Einſchließung zu beſtehen:
aber damit das Volk nicht unter der Theurung erliege,
uͤbernahm der Staat den Salzhandel, und verkaufte ohne
Vortheil; die Acciſe ward abgeſchafft, und die Armee von
der Steuer befreyt.

Selbſt das Janiculum, noch keine Vorſtadt, ſondern
nur ein befeſtigter Huͤgel der Stadt gegenuͤber, ward im
erſten Angriff genommen. Die roͤmiſche Beſatzung floh
verwirrt uͤber die Bruͤcke in die am Strohm offene Stadt:
die Etrusker verfolgten ſie ungeſtuͤm den Huͤgel hinab.
Alles war verlohren wenn ſie ſich der Bruͤcke bemaͤchtig-
ten. Dieſe zu zerſtoͤren beſchwor Horatius Cocles die Flie-
henden: er ſelbſt unternahm es das Heer und die Stadt
zu decken, bis die Bruͤcke abgebrochen ſey. Beſchaͤmung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0370" n="348"/>
&#x017F;andte. Allenthalben fließt in Livius die alte Sage weit<lb/>
ungetru&#x0364;bter als bey Diony&#x017F;ius. Ueberra&#x017F;cht oder an ihren<lb/>
Kra&#x0364;ften verzagend, wagten die Ro&#x0364;mer keinen Ver&#x017F;uch im<lb/>
Felde Wider&#x017F;tand zu lei&#x017F;ten: &#x017F;ie be&#x017F;chra&#x0364;nkten &#x017F;ich auf<lb/>
die Vertheidigung ihrer Mauern. Die Menge unabha&#x0364;n-<lb/>
giger Staaten konnte leicht eine ihnen gu&#x0364;n&#x017F;tige Diver-<lb/>
&#x017F;ion veranla&#x017F;&#x017F;en, und unter die&#x017F;en Um&#x017F;ta&#x0364;nden war damals<lb/>
eine belagerte Stadt keine eroberte. Der Hunger war der<lb/>
furchtbar&#x017F;te Feind: Verrath fu&#x0364;rchtete man, da die Ver-<lb/>
da&#x0364;chtigen ausgewandert waren weniger als u&#x0364;berdru&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige<lb/>
Ermattung des Volks. Worte und unbe&#x017F;timmte Gefu&#x0364;hle<lb/>
rei&#x017F;&#x017F;en das Volk &#x017F;o lange es von ihnen entzu&#x0364;ndet i&#x017F;t noch<lb/>
heftiger fort, als die ho&#x0364;heren Sta&#x0364;nde: aber ihre Kraft<lb/>
ver&#x017F;chwindet und &#x017F;ie werden verhaßt unter dem Druck ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtiger Noth. Es &#x017F;cheint daß die Zeit zu kurz war<lb/>
Vorra&#x0364;the anzu&#x017F;chaffen um die Ein&#x017F;chließung zu be&#x017F;tehen:<lb/>
aber damit das Volk nicht unter der Theurung erliege,<lb/>
u&#x0364;bernahm der Staat den Salzhandel, und verkaufte ohne<lb/>
Vortheil; die Acci&#x017F;e ward abge&#x017F;chafft, und die Armee von<lb/>
der Steuer befreyt.</p><lb/>
          <p>Selb&#x017F;t das Janiculum, noch keine Vor&#x017F;tadt, &#x017F;ondern<lb/>
nur ein befe&#x017F;tigter Hu&#x0364;gel der Stadt gegenu&#x0364;ber, ward im<lb/>
er&#x017F;ten Angriff genommen. Die ro&#x0364;mi&#x017F;che Be&#x017F;atzung floh<lb/>
verwirrt u&#x0364;ber die Bru&#x0364;cke in die am Strohm offene Stadt:<lb/>
die Etrusker verfolgten &#x017F;ie unge&#x017F;tu&#x0364;m den Hu&#x0364;gel hinab.<lb/>
Alles war verlohren wenn &#x017F;ie &#x017F;ich der Bru&#x0364;cke bema&#x0364;chtig-<lb/>
ten. Die&#x017F;e zu zer&#x017F;to&#x0364;ren be&#x017F;chwor Horatius Cocles die Flie-<lb/>
henden: er &#x017F;elb&#x017F;t unternahm es das Heer und die Stadt<lb/>
zu decken, bis die Bru&#x0364;cke abgebrochen &#x017F;ey. Be&#x017F;cha&#x0364;mung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0370] ſandte. Allenthalben fließt in Livius die alte Sage weit ungetruͤbter als bey Dionyſius. Ueberraſcht oder an ihren Kraͤften verzagend, wagten die Roͤmer keinen Verſuch im Felde Widerſtand zu leiſten: ſie beſchraͤnkten ſich auf die Vertheidigung ihrer Mauern. Die Menge unabhaͤn- giger Staaten konnte leicht eine ihnen guͤnſtige Diver- ſion veranlaſſen, und unter dieſen Umſtaͤnden war damals eine belagerte Stadt keine eroberte. Der Hunger war der furchtbarſte Feind: Verrath fuͤrchtete man, da die Ver- daͤchtigen ausgewandert waren weniger als uͤberdruͤſſige Ermattung des Volks. Worte und unbeſtimmte Gefuͤhle reiſſen das Volk ſo lange es von ihnen entzuͤndet iſt noch heftiger fort, als die hoͤheren Staͤnde: aber ihre Kraft verſchwindet und ſie werden verhaßt unter dem Druck ge- genwaͤrtiger Noth. Es ſcheint daß die Zeit zu kurz war Vorraͤthe anzuſchaffen um die Einſchließung zu beſtehen: aber damit das Volk nicht unter der Theurung erliege, uͤbernahm der Staat den Salzhandel, und verkaufte ohne Vortheil; die Acciſe ward abgeſchafft, und die Armee von der Steuer befreyt. Selbſt das Janiculum, noch keine Vorſtadt, ſondern nur ein befeſtigter Huͤgel der Stadt gegenuͤber, ward im erſten Angriff genommen. Die roͤmiſche Beſatzung floh verwirrt uͤber die Bruͤcke in die am Strohm offene Stadt: die Etrusker verfolgten ſie ungeſtuͤm den Huͤgel hinab. Alles war verlohren wenn ſie ſich der Bruͤcke bemaͤchtig- ten. Dieſe zu zerſtoͤren beſchwor Horatius Cocles die Flie- henden: er ſelbſt unternahm es das Heer und die Stadt zu decken, bis die Bruͤcke abgebrochen ſey. Beſchaͤmung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/370
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/370>, abgerufen am 16.06.2024.